Benjamin Klunzinger Karl

Albert de Menier - Exposition Universelle Die Gotteskinder von Paris


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Dort oben sitzt man im Freien und er genießt die Frühlingssonne. Kaum hat er seinen Platz eingenommen, gibt der Omnibuskutscher in seiner schicken Uniform – Blaue Jacke, Hose und einem schwarzen Hut mit Silberband – den Pferden die Peitsche zu spüren.

      So etwas Vergleichbares gibt es in Berlin nicht, da drängen sich die Fahrgäste noch rein, auch wenn es schon so eng ist, dass man Angst hat, der Wagen fliegt gleich auseinander. Auch würde sich eine Dame wohl nie hier hoch bemühen, aus Angst die Kleidung könnte verrutschten und einen unvorteilhaften Ausblick präsentieren. Auf der Fahrt beobachtet er die Pariser und Pariserinnen. Die kleinen anmutigen französischen Dienstbotinnen, auch Trottin genannt, eilen durch die Straßen. Sie tragen mit Stolz die Hutschachteln oder auch andere Artikel zu den Damen, die schon sehnsüchtig darauf warten. Straßenhändler bieten ihre Waren an und hier und da staut sich der Verkehr, da durch die Weltausstellung zwei Brücken für den Verkehr nicht mehr freigegeben sind.

      Nach einiger Zeit erreicht Albert die Rue de Lille 78, in der sich das deutsche Konsulat und die Gesandtschaft befinden, da er sich hier zu seinem Dienstantritt melden soll. Der Gesandte des deutschen Reiches gibt Albert noch letzte Instruktionen:

      „Herr de Menier, ich hoffe es ist Ihnen bewusst, wie wichtig ihre Aufgabe hier für das Wohl der Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland ist. Ich denke, ich muss Ihnen nicht sagen, dass ein kleiner Zwischenfall große Konsequenzen haben kann. Hier wird nicht nur ihr polizeiliches Wissen, sondern auch ihr politisches Feingefühl gefragt sein. Es wurde uns eine Depesche mit einer Auflistung deutscher Verbrecher übersandt, die sich wahrscheinlich in Paris aufhalten. Bei Bedarf können Sie diese Informationen mit ihren französischen Kollegen teilen. Haben Sie schon Kontakt zur französischen Polizei aufgenommen?“ „Nein, leider hat man mich diesbezüglich versetzt, die Beamten haben es wohl nicht so wie wir mit der Pünktlichkeit.“ „Damit müssen Sie hier rechnen, machen Sie aber deswegen bloß keinen Aufstand. Sie wissen ja, nur keine Aufregung – Deutsch-Französische Beziehungen! Vor der morgigen Eröffnung der Weltausstellung werden Sie Herrn Müller treffen. Ihren Kontaktmann auf dem Ausstellungsgelände im deutschen Haus am Quai d`Orsay. Er wird Sie täglich um 8:00 Uhr morgens über die Geschehnisse des Vortages informieren, sei es von der Ausstellung, sowie nationale oder internationale Vorkommnisse. Sie werden ihn natürlich über ihre Fälle informieren wie weit Sie sind und was Sie zu tun gedenken. Also, ich hoffe Sie werden alles dafür tun, um uns keine Schande zu bescheren!“

      Während der Gesandte Albert noch ermahnt, händigt er ihm noch ein Schreiben, welches ihm Zutritt zur Einweihungsfeier verschafft und eine extra Polizeimarke aus, die nur für die diensthabenden Polizisten auf der Ausstellung gültig ist. Nachdem Albert demütig alles bejat und zum Abschied noch salutiert, macht er sich nun auf den Weg zur Polizeipräfektur auf der Île de Cité in der Nähe von Notre Dame, um sich auch hier zu melden.

      Am Tresen weißt sich Albert beim Beamten aus und wird gleich zum Commissaire de police zitiert, der ihm ebenfalls einen herzlichen Empfang bereitet. „Monsieur de Menier, willkommen in unserer schönen Stadt, wir dachten schon Sie wollten gar nicht zu uns kommen. Ihr neuer Kollege sollte Sie eigentlich in Empfang nehmen, aber er konnte Sie an der besagten Adresse nicht auffinden.“

      „Vielen Dank für diesen netten Empfang, ich denke da müssen wir uns knapp verpasst haben, ich musste mich noch bei unserer Gesandtschaft melden. Ich hoffe es gab durch mich keine Unannehmlichkeiten.“ „Nein, Nein, unser Kommissar Roussou war zwar ein bisschen verstimmt, aber das legt sich auch wieder. Wie Sie sehen, herrscht bei uns etwas Unruhe, da wir für die morgige Eröffnung noch so einiges organisieren müssen. Wir müssen 2 Polizeistationen auf dem Ausstellungsgelände ausrüsten. In der Station in der Nähe der Invaliden-Esplanade werden auch Sie einen Schreibtisch bekommen. Um es kurz zu machen, melden Sie sich bitte morgen früh vor der Eröffnungsfeier bei Kommissar Roussou, der die Ehre hat, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Sie finden ihn auf dem Revier in der Ausstellung, da haben Sie auch gleich die Möglichkeit, sich mit dem Gelände vertraut zu machen, dann ist noch nicht alles mit Menschen vollgestopft. Falls Sie etwas benötigen, wenden Sie sich bitte an Kommissar Jean Roussou.“ Mit diesen Worten wird Albert höflich klar gemacht, dass die Unterredung beendet ist und er sich auf den Weg machen soll.

      „Ah, was macht ihr denn schon hier? Wolltet ihr nicht erst morgen früh kommen? Ich hätte euch doch einen Wagen geschickt!“ „Oh Papa, ich dachte, du freust dich uns zu sehen? Sophie und ich sind extra einen Zug früher zu dir gereist, weil ich dich so vermisst habe.“ Und schon fällt Isabell ihrem Vater um den Hals und drückt ihn ganz herzlich. „Wie war eure Fahrt? Gab es irgendwelche Probleme?“ „Nein, Nein, nichts Nennenswertes, wir hatten Gottesbeistand und Polizeischutz.“ „Wie soll ich denn das verstehen?“ „Wir saßen in einem Abteil mit einem netten Pastor und einem deutschen Polizeibeamten, also konnte uns nichts passieren.“ Da mischt sich Sophie mit ein: „Ganz so unproblematisch war das aber nicht, kannst du dich nicht mehr an den Vorfall im Speisewagen erinnern? Diesen komischen Grafen, der anscheinend keiner war?“ Isabell schaut Sophie böse aus den Augenwinkeln an, da sie dies lieber verschwiegen hätte. Ihr Vater kann manchmal etwas überbesorgt reagieren. „Ach das war doch gar nichts“, versucht sie die Geschichte zu relativieren. „Das war nur ein Taschendieb, wie es sie in Berlin zu hunderten gibt, also nichts Besonderes.“ Die Blicke Isabells scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen und Sophie bestätigt kleinlaut ihre Worte: „Stimmt eigentlich, der Vorfall war doch nicht so besonders.“ „Soll euch mein Fahrer Klaus die Stadt zeigen? Wenn er mich am Marsfeld abgesetzt hat, brauche ich den Wagen heute nicht mehr.“ „Das ist nicht nötig, ich möchte mir heute lieber noch ein bisschen die Juweliere und Modeateliers anschauen, das mach ich lieber mit Sophie alleine.“ Wie Isabell schon befürchtete, versucht ihr Vater seinen Fahrer Klaus als Aufpasser mitzuschicken. Da gehen sie doch lieber zu Fuß, man kann sich schließlich die Einkäufe auch nach Hause schicken lassen.

      „Bevor ich es noch vergesse, hier hast du noch deine Schätzchen!“ mit diesen Worten öffnet Isabell ihre Tasche – eine der vielen – und holt die beiden Schaukästen mit den Spinnen heraus. „Ich denke die sollte ich nicht durch die Stadt schleppen, obwohl sie wahrscheinlich die Taschendiebe abschrecken würden.“

      „Das ist perfekt, die kann ich gleich noch mit zu unserem Stand auf der Ausstellung mitnehmen. Den müsst ihr euch unbedingt auch noch anschauen, spätestens Übermorgen nach der Eröffnung, nicht dass du nur die Stadt unsicher machst. Übrigens, wenn du in den Modeateliers bist, kannst du dort nicht unsere Stoffe anpreisen? Du kannst doch deinen Schal als Muster mitnehmen.“

      Das hat ihr noch gefehlt, nicht nur dass der Schal nicht zu dem Outfit passt, welches sie zum Einkaufen anziehen wollte, sondern wie sieht das denn aus, wenn sie hausieren geht. Da nimmt Isabell doch keiner mehr als Kundin ernst. Männer haben schon komische Vorstellungen. Da vergeht einem der ganze Spaß am Einkaufen.

      „Ich schau, was ich machen kann, ich bin schließlich kein gelernter Verkäufer, ich kenne mich eher auf der anderen Seite des Tresens aus!“ Damit versucht sie sich noch herauszureden, aber ihren Vater will sie natürlich auch nicht verärgern.

      Bevor die beiden Damen die Stadt erobern können, beziehen sie noch ihre Quartiere. Isabells Zimmer ist riesig. Es ist mit einem großen Himmelbett und einem Schreibtisch im Stile Ludwig XIV. ausgestattet. Die Tapeten sind mit einem sehr aufwendigen Dekor verziert. Ansonsten hat das Zimmer alle Annehmlichkeiten, die eine moderne Frau braucht, sogar ein eigenes Badezimmer.

      Dagegen muss sich Sophie mit einer kleinen Kammer begnügen, die eher einer Zelle im Gefängnis ähnelt. Ein plumpes Holzbett mit Baumwollbettwäsche, ein Schrank und eine Waschschüssel stehen ihr zur Verfügung. Die Toilette befindet sich auf dem Gang. Das Zimmer ist wie in Paris üblich im 6. Stock, dort werden alle Bediensteten untergebracht, hier wird er nur „le 6e-étage“ genannt. Aber Sophie hat gelernt, sich nicht zu beklagen, sie kann froh sein, dass sie eine Kammer für sich alleine hat. Sie muss sich nur in Acht nehmen, da Klaus, der Fahrer von Herrn Schubert – ein komischer Kauz – auch ein Zimmer hier oben hat. Der scheint solche Gelegenheiten gerne auszunutzen. Man kann nichts beweisen, aber er soll vor ein paar Jahren die Küchenhilfe im Hause Schubert geschwängert haben. Es soll zwar einvernehmlich gewesen sein, aber geheiratet hatte er das arme Ding nicht. Das war aber alles vor ihrer Zeit und auf Hörensagen kann man nicht