Jay Baldwyn

Begegnung der vierten Art


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fußt auf der Annahme, dass außerirdische Raumfahrer die Erde in prähistorischer oder historischer Zeit besucht und dabei Einfluss auf die Genese des Menschen oder dessen kulturelle und technologische Entwicklung genommen hätten. Hauptgrundlage sind dabei Neuinterpretationen religiöser und mythologischer Texte, die als Berichte über tatsächliche Begebenheiten der Vergangenheit verstanden werden und Begegnungen mit außerirdischen Wesen beschreiben sollen. Religiöse Aspekte werden dabei durchweg technologisiert: So wird die Schöpfung des Menschen als gentechnisches Experiment gedeutet, das Erscheinen der Götter als Landung eines UFOs oder Engel als außerirdische Raumfahrer. Die Beschreibungen von mythischen Gegenständen oder Orten werden dabei als nicht verstandene Verklärungen hochentwickelter Waffen-, Militär- und Raumfahrttechnik gedeutet. Mythen mit einander ähnelnden Inhalten werden ähnlich interpretiert, wie die in mehreren Kulturkreisen erwähnte Sintflut und die darauf folgende Rettung der Menschheit, die sich sowohl in der Bibel, als auch im sumerisch-babylonischen Gilgamesch-Epos, in altindischen, -chinesischen oder australischen Schöpfungsmythen findet. Die Prä-Astronautik geht davon aus, dass diese Überlieferungen auf ein reales Eingreifen höher entwickelter Wesen zurückzuführen sei, das sich in den Mythen als ein urmenschliches Trauma ausdrücke.

      »Nicht wirklich«, sagte Kaden, »doch das Thema interessiert mich brennend.«

      »Da könnte ich Sie mit einigen Leuten bekannt machen.«

      »Das wäre ja wunderbar. Glauben Sie, das würde so schnell klappen?«

      »Ich müsste nur ein wenig herumtelefonieren.« Kamile ging ins Nebenzimmer und führte einige Telefonate. Als sie wiederkam, lächelte sie. »Sie haben Glück und könnten schon morgen ein Mitglied der Historischen und Anthropologischen Gesellschaft Valcamonica treffen. Sie wissen, das Tal in der Lombardei, das für seine Felsritzungen berühmt ist.«

      »Oh ja, gern. Dann sehe ich endlich mal den „Astronauten“ mit eigenen Augen.«

      »Ob es sich um einen solchen handelt, ist mehr als umstritten, aber ich will Ihre Euphorie nicht bremsen. Signore Augusto Villa würde sie morgen Mittag am Bahnhof Capo di Ponte erwarten. Das hieße für Sie früh aufstehen, denn die Fahrt dorthin dauert von hier etwa drei Stunden.«

      »Das ist es mir wert. Wen haben Sie sonst noch gesprochen?«

      »Meinen Vater. Er ziert sich noch etwas, obwohl ich gesagt habe, dass Sie ein netter Mann seien.«

      »Danke. Das sagt eine der nettesten Frauen, die ich in letzter Zeit getroffen habe.«

      »Genug mit den Komplimenten. Meinen Vater werde ich noch versuchen umzustimmen. Doch versprechen kann ich nichts.«

      »Einen Versuch ist es allemal wert. Vielen Dank.«

      »Und zu guter Letzt wäre da noch Signore Danielo Ferri. Historiker wie ich und glühender Anhänger der Prä-Astronautik. Er könnte Sie übermorgen in der Sacra San Michele auf dem Monte Pirchiriano treffen. Der liegt genau dem Monte Musinè gegenüber. Von dort aus hat man einen fantastischen Blick auf das Susatal.«

      »Wunderbar. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

      »Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen da schon etwas einfallen wird.«

      Augusto Villa, ein kleiner, freundlicher Mann mit hellen Haaren erwartete Kaden am Bahnhof Capo di Ponte.

      »So, Sie wollen also die prähistorischen Petroglyphen, die seit 1979 von der UNESCO als Welterbe anerkannt wurden, in Augenschein nehmen«, sagte er mit Schalk in den Augen. »Aktuelle Schätzungen gehen inzwischen von etwa 300.000 aus. Sie sind auf einer Strecke von 25 Kilometern entlang des Tales verteilt und liegen auf Höhen zwischen 25 und 1400 m über dem Meeresspiegel. Sie werden heute also nicht alle schaffen.«

      »Das ist auch nicht nötig. Mich interessieren besonders die Figuren, die von Anhängern der Paläoastronautik für Astronauten gehalten werden.«

      »Ah so, das schränkt die Auswahl erheblich ein. Und dafür müssen Sie sich auch nicht als Bergsteiger betätigen. Wir werden nur etwas wandern.«

      »Wie beruhigend.«

      »Aber sein sie nicht enttäuscht. Es sind nur drei an der Zahl.«

      »Das ist doch besser als nichts.« Kaden ließ sich seine leise Enttäuschung nicht anmerken.

      Nach einem Fußmarsch von etwa einer halben Stunde präsentierte Villa die erste interessante Ritzung auf einem Felsplateau.

      »Na, wenn das kein Helm eines Astronauten ist, dann weiß ich nicht«, sagte Kaden aufgeregt. »Das in seiner linken Hand könnte eine Art Strahlenwaffe sein. Und über ihm schwebt die Camunische Rose.«

      »Ja, auch Wolkenkreuz genannt. Bekannt aus dem Wappen und der Flagge der Lombardei. Wissen Sie, wer die Camunni waren?«

      »Weshalb waren? Soviel ich weiß, gibt es heute noch Bewohner des Tals, die so heißen.«

      »Ja, aber das sind Camuni, mit nur einem N. Damit grenzt man sie von den antiken Camunni ab. Das war nämlich die eisenzeitliche Bevölkerung im Val Camonica. Etwa im 1. Jahrtausend v. Chr.. Ihre Herkunft ist ungeklärt Aber das Val Camonica ist durch eine Jahrtausende alte Tradition gekennzeichnet, die mindestens bis ins Frühneolithikum zurückreicht.«

      »Interessant. Habe ich wieder was gelernt.«

      »Und was den angeblichen Astronauten betrifft: Archäologen und anerkannte Wissenschaftler halten die Figur eher für einen Krieger, allenfalls für einen Schamanen oder eine mythologische Gestalt.«

      »Ich weiß, diese Erklärung muss immer herhalten, wenn man nicht weiter weiß. Ich finde, die Rose, die da über ihm schwebt, könnte mit etwas Fantasie ein Raumschiff sein.«

      Augusto Villa lächelte vielsagend.

      »Lachen Sie mich aus?«

      »Keineswegs. Jeder macht sich seine eigenen Gedanken beim Anblick dieser Zeichnungen. Wollen wir uns jetzt die beiden anderen ansehen?«

      »Gern.«

      Die beiden Männer liefen ein Stück durch den Wald und fanden bald darauf an einem Abhang die gesuchte Darstellung.

      »Ah, die beiden stehen nebeneinander. Also, wie ein Kampf sieht das für mich nicht aus«, sagte Kaden. »Die Lage kommt mir allerdings wie versteckt vor.«

      »Da gebe ich Ihnen Recht. Es wirkt fast, als sollte es ein Geheimnis bleiben. In der Nähe des Monte Musinè gibt es noch weitere interessante Objekte wie die Steinräder von Il Marometto oder die Spiralen auf einem Fels in der Nähe des Dorfes Monbatero. Kamile Barbieri wohnt doch ganz in der Nähe, so viel ich weiß. Vielleicht begleitet sie Sie zu einem Spaziergang. Als Historikerin dürften ihr die Funde bekannt sein.«

      »Ja, das würde mir gefallen. Vielen Dank für den Tipp. Stehen Sie ihr privat nahe? Wenn ich fragen darf. Ich meine, sie ist eine sehr attraktive Frau.«

      »Das ist sie ohne Zweifel, aber ich bin verheiratet und verkehre nur freundschaftlich und kollegial mit ihr.«

      Umso besser, dachte Kaden, sagte aber: »Gut, dann hätten wir das auch geklärt.«

      »So, du willst mir also diesen italienischen Amerikaner auf den Hals hetzen«, sagte Basilio Barbieri zu seiner Tochter.

      »Sei bitte nicht melodramatisch, Vater. Er ist ein sehr netter Mann und hat nur ein paar Fragen an dich. Du bist nicht verpflichtet, sie ihm zu beantworten.«

      »Er gefällt dir, nicht? Habe ich vielleicht doch noch eine Chance, Großvater zu werden?«

      »Ich kenne ihn seit zwei Tagen, da kann keine Rede von einer Heirat sein.«

      »Du glaubst doch an die Liebe auf den ersten Blick. Denke nicht, dass ich das vergessen habe.«

      »Also Vater, wirklich. Er ist nur ein Kollege, sonst nichts.«

      »Und deshalb kochst du für ihn? Ein Glas Wein hätte doch auch gereicht.«