doch das Geräusch ließ ihr keine Ruhe.
Neugierig trat sie ans Fenster und musterte aufmerksam die Umgebung. Es war keine Menschenseele zu sehen. Der kleine Garten hinter dem Haus, den sie liebevoll hergerichtet hatte, lag nackt und verwaist vor ihr. Schließlich wandte sie sich ab und lief hinunter in die untere Etage. Sie linste durch den Spion und stieß erleichtert die Luft aus. Niemand stand vor der Tür. In letzter Zeit war sie schreckhafter als sonst, warum auch immer, und sie wusste ganz genau, dass sie sich das Klopfen am gestrigen Tag nicht eingebildet hatte.
In der Küche angelte sie sich einen Schokoriegel aus der Packung und schob ihn in den Mund. Nervennahrung, dachte sie lächelnd, manchmal muss man auch sündigen. Dann nahm sie ihre Arbeit vor dem Rechner wieder auf. Der Wind heulte ums Haus und die Fensterläden klapperten. Heute war genau das richtige Wetter, um sich wie in einem Horrorfilm zu fühlen.
Aus der unteren Etage drang wiederholt ein Geräusch nach oben und Frija fühlte sich gestört. Mit einem Seufzen erhob sie sich und ging nach unten.
„Na, ausgeschlafen“, sagte sie zu Smilla.
Schnurrend strich ihr die getigerte Katzendame um die Beine und setzte sich anschließend demonstrativ vor die Tür.
„Willst du wirklich bei diesem Wetter raus?“, fragte Frija, während Smilla wiederholt an der Eingangstür kratzte und Freilauf einforderte.
„Ist ja schon gut, wie Madame befiehlt.“
Die Tür wurde Frija vom Wind beinahe aus der Hand gerissen und das Haar wirbelte ihr ins Gesicht.
„Lauf nicht so weit weg …“, rief sie der Katzendame besorgt hinterher, die davonstiefelte und sie keines Blickes mehr würdigte.
Frija wollte die Tür gerade wieder zusperren, als sie nur wenige Meter vom Haus entfernt einen roten Stofffetzen entdeckte, der sich in den Sträuchern verfangen hatte.
„Was zum Teufel …“
Mit nur wenigen Schritten war sie am Gebüsch angelangt und griff nach dem roten Stoff. Sie rieb das Material skeptisch zwischen ihren Fingerspitzen und hob ihren Blick, um sich genauer umzusehen. Irgendetwas stimmte hier nicht, das konnte sie deutlich spüren. Oder wurde sie mit der Zeit paranoid?
Sie lief zurück zum Haus, knallte die Tür hinter sich zu und lehnte sich mit dem Rücken an das weiß lackierte Holz. Erneut betrachtete sie das ausgefranste Stück Stoff und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Es schien von einem Strickpullover zu stammen. Genau so einen hatte sie nach der Geburt ihrer Tochter gestrickt. War es tatsächlich möglich, dass sich jemand unbemerkt an ihren Sachen zu schaffen gemacht hatte?
Sie ließ den roten Fetzen achtlos auf die alte Kieferntruhe fallen, riss die Kellertür auf und stürzte die Stufen hinunter. Hier, in Plastikboxen vor der Feuchtigkeit geschützt, lagerten die Schätze aus ihrem früheren Leben. Keuchend stapelte sie die Boxen um und stieß einen freudigen Schrei aus, als sie die Babykleidung von Sara gefunden hatte. Mit fliegenden Fingern wühlte sie in den bunten Sachen und zog einen roten Strickpullover hervor. Gott sei Dank, sie hatte noch alle Sinne beisammen.
Liebevoll drückte sie das winzige Kleidungsstück an ihre Brust und erinnerte sich an die Geburt von Sara – den schönsten Moment ihres Lebens, als sie das kleine Bündel endlich in ihren Armen halten durfte. Ihre Tochter war schon damals ein willensstarkes Kind gewesen und hatte ihren Unmut lautstark zum Ausdruck gebracht.
Mit einem seligen Lächeln sammelte Frija die Kleidungsstücke wieder ein und faltete sie zusammen. Dann schob sie die Boxen wieder zurück an ihren angestammten Platz und verließ mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck den Keller. Vielleicht half die Packung Johanniskraut im Küchenschrank, die sie dort für den Notfall aufbewahrt hatte. Sie machte sich mit ihrer inneren Unruhe noch total verrückt.
Mit einer Tasse Kaffee kehrte sie für drei weitere Stunden an den Schreibtisch zurück und hatte endlich die zündende Idee, die ihren anspruchsvollen Kunden überzeugen würde. Das neue Konzept könnte ihm gefallen, davon war sie felsenfest überzeugt. Aber für heute war Schluss.
Sie stand auf, streckte sich und warf erneut einen Blick aus dem Fenster. Von Smilla fehlte jede Spur und auch der Sturm hatte noch nichts von seiner Kraft eingebüßt. Nach wie vor peitschte der Wind die Wellen hart gegen das Ufer und die kahlen Wipfel der Bäume beugten sich mit jeder Bö. Früher hatte Frija diese Wetterkapriolen gemocht, wenn sich nicht einmal mehr die mutigsten Wanderer aus dem Haus getraut hatten. Dann war ihr das falunrote Häuschen wie eine Festung erschienen, in der sie sich sicher fühlte wie in Abrahams Schoß.
Sie löste sich vom Anblick des Sees und ging hinunter in die Küche, um das Essen zuzubereiten. Das war einer der großen Vorteile, wenn man von Zuhause aus arbeitete. Egal wann ihre Tochter Schulschluss hatte, dass Essen stand immer frisch gekocht auf dem Tisch.
Heute sollte es Pytt i Panna geben, knusprige Schinkenwürfel mit Kartoffeln und einem Spiegelei obendrauf. Eine schnelle Mahlzeit, da sie Sara gleich von der Schule abholen musste. Sie schälte die Kartoffeln, würfelte den Schinken und röstete sie in der Pfanne. Dann wusch sie sich die Hände, zog sich ihre Jacke über und verließ das Haus. In der Garage neben dem Haus stand ein Geländewagen, den sie sich nach jahrelangem Sparen endlich geleistet hatte. Sie verdiente nicht schlecht und ein robustes Fahrzeug war bei diesen unberechenbaren Witterungsbedingungen unverzichtbar.
Das elektrisch angetriebene Garagentor glitt nach oben und nur wenige Sekunden später heulte der Motor auf. Die Strecke bis zum Dorf betrug nur zwei Kilometer, ein Katzensprung. Frija fuhr einen unbefestigten Schotterweg entlang, der stellenweise durch den Wald führte. Der Wind traf seitlich auf das Fahrzeug und sie musste kraftvoll gegenlenken.
Die ersten Häuser von Svanberga tauchten vor ihr auf und sie bog schwungvoll auf die Hauptstraße ab, die zur Schule führte, wo sie den Wagen auf dem Parkplatz abstellte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie sich noch fünf Minuten bis zum Schulschluss gedulden musste.
Ein schwarzer Wagen zockelte im Schritttempo an Frija vorüber und ihr Herzschlag setzte für eine Schrecksekunde aus, als sie den Mann hinter dem Steuer bemerkte. Die Kappe, das rot-schwarz-karierte Hemd, der Vollbart …
Hastig wischte sie sich über die Augen und riskierte einen zweiten Blick. Sie hatte sich getäuscht, das war nur Thore, der als Holzfäller in den umliegenden Wäldern arbeitete. Was, verdammt noch einmal, war nur los mit ihr?
Endlich ertönte die Schulglocke und Frija atmete auf. Sara verließ mit Svea, ihrer besten Freundin, das Schulgebäude und winkte ihr zu. Sie öffnete die Autotür und pfefferte ihren Schulrucksack auf den Beifahrersitz.
„Hallo Mam. Was dagegen, wenn wir Svea bei ihr zu Hause absetzen?“
„Nein, kein Problem, ist nur ein kleiner Umweg.“
Die Mädchen stiegen ein und nahmen auf der Rückbank Platz. Frija startete den Motor und fuhr los.
„Und, wie ist die Bio-Klausur gelaufen?“, fragte sie und musterte Sara im Rückspiegel. Wie schnell die Kinder doch groß wurden. Hatte ihre Tochter nicht erst gestern mit einem Zahnlückenlächeln im Kindersitz gesessen und ein Eis geschleckt?
„Ging so“, antwortete Sara einsilbig.
„Jetzt komm schon, lass dich nicht immer bitten“, bat Frija. Die Zeiten waren vorbei, in denen Sara wegen jeder Kleinigkeit zu ihr gekommen war. Sie vermisste diese enge Bindung, die sich allmählich aufzulösen schien. Aber so war das Leben. Altes verging, um Neuem Platz zu schaffen.
„Ich denke, dass ich mit einer gute Note rechnen kann. Die Fragen waren zwar kompliziert formuliert, aber im Großen und Ganzen konnte ich alle beantworten.“
Svea saß neben Sara und grinste breit.
„Wollt ihr euch später noch treffen? Ich meine nur, wegen des stürmischen Wetters.“
„Nein, nein, wir sind doch nicht lebensmüde“, antwortete Svea lachend. „Wir müssen nur noch für Mathe üben und falls wir Fragen haben, gibt es ja noch den Messenger.“
„Tja, die Vorteile