Alf Harbich

Die Magische 10


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allem dann verführerisch, wenn sie im Hintergrund bleibt. Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe Ewigkeit!, schrieb Friedrich Nietzsche. Albert Camus verglich die weiblichen Rundungen mit den Himmelsgewölben, von denen Mann sich einfach nicht trennen kann: Seitdem vermag ich diese von heftigen Leidenschaften erfüllten Geschöpfe nicht mehr zu trennen von jenem Himmel, an welchem ihre Begierde kreisen.

      Wir Männer bekennen uns jetzt öffentlich zu unserer Sucht nach dem weiblichen Geschlecht. Michel Focault schreibt in seinem Werk Sex und Wahrheit: Wie schön kann der Sex sein, wenn der Mann ihn mächtig und heilig hält und wenn er die Welt erfüllt? Er ist wie die Sonne, die euch überschwemmt und euch mit ihrem Licht durchdringt. 1985 sang Grace Jones diesen urgewaltigen Song: Slave to the rhythm! Hier ist der Songtext vom Produzenten Trevor Horn. Der Text beginnt mit einem Auszug von Penmans Buch The Annihilation of rhythm, und wird in dem Musikstück Slave to the rhythm von Ian Mc Shane in einer provozierend kalten, ja fast dämonischen Art vorgelesen.

      The Sound-Image by Grace Jones: Slave to the rhythm ( Intro)

      

       Rhythm is both! The songs manacle and its demonic charge. It is the original breath. It is the whisper of unremitting demand. What do you still want from me? What do you think you can still draw from my lips? Exact presence that no fantasy can represent. Purveyer of the oldest secret alive with the blood that boils again, and is pulsing where the rhythm is torn apart. How the singers blood is incensened in the depth of sound! Lacerations echo in the mouth´s open erotic sky. We dance together the lost frenzies of rhythm and imploring immobility. Ladies and Gentlemen! Ms. Grace Jones. Jones. The Rhythm.

      

      Das Orchester setzt ein. Eine brüderliche Hymne in den Farben weiß-schwarz-gelb kündet Großartiges in schweren Trompeten- und Geigenfanfaren an. Plötzlich hört man schrille Sklavenschreie, wie aus einem Dschungel kommend. Grace Jones schreit in schillernden Stimmlagen das Wort Slave! aus ihrer Seele. Das Gebrüll kommt aus allen vier Richtungen: Norden, Süden, Westen, Osten. Aus den afro-futuristischen Fanfaren werden schwarz-gelbe Blitzrhythmen. Das Schlagzeug setzt ein. Eine hypnotisierende Bassline bringt mich in den nächsten 3 Minuten in das POP-Universum, in dem jedes Wort und jeder Sound ein Symbol darstellen.

      Im Jahr 2015 beschrieb Roisin Murphy die Diva Grace Jones in diesen minimalistischen Worten: Grace Jones reduziert Dramatik auf eine Lampe, einen Sound oder eine Farbe. Mit so wenig schafft sie es, die wichtigen Statements zu formulieren. Mit so wenig schafft sie es, Grenzen zu übersteigen: Von Frau zum Mann, vom Mann zum Roboter, vom Roboter zur französischen Chansonsängerin, die unter Tränen auf der Bühne mit einer Ziehharmonika Edith Piafs Chanson La vie en rose singt. Der französische Autor, Modedesigner und Videoproduzent Jean Paul Goude verwandelte Grace Jones in eine POP-Ikona der 1980er.

      Und dann setzt die Killerstimme von Grace Jones wirklich ein. Provozierend faucht sie wie eine wilde eingesperrte Katze, die schon vor viel zu langer Zeit in diesen Käfig eingesperrt wurde. Natürlich will sie will so schnell wie möglich entfliehen. Jedoch verschließt ein altes verrostetes Schloss das Tor zur Freiheit. Das Drama spielt sich im Käfig ab. Der Käfig ist die Welt ̶ Henry Miller.

      Die Katzenfrau trägt ein Schild um den Hals: Do not feed the animal! Denn das elegante Raubtier würde Sie gerne mit Haut und Haaren auffressen. Je mehr Blut in diesem Spiel fließt, umso besser schmeckt es ihr. Dieser schwarze Engel brüllt in einer Brachialität und Schönheit, sodass meine Sinne noch heute still stehen. Der Mund ist weit geöffnet. Das (S)Ex-Bond-Girl Grace Jones legt los:

      The Sound-Image by Grace Jones: Slave to the Rhythm

      

       Axe to wood in ancient times. Man-machine. Production line. The fire burns. The heart beats strong. Sing aloud: The Chain Gang Song: Never stop the action! Don´t give it up! Never stop the action! Keep it up! Slave to the rhyrthm! Dance to the rhyrhm! Work to the rhythm! Breath to the rhythm! Slave to the rhythm!

      

      Jetzt befreie ich meine Philosophiebücher von ihrem Staub. POP ist nicht tot. Philosophie ist mehr als nur Bla, Bla, Bla. Die Philosophie verfolgt das Ziel, eine Identität zwischen Gott und dem Menschen herzustellen. Deswegen werde ich die begrabenen Trümmer einer uralten Weisheit mit meinen eigenen Händen wieder aus der Mutter Erde ausgraben. Durch dieses Buch gebe ich der POPkultur wieder ihren höheren Sinn, den ihr einst Bob Geldorf 1985 mit Live Aid for Africa und Live 8 im Jahr 2005 verlieh. Bob Geldorf wollte nicht nur eine Brücke nach Afrika bauen Es ist eine Brücke über alle Grenzen hinweg – über alle Nationen und über alle Generationen. Wenn es den Vereinten Nationen wirklich gelingen sollte, eines Tages alle Länder friedlich und diplomatisch zu vereinen, dann würde die Welt in einem neuen Licht vor unseren Augen erscheinen: Die Welt wäre eine Super-macht. Hello World! Alle Staaten wären Superstaaten. Alle Männer wären Supermänner. Hello Superman! Alle Frauen wären Superfrauen. Hello Superwoman! Ich stehe mit beiden Beinen fest in den Wolken, schrieb einst Hermann van Veen.

      Music and Dance! I express myself as a member of higher community! And I´m raving towards the air! Diesen Track spielte Westbam auf der Loveparade in Berlin im Jahr 1993. Mit dem DJ-Urgestein Africa Islam produzierte er 1998 diesen Hit: New World Order! Eine neue Welt-Ordnung? Wie wird diese neue Weltordnung nun wohl aussehen? Schon zu Beginn der 1990er Jahre schrieb DJ Westbam mehrere Bücher über Techno-Pop, und setzte Pop-Life, Pop-Kultur oder Pop-Alles mit Religion gleich. In einem Musikvideo verkleidet er sich als Techno-Papst, der auf einem alten klapprigen Fahrrad über die Feldwege zur Bergkirche radelt, um dort seine Predigt vorzutragen: Jo, mer sein mim Radl do! oder I´m a Beatbox Rocker, and you´re dancing to my beat!

      Er weiß, wovon er spricht, denn er studierte vor vielen Jahren katholische Theologie, bevor er im Berliner Club Tresor oder auf der jährlich stattfindenen Mayday in Dortmund das Sonic-Empire verkündete. In den 1990er Jahren beteten wir die Musikmaschinen wie Gottheiten an. Die gigantischen Lautsprecher auf der Loveparade in Berlin waren so groß und breit, dass Menschen stundenlang auf ihnen tanzten. Auch auf den Ampeln und Straßenschildern, in den Bäumen, auf den Dächern der Hochhäuser und auf den geschmückten Wagen und Anhängern tanzten und feierten Millionen durch das bunte Wochenende. Wir sind eins. Die Freundschaft umtanzt den Erdkreis, uns allen verkündend, dass wir eins sind ̶ Epikur.

      Zwei 1210er-Technics-Schallplattenspieler mit einem Mischpult in der Mitte wurden zu Schaltzentralen, um neue Ideen umzusetzen. Man konnte z.B. Mozarts Totenmesse mit dem Track des Londoner DJ-Duos The Chemical Brothers sampeln: Right here, right now! Right here, Right now! Right here, right now! Nun versuche ich, Klänge, Laute und Beats in diese Zeilen zu schreiben, um den Geist der elektronischen Musik in diesen Zeilen auszudrücken: The Block Rockin´ Beats. Durch Phantasie entsteht aus meinem Buch schnell ein digitaler Zauberkasten. Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien, schrieb einst Ocsar Wilde.

      Mein Freundeskreis baute sich zu Hause sein eigenes Soundstudio auf: Die Roland 303, ein Synthesizer, die alte Atari-Console aus den 80er Jahren, der Computer und die E-Gitarre am Verstärker angeschlossen ‒ mit dieser Hardware bastelten wir an dem, woran wir wirklich glaubten: Electronic Body Music. Jeder konnte jetzt als Dirigent, Produzent oder Künstler seinen digitalen Zauberkasten zusammenschrauben. So bekam unser Leben einen völlig neuen Drive ‒ Deus ex machina ‒ der gute alte Techno-Sound aus Europa und den USA wurde größer und mächtiger. Es dauerte nicht lange, bis in Berlin, New York und London House-Parties auch in Kirchen gefeiert wurden. Techno-Kultur wurde zum Rad des neuen Lebens. Heute ist es ein universales Riesenrad, welches sich dreht, und dreht, und dreht, und dabei immer mächtiger und größer wird. Die Synthese von Kunst und Leben bildet sich von Sekunde zu Sekunde weiter aus. Der Mikrokosmos Techno-POP wird zum Makrokosmos Future-Pop. Jede Sekunde wird zu einem Beginn neuen Lebens.

      Platon schrieb, dass wir die Wahrheit nicht im Leben fänden, sondern nur in der Kunst. Der Mensch glaube vielmehr an das, was