Anton Tschechow

Die Bauern


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Feuer die Tauben herumflogen und daß die Leute im Wirtshause, die von der Feuersbrunst noch nichts wußten, noch immer sangen und Ziehharmonika spielten, als ob nichts los wäre.

      »Beim Onkel Ssemjon brennt's!« rief eine laute, raue Stimme.

      Marja lief weinend, händeringend, vor Angst mit den Zähnen klappernd, vor ihrem Hause hin und her, obwohl die Feuersbrunst weit entfernt, am anderen Ende des Dorfes war; Nikolai kam in seinen Filzstiefeln heraus, auch die Kinder in ihren Hemdchen. Beim Hause des Schulzen begann man auf ein eisernes Brett zu schlagen. Bim, bim, bim ... zog es durch die Luft, und dieses unaufhörliche, schnelle Läuten ließ alle Herzen sich zusammenkrampfen und erkalten. Die alten Weiber standen mit den Heiligenbildern vor ihren Häusern. Man trieb die Schafe, Kälber und Kühe aus den Ställen auf die Straße und trug die Koffer, Schafpelze und allerlei Hausgerät hinaus. Der Rapphengst, den man nicht zu den anderen Pferden ließ, weil er immer ausschlug und die anderen verwundete, rannte wiehernd zweimal durchs Dorf, blieb plötzlich vor einem Wagen stehen und begann ihn mit den Hinterbeinen zu bearbeiten.

      Auch in der Kirche drüben begann man zu läuten.

      In der Nähe des brennenden Hauses war es heiß und so hell, daß man jeden Grashalm auf dem Boden unterscheiden konnte. Auf einem der Koffer, die man gerettet hatte, saß Ssemjon, ein rothaariger Bauer mit großer Nase, in kurzem städtischen Röckchen und einer tief über die Ohren gestülpten Mütze; seine Frau lag ohnmächtig mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden und stöhnte. Ein wohl achtzigjähriger, kleiner Greis mit großem Bart, der hier fremd war, aber irgendeine Beziehung zu der Feuersbrunst zu haben schien, ging ohne Mütze, mit einem weißen Bündel in der Hand, auf und ab; in seiner Glatze spiegelte sich das Feuer. Der Dorfälteste, Antip Ssedjelnikow, schwarzhaarig und braun wie ein Zigeuner, kam mit einer Axt vor das Haus, schlug, ohne ersichtlichen Grund, alle Fenster ein und begann dann auf die Treppe einzuhauen.

      »Weiber, Weiber her!« schrie er. »Die Maschine her! Rührt euch!«

      Die gleichen Bauern, die sich soeben im Wirtshause vergnügt hatten, schleppten die Feuerspritze herbei. Alle waren betrunken, stolperten und fielen hin, alle blickten hilflos drein und hatten Tränen in den Augen.

      »Mädels, Wasser!« schrie der Schulze, der auch betrunken war. »Rührt euch, Mädels!«

      Die Frauen und die Mädchen liefen hinunter zur Quelle, schleppten volle Eimer und Bottiche hinauf, gossen das Wasser in die Spritze und liefen wieder fort. Auch Olga, Marja, Sascha und Motjka halfen mit. An der Spritze arbeiteten Weiber und Jungen, der Schlauch zischte, der Schulze richtete den Strahl bald auf die Türe, bald auf die Fenster und drückte zuweilen den Finger auf die Mündung, und der Schlauch zischte dann noch lauter.

      »Gut so, Antip!« ermunterte man ihn: »Gib dir Mühe!«

      Antip stürzte sich in den schon von den Flammen ergriffenen Hausflur und schrie von dort:

      »Pumpt! Gebt euch Mühe, ihr Rechtgläubigen, anläßlich eines solchen Unglücksfalles!«

      Die Bauern drängten sich vor dem Hause, rührten keinen Finger und sahen ins Feuer. Niemand wußte, was anzufangen, niemand konnte etwas, in der Nähe gab es aber Getreideschober, Scheunen und Haufen Heu und Reisig. Auch Kirjak und der alte Ossip, sein Vater, standen, beide angeheitert, dabei. Um zu zeigen, daß er doch nicht ganz teilnahmslos sei, redete der Alte der Frau, die auf dem Boden lag, zu:

      »Was grämst du dich so, Gevatterin? Das Haus ist doch versichert, brauchst dich nicht zu sorgen! ...«

      Ssemjon wandte sich bald an den einen, bald an den anderen und erzählte, wie die Feuersbrunst angefangen hatte:

      »Dieser alte Mann mit dem Bündel war mal leibeigener Koch beim General Schukow, Gott hab ihn selig. Kommt abends zu mir und bittet: ›Laß mich bei dir übernachten ...‹ Nun, wir tranken je ein Gläschen, wie es so geht ... Meine Alte setzte den Samowar auf, um den alten Mann mit Tee zu bewirten, und ließ den Samowar zur unglücklichen Stunde im Hausflur stehen. Die Funken flogen aus dem Rohr direkt aufs Dach, und so fing das Feuer an. Um ein Haar wären wir selbst verbrannt. Dem Alten ist die Mütze verbrannt, dieser Jammer!«

      Man schlug noch immer auf das eiserne Brett, und auch drüben hörte das Sturmläuten gar nicht auf. Olga blickte entsetzt die roten Schafe und die rosa Tauben an, die im Rauche herumflogen, und lief atemlos herauf und hinunter. Es war ihr, als hätte dieses Läuten ihr Herz durchbohrt, als würde diese Feuersbrunst niemals aufhören, als hätte sie ihre Sascha verloren ... Und als im brennenden Hause krachend die Decke einstürzte, wurde sie vor dem Gedanken, daß nun das ganze Dorf niederbrennen würde, ganz schwach; sie konnte kein Wasser mehr schleppen, setzte sich am Rande des Abhanges und stellte die beiden Eimer neben sich. Neben ihr und tiefer saßen andere Weiber und jammerten wie im Hause eines Verstorbenen.

      Da kamen aber vom Gute am anderen Ufer Arbeiter und Angestellte in zwei Wagen gefahren und brachten ihre eigene Feuerspritze mit. Hoch zu Roß kam ein sehr junger Student in offener weißer Litewka. Sie begannen sofort mit den Äxten zu arbeiten, lehnten an das brennende Haus eine Leiter an, und fünf Mann kletterten zugleich hinauf, an der Spitze der Student, der ganz rot war und mit heiserer Stimme schrie, in einem Tone, als ob das Feuerlöschen seine gewohnte Beschäftigung wäre. Man zerlegte das Haus in einzelne Balken; ebenso demolierte man den Stall, den Zaun und den nächsten Schober.

      »Warum zerstören!« klang es aus der Menge unzufrieden. »Laßt es nicht zu!«

      Kirjak ging entschlossen auf das Haus zu, als wollte er die Fremden hindern, das Haus zu demolieren, aber einer der Arbeiter drehte ihn um und schlug ihn auf den Nacken. Viele lachten, und der Arbeiter versetzte ihm noch einen Schlag. Kirjak fiel hin und kroch auf allen Vieren zurück.

      Von drüben kamen auch zwei hübsche junge Mädchen in Hüten, offenbar die Schwestern des Studenten. Sie standen in einiger Entfernung und sahen zu. Die auseinandergenommenen Balken brannten nicht mehr, aber rauchten noch; der Student, der mit dem Schlauch arbeitete, richtete den Strahl bald auf diese Balken, bald auf die Bauern, bald auf die Weiber, die das Wasser herbeischleppten.

      »George!« riefen ihm die jungen Mädchen vorwurfsvoll und besorgt zu: »George!«

      Die Feuersbrunst war zu Ende. Als die Leute auseinandergingen, merkten sie, daß schon der Morgen dämmerte und daß alle Gesichter ungewöhnlich bleich und leicht gebräunt erschienen; so kommt es einem immer am frühen Morgen vor, wenn am Himmel die letzten Sterne erlöschen. Die Bauern lachten und machten Witze über den Koch des Generals Schukow und über seine verbrannte Mütze; sie faßten das ganze schon als eine Unterhaltung auf, und es tat ihnen beinahe leid, daß die Feuersbrunst so schnell zu Ende war.

      »Sie haben gut gelöscht, Herr!« sagte Olga zum Studenten. »Sie sollten zu uns nach Moskau kommen: da ist wohl jeden Tag eine Feuersbrunst.«

      »Sind Sie denn aus Moskau?« fragte eines der jungen Mädchen.

      »Gewiß. Mein Mann war im Slawischen Bazar angestellt. Und das ist meine Tochter,« sagte sie, auf Sascha zeigend, welche fror und sich an die Mutter schmiegte. »Ist auch eine Moskauerin.«

      Die beiden jungen Mädchen sagten dem Studenten etwas auf Französisch, und dieser reichte Sascha ein Zwanzigkopekenstück. Als der alte Ossip es sah, leuchtete in seinem Gesicht eine Hoffnung auf.

      »Man muß Gott danken, Euer Hochwohlgeboren, daß kein Wind war,« sagte er, sich an den Studenten wendend, »sonst wären wir alle in einer Stunde verbrannt. Euer Hochwohlgeboren, liebe gnädige Herrschaften,« fügte er verlegen, etwas leiser hinzu, »der Morgen ist so kalt, und ich möchte mich gerne wärmen ... wenn Euer Gnaden mir für eine halbe Flasche spendieren wollten ...«

      Man gab ihm nichts. Er räusperte sich und ging langsam nach Hause. Olga stand am Abhang und sah, wie die beiden Wagen durch den Fluß heimfuhren und wie die Herrschaften über die Wiese zur Equipage gingen, die sie am anderen Ufer erwartete. Nach Hause zurückgekehrt, erzählte sie ihrem Mann entzückt:

      »So vornehm! Und so hübsch! Und die Fräuleins sind wie die Engel Gottes!«

      »Zerspringen sollen sie!« versetzte die verschlafene Fjokla gehässig.