Cornelius Keppeler

Liebe


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Liebe, Tod und Auferstehung. Die Mitte des christlichen Glaubens, München 2005, 100.

      2 Schockenhoff, Eberhard, Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg 2007, 295.

      3 Ebd.

      4 Ebd., 269.

      5 Ebd., 295.

      2. Nächstenliebe und Gottesliebe

      Das Verhältnis von Nächsten- und Gottesliebe wird in der Theologie als sehr eng begriffen. Eberhard Schockenhoff beschreibt Gedanken von Karl Rahner aufgreifend diesen Zusammenhang wie folgt: „Wo der Mensch sich im Grundakt seiner Freiheit, der radikalen Hinwendung zum menschlichen Du, der Tiefendimension seiner Existenz öffnet, da ist er auf das absolute Geheimnis Gottes hin geöffnet.“1 Die Nächstenliebe wird dabei als „primäre[r] Akt der Gottesliebe“2 verstanden, weil diese konkrete Tat zwar zunächst dem Nächsten gilt, sie aber zugleich Ausdruck der Gottesliebe ist. An diesem Punkt sind jedoch zwei mögliche Missverständnisse auszuschließen. Einerseits wird mit der Rede von einer »Einheit« von Nächsten- und Gottesliebe keine Identität ausgesagt, sondern vielmehr zwei voneinander zu unterscheidende Momente des einen Liebesaktes. So kann sowohl festgestellt werden, dass jeder sittliche Akt zugleich einen Heilsakt darstellt3, als auch, dass „nicht jeder Akt der Gottesliebe (…) ein formeller Akt der Nächstenliebe“4 sein muss. Das zweite Missverständnis bezieht sich auf die Art und Weise, wie – oder besser: als was der Nächste zu lieben wäre. Hierbei sind zwei Fehlformen zu nennen. Rahner betont zunächst, Nächstenliebe sei „die liebende Kommunikation mit dem menschlichen Du als solchem (nicht als bloße Negativität oder Andersheit für das ›Ich‹, das bloß sich selbst finden will, wenn auch am anderen).“5 Sodann weist er darauf hin, „daß ›die Liebe um Gottes willen‹ gerade nicht bedeutet: Liebe zu Gott allein am ›Material‹ des Nächsten als Gelegenheit zur bloßen Gottesliebe“6. Die Nächstenliebe darf also nicht als Mittel zum Zweck für die Gottesliebe werden, sondern muss stets tatsächlich den Nächsten meinen. Der Maßstab, wie dies im Idealfall aussehen könnte, liegt darin, „jeden so [zu] lieben, wie er von Gott geliebt ist.“7

      1 Schockenhoff, Eberhard, Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg 2007, 280.

      2 Rahner, Karl, Über die Einheit von Nächstenliebe und Gottesliebe, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 12: Menschsein und Menschwerdung Gottes, Freiburg 2005, 76-91, 90.

      3 Vgl. ebd., 82f.

      4 Ebd., 82.

      5 Ebd., 84.

      6 Ebd., 87.

      7 Schockenhoff, Eberhard, Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg 2007, 264.

      3. Bloß Liebe

      Nach den grundlegenden Aussagen über den Begriff der Liebe werden nun mit einer Interpretation der Wortkombination »bloß Liebe« weitere Verständnisdimensionen erschlossen. Das Wort »Liebe« an sich umfasst – wie gesehen – bereits verschiedene inhaltliche Prägungen, so dass das Wortpaar ebenfalls auslegungsbedürftig ist. Die im Folgenden beschriebenen vier Bedeutungsebenen von »bloß Liebe« repräsentieren das breite Spektrum, wie unterschiedlich diese Aussage verstanden werden kann, und dokumentieren, wie diese Verschiedenheit Missverständnisse provoziert.

      Eine erste Verständnisweise von »bloß Liebe« betont die Einzigartigkeit der Liebe (»Lauter Liebe«). Dabei kann der Liebe nichts anderes den Rang ablaufen; nichts anderem gelingt es, ihren Wert zu übertrumpfen. Die Liebe nimmt hierbei eine tragende, eine absolute Rolle ein. Sie ist das Fundament für alles andere. Sie ist die Quelle, aus der alles andere sich speist, aus der alles andere Sinn und Zweck empfängt, auf die alles andere bezogen ist.

      Eine zweite Interpretation der Aussage »bloß Liebe« nimmt eine Verengung des Adjektivs vor, so dass dadurch der Liebe zwar eine Exklusivität zugesprochen wird, doch im Gegensatz zur ersten Verstehensalternative keine umfassende Sichtweise gemeint ist, sondern nun die Liebe primär in ihrer innerweltlichen Form in den Blick genommen wird (»Ausschließlich Liebe«).

      Eine dritte Bedeutungsweise betrachtet das Adjektiv »bloß« als Relativierung der Liebe im Sinne von »lediglich«. Sie setzt die vollzogene Abgrenzung des Liebesbegriffs der zweiten Alternative voraus und übernimmt dadurch eine Definition von Liebe, die ihr ihren unbedingten Charakter abspricht. In diesem Verständnis ist die Liebe entweder ein Element unter anderen oder sogar eine Kategorie, die geringeren Wert hat als vergleichbare andere Dinge. Die Liebe kann damit verzweckt, benutzt, vielleicht abgenutzt oder sogar vernutzt werden.

      Als vierte Variante öffnet das Adjektiv »bloß« auf ein Verständnis hin, nach welchem die Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit der Liebe ins Blickfeld gerückt wird (»Nackte Liebe«). In dieser Bedeutung tritt die Liebe als ohnmächtig auf, da sie nichts verlangt, nichts verlangen kann, sondern vielmehr sich schenkt und verströmt, ohne Gegenleistung, ohne Dank, ohne Hoffnung auf Reaktion oder gar Erfolg.

      3.1 Lauter Liebe

      Wenn in der christlichen Theologie Gott als Liebe beschrieben wird, so ist dies zum einen Ausdruck von konkreten Gottesbegegnungen zum anderen Resultat von Reflexionen über Grunderfahrungen, in denen zwischenmenschlich Erfahrenes auf Göttliches hin durchschaut worden ist. Wenn Gott jedoch als Liebe verstanden wird, so zeigt sich der Grund allen Seienden auch tief von Liebe geprägt. Das liebende Wesen Gottes, welches in dessen innertrinitarischem Beziehungsgefüge sichtbar wird, offenbart sich im Schöpfungsakt (creatio ex amore) und prägt diesen nachhaltig. Die drei Qualifizierungen der Schöpfung als creatio ex nihilo, creatio continua und creatio entis qua entis beschreiben dabei drei entscheidende Seiten der Liebe.

      In der creatio ex nihilo wird der Schwerpunkt auf das grundlose, bedingungslose Tun göttlicher Liebe gelegt. So wie Gott im Schöpfungsakt nicht auf vorgegebenes Material zurückgreift, das ihn, sein Schaffen und damit seine Liebe einschränken könnte, sondern allein aus Liebe heraus die Welt entstehen lässt und formt. So ist die Liebe zunächst nicht an äußerliche, materielle Gegebenheiten gebunden. Die Liebe findet ihren Grund einzig in sich.

      Die creatio continua beschreibt das beständige (Er-) Halten der Schöpfung im Sein. Gott schuf nicht am Anfang die Welt, um sie sich dann selbst zu überlassen, sondern er ist ihr bleibend verbunden; er hat sich bleibend an sie gebunden. Da die Schöpfung ihren Grund in der ewigen Liebe Gottes findet, fiele sie in nichts zurück, bräche dieser Grund weg. Die creatio continua betont demnach die Treue der Liebe. In dieser Treue beweist sich daher auch die wahre Liebe. Denn ist die Liebe tatsächlich unbedingt – ex nihilo –, können äußere Umstände diese nicht gefährden.

      Mit der creatio entis qua entis wird schließlich ausgedrückt, dass Gott das Seiende als Seiendes schafft. Dies bedeutet nicht nur, dass damit Gott als wesenhaft einzige Ursache erkannt wird, sondern dass Gott personales Leben als Adressaten seiner Liebe ins Dasein ruft.1 Die Beziehung Gottes zur Schöpfung bekommt eine neue Qualität, weil der Mensch als Person frei und liebend auf die göttliche Liebe antworten kann. Dem Moment der Freiheit kommt dabei eine fundamentale Bedeutung zu. An diesem Punkt wird die Komplexität des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, aber auch – bei aller Unterschiedlichkeit – des Verhältnisses zwischen zwei sich liebenden Menschen deutlich. Es ist ein Freiheitsakt, den anderen zu lieben; doch ist dieser Liebesakt, um vollkommen zu werden, abhängig vom Freiheitsakt des Anderen, auch zu lieben. Liebe ist demnach eine selbstlose Tat, die dem anderen den Raum gibt, sich zu entfalten, was auch bedeuten kann, (hierfür) keine Gegenliebe zu empfangen.

      Damit ist die erste Bedeutungsebene beschrieben. Die Liebe wird sowohl als einziger Grund des Seins – verstanden als dessen Anfang – als auch als dessen einziges Fundament und Inhalt betrachtet, da ohne die Liebe als Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf nichts