Robin Carminis

Lebenspfand


Скачать книгу

selbst erwischt.

      Mit bebenden Händen griff er nach dem Umschlag und klappte die Lasche auf. Sie war nicht verklebt. Er zog ein Schreiben heraus. Hellrotes, fälschungssicheres Synthetikpapier. Die komplette Seite war bedruckt und wies neben der persönlichen Anrede einige wohlwollende Worte, viele Zahlen und andere persönliche Daten auf. Doch das einzig Entscheidende prangte ganz oben. Ein einzelnes unheilvolles Wort - Kündigung!

      Als Samantha Gunnarsson eine Stunde später ebenfalls zum Dienst erschien, brachte sie Sato, wie üblich, sein Frühstück, obwohl sie eigentlich im anderen Teil des Gebäudes arbeitete. Sie betrat schwungvoll und ohne anzuklopfen das Büro ihres Freundes. Sato saß regungslos in seinem Arbeitssessel. Samantha bemerkte zunächst nicht einmal, dass etwas nicht stimmte, und schenkte dem Schreiben in seiner Hand keinerlei Beachtung. Sie ging davon aus, dass er sich gedanklich mit einem komplizierten Sachverhalt beschäftigte. Schließlich war das bei ihm nicht unüblich. Nichtsdestotrotz entschied sie, die Stille im Raum zu beenden.

      »Na du Träumer, guten Morgen! An welchem Problem arbeitest du gerade?« Statt die Begrüßung zu erwidern, hob Sato kraftlos den Arm mit dem Kündigungsschreiben in seiner Hand.

      »Sieh selbst«, gab er knapp zurück und seine Stimme klang dabei wie aus einer anderen Welt.

      »Was ist denn los?«, setzte Gunnarsson an. Dann fiel ihr Blick auf das plakativ groß geschriebene, erste Wort der Seite. Sofort wechselte ihre Gesichtsfarbe von Hellrosa zu Dunkelrot.

      »Kündigung! Was soll das heißen, Kündigung?«

      »Sie feuern mich, Sam.«

      »Aber du hast doch nichts falsch gemacht, Haruki.«

      »Das kannst du denen ja gerne mal erklären.«

      »Verdammt, das ist nicht fair. Wer hat dir die Kündigung gegeben?«

      »Sie lag auf dem Tisch, als ich vorhin ins Büro kam.«

      »Unverschämtheit!«, rief die junge Frau erzürnt aus. »Die hatten nicht mal den Anstand, mit dir persönlich zu sprechen?«

      »Das hielt man wohl nicht für nötig«, gab Sato sichtlich geknickt zurück. »Ich weiß aber, wer das hier hingelegt hat.«

      »Wer?«

      »Die Personalchefin Melissa Sommers höchstpersönlich. Ihr Parfüm lag noch in der Luft. Daran habe ich es erkannt. Sie hatte es auch während des Krisenmeetings aufgelegt.«

      »Na toll, ausgerechnet die …«, erboste sich Gunnarsson erneut. »Warum hat man nicht sie gefeuert? Sie hat schließlich Tomás Batedor eingestellt und nicht du.«

      »Irgendjemanden mussten sie verantwortlich machen, um den Schaden soweit wie möglich zu begrenzen. Samantha, ich bin nur das Bauernopfer.«

      »Verteidigst du die da oben etwa noch?«

      »Nein, überhaupt nicht, Sam«, seufzte Sato. »Am liebsten würde ich diesen gesamten selbstgefälligen Verein erwürgen. Du weißt genau, wie meine Familie reagieren wird. Eine Kündigung, egal aus welchem Grund, ist und bleibt ein Gesichtsverlust. O-tou-san wird sich schämen.« Er senkte den Kopf.

      »Das wird vermutlich so sein. Dein Vater ist in dieser Beziehung ziemlich traditionell, oder besser - altmodisch. Ich weiß noch genau, wie es deiner Schwester ergangen ist, als sie entschieden hatte ihr Studium abzubrechen.« Haruki schüttelte resignierend den Kopf.

      »Und wie sollen wir den Gehaltsverlust ausgleichen? Bei den Kosten die wir haben?«

      Samantha trat hinter ihren Freund, legte mitfühlend ihre Hände auf seine Schulter und begann behutsam sie zu massieren.

      »Es tut mir so leid, Schatz. Wegen des Geldes mach dir bitte keine Sorgen. Wir haben ja noch mein Einkommen.«

      »Das ist wahr, aber das wird nicht reichen, da sollten wir uns nichts vormachen.«

      »Okay, wir werden uns ein wenig einschränken müssen«, wiegelte sie seine Bedenken ab.

      »Allein die Wohnung kostet ein Vermögen. Und bis ich was Neues gefunden habe, ach was sag ich.« Kraftlos schob er ihre Hände beiseite.

      »Wahrscheinlich muss ich eine Umschulung oder Weiterbildung machen. Die Ausbildung zum Scoutsupporter ist zu speziell. Wer stellt mich damit ein?«

      »Ich könnte ausflippen. Die wissen gar nicht, was sie dir, was sie uns, damit antun. Typisch! Die haben nur einen Sündenbock gesucht.«

      Grimmig dreinblickend verschränkte sie die Arme vor ihrem Körper. Man konnte ihrem Gesicht ansehen, wie angestrengt sie nachdachte.

      »Wir werden etwas dagegen tun«, sagte sie entschieden. »Wann musst du gehen?«

      »Ende dieses Monats. Bis dahin soll ich alles an Peters übergeben. Meine Stelle wird vermutlich intern neu ausgeschrieben. Wenn du willst, kannst du dich ja bewerben.«

      »Also ehrlich, als wenn ich unter diesen Umständen damit glücklich werden würde. Außerdem fühle ich mich beim Historymonitoring wohl.«

      »Ich weiß, war nur ein Scherz.«

      »Bis Ende des Monats sagst du?«

      »Ja, warum?«

      »Dann bleiben uns noch zehn Tage Zeit.«

      »Zeit, wofür?«

      »Na was wohl? Um das Ganze ungeschehen zu machen natürlich.«

      Für einen Augenblick herrschte absolute Stille. Der letzte Satz verschlug Sato die Sprache.

      »Ich …, ich glaube, ich verstehe nicht?«

      »Doch, ich denke schon, mein Schatz«, gab sie entschlossen zurück. »Ich werde dir helfen, dass du alles wieder geraderücken kannst. Wir holen Tomás Batedor zurück.«

      »Soll das heißen, ich soll in die Vergangenheit reisen?«

      »Na klar, was dachtest du denn?«

      »Herrgott Sam, ich bin kein Historyscout. Das erlauben die niemals!«

      »Ich habe nicht vor, um Erlaubnis zu fragen, Haruki!«

      »Was dann? Auf eigene Faust etwa?«, brach es aus Sato heraus. »Das geht nicht, das können wir nicht tun.«

      »Selbstverständlich können wir das.«

      »Aber was ist mit dem Paradoxon? Es ist viel zu gefährlich. Ich habe den Vorstand doch gerade noch davor gewarnt.« Gunnarsson vollführte eine Bewegung mit der Hand in der Luft, als wollte sie seine Bedenken einfach beiseitewischen.

      Und dann bombardierte sie Haruki mit Theorien von Experten wie Thorne Junior oder Niloy Akemi. Harukis Miene zeigte deutlich, dass er an Samanthas Ausführungen ernsthaft zweifelte. Nur fielen ihm keine schlagkräftigen Gegenargumente ein. Tief in seinem Inneren wollte er ihr vielleicht auch gar nicht widersprechen.

      »Oder hast du eine belastbare Studie gefunden, die ich nicht kenne?« Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute ihn herausfordernd an. Sato schüttelte nachdenklich den Kopf.

      »Vertrau mir! Wir entfernen nur einen leptoquarkkleinen Staubpartikel aus dem Universum und bringen ihn zurück in seine Zeit. Lass uns erst mal einen Plan aushecken. Das Wichtigste ist, dass du Ruhe bewahrst und dich nicht verdächtig machst.« Sie schnappte sich einen Projektionsstift und startete damit eine Attacke auf das Holoboard.

      »Und wir fangen damit an, dass wir unsere Ergebnisse schön für uns behalten. Leite nur die unwichtigen Informationen weiter. Von dem Pseudonym Thomas Wayfarer, der Buchveröffentlichung und der Anomalie in 2015 muss keiner was erfahren, nicht wahr?« Sie warf ihm einen verschwörerischen Blick zu.

      Eine halbe Stunde später verließ die junge Frau mit grimmiger Entschlossenheit Satos Büro. Neben dem, was heute an regulärer Arbeit anstand, hatte sie nun ein paar zusätzliche Dinge vorzubereiten.

      Als