Edith Seo

Triaden-Liebchen


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tu´s doch, du Schwein.“ Tingting schien sich loszureißen. Ich konnte nicht mehr. Ich müsste mich gleich erbrechen. Sie sprachen von Mord und Totschlag, wer weiß von was für Verbrechen, und ich stand hier wie ein kleines Mädchen, das dringend kotzen musste. Tingting war eine Mörderin. Ihr war nicht schlecht in den entscheidenden Momenten. Ihr Körper versagte nicht. Sie aß und trank nicht. Sie zögerte nicht. Sie handelte. Und sie war entschieden in allem was sie tat. Wenn sie sich von jemandem gestört fühlte, versuchte sie ihn zu manipulieren. Wenn das nicht gelang, räumte sie ihn aus dem Weg. Wenn ich werden wollte, wie sie, müsste ich anfangen, mein Leben in die Hand zu nehmen.

      Ich erinnerte mich an einen Spruch, den der Mann, der im Flugzeug nach Shanghai neben mir gesessen hatte, gesagt hatte: „Wenn man Glück im Leben hat, bleibt man Zuschauer. Wenn nicht, ist man entweder Opfer oder Täter. Wofür entscheidest du dich?“ Ich fand den Spruch, oder besser die Frage etwas sinnentleert. Opfer, Täter. Die Stewardess hatte Nudelsuppe gebracht und der zweite Film begonnen.

      Tingting war eine Täterin, das war klar. Ich war ein Opfer, passiv und manipulierbar. Kann man so etwas ändern? Mir fiel die Pistole ein, die ich in der Tasche bei mir trug. Ich hatte die Waffe, Tingting trug nur ihren Qipao. Es wäre leicht, die Rollen zu vertauschen, oder nicht?

      Ich grübelte.

      Im Bad hatten sie aufgehört zu sprechen. Ich hörte ein seltsames gepresstes Atemgeräusch. Ein Röcheln.

      Dann befahl Xiao Li noch einmal:

      „Du tust, was ich dir sage.“ Ich ging etwas näher an die Tür und konnte Tingting sehen. Sie röchelte, Xiao Li hatte seine Hände um ihren Hals gelegt und drückte zu. Ich blieb fasziniert stehen. Ich war Zuschauerin. Er wird Tingting töten, dachte ich. Beklemmend war es nicht, es war spannend, aufregend. Adrenalin rauschte durch meinen Körper. Wenn jemand gewürgt wird und man nicht eingreift, ist man dann nur Zuschauer, oder ist man schon Mittäter? Wenn Tingting tot wäre, was wäre mit mir? Ich könnte ihren Platz einnehmen. Ich würde für Xiao Li …Er ließ sie los. Tingtings Hände fassten an ihren Hals. Sie schwankte. Schnappte nach Luft. Das durfte nicht sein. Ich griff in die Tasche, trat in die Tür, zielte auf sie und schoß.

      Tingting sackte zu Boden. Die Hände immer noch am Hals. sie atmete schwer.

      Xiao Li sah mich an. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem schiefen Lachen. Dann trat Blut aus seinem Mund und er fiel um. Langsam bildete sich eine Blutlache um ihn herum. Ich erbrach mich auf den Vorleger.

      Tingting sah mich erstaunt an.

      III. Entscheidungen

      Uralter Rotwein und ein paar Meter Entfernung können einen Plan verändern und damit die ganze Geschichte. Wenn ich keinen Wein getrunken hätte, wenn mir nicht schlecht geworden wäre und wenn ich etwas näher an den beiden gestanden hätte, wäre alles anders gekommen. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was alles hätte passieren können. Damit ein einziger Schuss tötet, muss man schon viel Übung haben, der Rückschlag ist groß und jede Waffe ist anders. Das weiß ich inzwischen.

      Ich schaute auf Xiao Li. Er sah aus, als sei er gänzlich ausgelaufen. Ich zitterte nicht. Das Erbrechen hatte gut getan. Ich ging langsam zum Waschbecken, legte die Waffe neben mich und wusch mein Gesicht. Tingting stand hinter mir, ich sah sie im Spiegel. Sie hatte ihren Hals losgelassen und sah mich ungläubig an.

      „Xiexie.“ hauchte sie. Danke.

      Dann nahm sie den Vorleger mit dem Erbrochenen, legte ihn in die Dusche und drehte den Hahn auf. Wir standen nebeneinander und betrachteten Xiao Li.

      Dann gingen wir, wie Zombies, ins Wohnzimmer. Beide im dunkelblauen Qipao. Ich sah unsere Schatten nebeneinander herschweben. Ich hatte Tingting töten wollen. Jetzt war ich für immer mit ihr verbunden. Nie würde ich frei von ihr sein. Andererseits hatte ich sie gerettet. Vor Xiao Li. Sie kannte eine andere Wahrheit als ich. Vielleicht war das auch nicht so schlecht.

      Wir sanken in die Sessel. Der Pianist spielte immer noch. Ob er den Schuss gehört hatte? Er war blind. Seine anderen Sinne mussten umso besser sein. Er ließ sich nichts anmerken und spielte weiter. Ein Blinder war ein schlechter Zeuge. Das wusste er. Er hatte nichts zu befürchten.

      Tingting goss mir und sich einen Klaren ein und wir saßen schweigend nebeneinander. Mörderinnen unter sich, dachte ich. Wie makaber.

      Nach ein paar Minuten gingen wir zurück ins Bad. Ich war verschwitzt und roch unangenehm. Ich fühlte mich matt. Ich sollte stolz sein, ermahnte ich mich selber. Aber worauf? Ich hatte den Falschen getötet. Mit Xiao Li hätte ich ein neues Kapitel beginnen können, als Triaden-Killerin. Ich fragte mich, ob ich dazu überhaupt im Stande gewesen wäre. Alles drehte sich. Ich hatte keinerlei Erfahrung mit dem Gebrauch von Waffen, ich wusste nicht, wann man wie tötet und wie man sich verhält, wenn der andere ebenfalls bewaffnet ist. Auch mit dem Beseitigen von Spuren hatte ich keinerlei Erfahrung. Morden ist kein Job wie jeder andere. Man muss es von Anfang an perfekt beherrschen, sonst ist es schnell vorbei. Mir war schlecht, ich bekam Hunger und gleichzeitig bereitete der Gedanke an Essen mir Ekel. Ich schwitzte übermäßig und ich würde durch jeden Lügendetektortest fallen. Eine feine Mörderin war ich.

      Wir hatten das Bad erreicht. Xiao Li lag noch genauso da, nur die Blutlache wirkte gestockt. Bald würde das Blut beginnen zu gerinnen, die Totenstarre würde eintreten und er würde anfangen zu riechen. Ich hatte nur ein bisschen Schnaps im Magen, sonst hätte ich mich sicher wieder erbrochen.

      Tingting unterbrach mein Grübeln:

      „Wir können ihn nicht hier liegen lassen.“ Sagte sie. „Er muss verschwinden.“

      Ich sagte nichts.

      „Wir könnten ihn aus dem Fenster werfen. Keiner würde wissen, woher er gekommen ist, hier oben und die Waffe kann ich einschmelzen lassen, ich kenne da…“

      „Tingting.“ fuhr ich sie an.

      „Oder…“ Tingting fing an zu keuchen, sie wurde nervös. Sie war wohl doch nicht so souverän, wie ich dachte.

      „Wir zersägen ihn. Wir könnten ihn zersägen. Mein Vater hat zuhause mehrere große Tiefkühltruhen, wir könnten seine Arme absägen und seine Beine und dann seinen Kopf und dann stecken wir die Einzelteile in Frischhaltefolie und tun sie ganz unten in die Truhen.“ Ekel kannte sie scheinbar nicht. Chinesen sind manchmal hart im nehmen, auch im Hinblick auf die Tiere, die sie so essen und deren Zubereitung.

      „Zersägen!! Geniale Idee, Tingting! Mein Großvater war Metzger. Ich weiß, wie schwer es ist Knochen zu zersägen. Du brauchst eine Knochensäge! Und verdammt viel Kraft.“ Ich schaute abschätzig auf das zarte Persönchen.

      „Aber ich kenne da jemanden, der würde…“

      „Tingting! Es reicht.“

      Ich schaute wieder auf Xiao Li, der mit ungläubigem Gesichtsausdruck und einem hämisch verzerrten Mund vor uns lag. Das Einschussloch befand sich genau über seinem Herzen. So gut zielt eigentlich nur ein Profi. Ich grübelte. In China, das war klar, galt die Todesstrafe. Es rollten immer wieder „Yan da“-„Hart zuschlagen“- Kampagnen durch das Land. Während dieser Phasen wurden Verbrecher reihenweise gehenkt. Aber war es nicht so, dass ich Tingting geschützt hatte? Ich sah sie an. Rot bildeten sich Würgemale an ihrem Hals. Ich hatte Alkohol im Blut gehabt, mir war schlecht, ich hatte ins Bad gewollt, um mich zu entleeren und da hatte ich Tingting in Bedrängnis gesehen. Ich hatte ihre Tasche in der Hand. Neugierige Frauen durchwühlen immer die Taschen ihrer Freundinnen. Und dann hatte ich Xiao Li erschossen. Nothilfe. Blieb allenfalls eine Anklage wegen unerlaubten Waffenbesitzes für Tingting.

      „Ich werde mich stellen.“ sagte ich laut. „Schau dir deinen Hals an. Ich habe dich geschützt. Sie werden mich laufen lassen und die Sache hier ist geklärt.“

      Tingting sah mich entgeistert an, so als sei ich ein exotischer Vogel oder völlig irre.

      „Sowas geht bei euch vielleicht. In Europa.“ Sagte sie, fast angewidert. „Wir sind hier in China.“

      „Und?“