Stefan Grau

Herzerwachen - Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!


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mit den Sperenzchen?«

      Grober Fehler.

      Moppelchen stieg nun nämlich von seinem Fahrrad ab und gestikulierte, Gewalt anzuwenden. Den Spruch: »Ich dachte, korpulente Menschen würden nur rollen!«, verkniff ich mir, als er auf mich zu marschierte. Hätte sowieso nix geändert. Den Gegner immer im Auge behalten, dachte ich mir. Und so wich ich mit geschmeidigen Zügen rückwärts vor dem Angreifer zurück, bis …

      Baum. Ehrlich? In dem verfluchten Park stehen drei Bäume! Von außen muss es wie in einem schlechten Spielfilm ausgesehen haben. Oh nein, ich steh mit dem Rücken zum Baum, rechts und links sind minderwertige Ausweichmanöver, die wendet man nicht an.

      So blieb ich hilflos am Baum stehen und kassierte ein Knie nach dem anderen in meinen Bauch. Fang bloß nicht an zu grinsen!, befahl mir mein Gehirn. Dem zugrunde lag, dass Moppelchen seine Knie so hoch ziehen konnte, wie mein Bauchnabel tief war. Trotzdem war es eine unangenehme, prekäre Situation. Ich setzte den wehleidigsten Ausdruck auf, den mein Gesicht zu bieten hatte.

      Da nach zwei Minuten der Spaß noch immer nicht aufgehört hatte, fing ich an, Leute, die derweil den Park durchquerten, anzuflehen, mir zur Hilfe zu eilen.

      Na gut, einmal erwischte ich eine um die achtzig geratene Dame, die nur verängstigt hochschaute und dann so schnell wie möglich mit ihrem Krückstock davonhumpelte. Hehe Kobolt!, kam es mir in den Sinn. Dann Schmerz.

      Stattliche Männer kümmerte es einen feuchten Furz, was die Jugend unter sich ausmachte. Deinen Enkeln werde ich auch nicht zu Hilfe kommen, Arschloch!, dachte ich.

      Im Nachhinein hätte ich alle auf unterlassene Hilfeleistung verklagen sollen.

      Irgendwann ließ er ab.

      Nach der Tortur waren meine Sinne total überreizt. Nicht nur, dass er mein Augenlicht mit seiner gottgleichen Erscheinung geblendet hatte. Nein, Fettwanst hatte anscheinend nach drei Jahren wieder eine sportliche Bewegung ausgeübt und dementsprechend nach Rosenblättern geduftet, was meinen Geruchssinn überflutete.

      Die schwabbeligen nassen Hände hatten alle Nervenbahnen in einer Eindringtiefe von zwei Zentimetern unter meiner Haut lahmgelegt. Und das unterbelichtete Geschwafel hallte immer noch in meinen Ohren.

      Zum Glück hatte er mich nicht abgeknutscht! Trotzdem wäre ich wahrscheinlich für die Notaufnahme bereit gewesen.

      Zu Hause angekommen fragten mich meine Eltern, warum ich so verstört wäre.

      »Ein quadratisch, praktisch, gutes Walross hat mich gerade verkloppt!«, antwortete ich.

      »Papa, gib mir deine alten Fitnessgeräte, ich fang an zu trainieren.«

      Und das tat ich auch! Ich stand morgens extra eine Stunde eher auf, um vor der Schule zu trainieren. Abends dann noch mal zwei Stunden Training, jeden Tag.

      ***

      Ähm … Aha, ich glaube, wir schweifen hier ein wenig ab. Und deswegen sind Sie der Auffassung, die Deutschen hätten keinen Zusammenhalt?, meldet sich der Interviewer aus meinen Gedanken.

       Neheeee, da kommt noch was!

      ***

      Zehnte Klasse, Dominik und ich hatten uns mit Andre angefreundet, der wohnte im Nachbardorf. Andre hatte mit der heißesten Braut unserer Schule ein Verhältnis/Beziehung, ich weiß nicht, wie man das in diesem Alter nennt. Auf jeden Fall kam uns dies nicht zugute.

      Da der Großteil der minderjährigen, türkisch abstammenden Bevölkerung im Nachbardorf der Meinung war, dass die attraktivsten, deutschen Mädchen in ihre Obhut gehörten, hatten sie einen Grund mehr, uns dreien die Hölle heiß zu machen.

      Wir waren zäh. Diverse Hetzjagden an Wochenenden, an denen Dominik und ich Andre besuchten und dort übernachteten, hatten wir um die Mitternachtsstunden erfolgreich überlebt. Das hält einen in Form, sag ich Ihnen.

      Wahrscheinlich wäre es jedoch schöner gewesen, nicht jedes Mal, mit Todesangst geplagt, durch die dunklen Gassen zu sprinten.

      Zum Glück hatten wir damals noch Informanten, die als eine Art Schnittstelle agierten. Sie sprachen mit den Peinigern und informierten uns über deren Kenntnisse. So war es üblich, dass man einen Anruf, wie: »Eh, die wissen, dass ihr euch an den Schrebergärten aufhaltet, die sind auf dem Weg!«, bekam und mal wieder lossprinten durfte.

      Es war ein warmer Sommertag, an dem ich mir am Schulhofkiosk ein Käsebrötchen von Mums hart erarbeiteten Geld gönnte. Es dauerte nicht lange, da war ich schon von einer Meute aggressiven, zähnefletschenden Mitbürgern umzingelt.

      »Gib mal Käsebrötchen ab!«, kam es über die sanften, zarten Lippen eines Mitgliedes der Eliteschüler. Zu zart, dachte ich, die Lippen sind zu zart. Die sollte man mit stumpfer Gewalteinwirkung entzarten!

      Ich aß mein Brötchen in Weltfrieden-Seligkeit weiter, bis die Anspannung und die damit einhergehenden Reaktionserwartung der Schachkursprofis ihre Augen aus den Augenhöhlen quellen ließ.

      Mit vollem Mund sprach ich: »Mnö moan, dfas hab ich gekauft!«

      Grober Fehler.

      In dem Moment, in dem ich wieder vernünftig zu sprechen vermochte, flog ein Speichel getränktes Stück Käsebrötchen gegen die Wange des Labello-Trägers. Stefan, du wirst auch nicht klüger, oder?, fragte ich mich selbst, obwohl es schon längst eine Feststellung war.

      »Das wirst du bereuen!«, kam es von der Rückzug antretenden Genossenschaft rübergehallt.

      Toll.

      Das eine Ich meinte: Hahaaaaah! Schlacht gewonnen! Während die andere Hälfte in meinen Gedanken die Hand vor den Kopf klatschte: Schlacht gewonnen, Krieg verloren, du Idiot!

      Da könnte was dran sein … Mist, das eskaliert immer so schnell bei denen.

      Ich erinnerte mich vage, dass wegen eines Aufmüpfigen, was ich sehr gerne war, auch mal ein Brüderchen mit Schusswaffe auf unseren Schulhof gekommen war. Die Lehrer hatten sich natürlich im Sekretariat verbarrikadiert und ließen die Schüler alleine auf dem Pausenplatz. Was für Memmen.

      Der Tag, an dem ich es bereuen sollte, sollte schnell folgen. Wir waren jung, wir waren naiv und begaben uns in die Höhle des Löwen, also in das Schwimmbad des Nachbardorfes. Dominik, Andre und ich wollten unsere Haut mit UV-Strahlung speisen. Hautkrebs ist ein Problem von Zukunfts-Stefan, dachte ich und legte mich mit meinen Freunden uneingecremt in die pralle Sonne.

      Kurze Zeit später verdunkelte sich meine, schon durchs Augenlid im Dimmmodus befindende Sicht ein wenig mehr. Blinzeln. Och nee, Lippenstiftträger, du schon wieder?, dachte ich mit schrecklicher Vorahnung.

      »Abrechnung, Junge!«, sagte der aus Froschperspektive riesig aussehende Normalsterbliche. Der Typ spart aber auch keine Worte!, dachte ich. Einen Aufsatz von dem würde ich ungern lesen.

      »Ja, was ist denn los?«, fragte ich zögernd.

      »Nicht hier, wir sprechen da vorne!«, erwiderte er und zeigte zu dem Sonnenplatz seiner fünfhundertzwei Freunde. Dumm, Stefan, dumm! Warum springt man denn eigenhändig in eine Schlangengrube? Nein, kein Ausweichen mehr! Zusammenreißen und durch! Die Gedanken sprühten nur so durch den Kopf.

      Auf dem Weg zum Fußballlager der Allstars kam mir ein regelrechtes Gejodel der dort Anwesenden entgegen.

      »Abrechnuuung, Abrechnuuung!«

      Mir graute es, Furcht kam auf! Wenn die durch meine Angst ausgeschütteten, biochemischen Botenstoffe atomare Strahlung freisetzen würden, wäre nun ganz Deutschland tot. Andererseits erinnerte mich das Gejodel an eine hyperintelligente Affenspezies, die sich darüber freute, ein neues Wort kennengelernt zu haben. Hehe Gollum!, kam es mir in den Sinn.

      »Was sollte das in der Schule?«, fragte mich der Abzurechnende.

      »Was für Schule?«, antwortete ich. Ich muss meinen Sprachgebrauch anpassen. Vielleicht denken sie dann, ich wäre ein Verbündeter!, fiel mir instinktiv