Wolfgang Eibner

Corona-Krise


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dass diese Wirtschaftsordnung eine im historischen Vergleich nie dagewesene, immer weiter steigende materielle Güterversorgung der Welt und daraus resultierendes Wachstum und oft auch Wohlstand generieren konnte.

      Die Schattenseite dieser unbestreitbaren materiellen Erfolgsbilanz aber umfasst

       zum einen ein „Leben jenseits aller Ressourcen“ im Sinne einer zunehmenden Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten durch Vernichtung von deren letzten Lebensräumen, Abholzung der letzten Primärwälder insbesondere am Amazonas, in Indonesien und Zentralafrika, einschließlich der u. a. hierdurch mitverursachten Klimaveränderungen,

       zum anderen vor allem aber auch die zunehmenden sozialen Verwerfungen infolge einer Umverteilung der Wohlstandsgewinne von „unten“ nach „oben“.

      Mein Kollege Thomas PIKETTY hat in seinen zwei wegweisenden Werken{2}, {3} ganz klar und unwiderlegbar herausgearbeitet, dass wir uns seit Beginn der „neoliberalen Revolution“ durch die sog. Monetaristen in Wissenschaft (Milton FRIEDMAN) und Politik (Ronald REAGAN und Margaret THATCHER in der Vergangenheit oder insbesondere auch solche Leute wie TRUMP, BOLSONARO und DUTERTE aktuell) einer dramatischen und jede Nachhaltigkeit ignorierenden Umverteilung von Einkommen und vor allem aber von Vermögen an das oberste Dezil (10 %) beim Einkommen oder gar Perzentil (1 %) beim Vermögen der Bevölkerung gegenübersehen.

      Das heißt im Klartext: Die großen ökonomischen Gewinne aus der Globalisierung gehen an der großen Masse der Bevölkerung nicht nur vorbei, sondern die große Masse der Bevölkerung wird immer ärmer und lebt in einem immer prekäreren ökonomischen Umfeld: statt lebenslanger beruflicher Sicherheit fragwürdige, befristete Arbeitsverträge, marode Gesundheitssysteme, überforderte Altersversorgung, kinderfeindliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, sich verschlechternde Umweltsituation usw.

      Was wir als Bürger und Gesellschaft in den letzten Jahren nicht gesehen haben oder nicht sehen wollten, ist folgender dramatischer Wandel, der die (keynesianische) Ordnung der 50er, 60er und 70er Jahre so grundlegend unterscheidet von der sich spätestens seit Anfang der 80er Jahre immer stärker neoliberal ausrichtenden Wirtschaftsstruktur:

       Die Wirtschaft, die Ökonomie, war für den Menschen da; jetzt ist der Mensch für die Wirtschaft da.

      Alle Produktionsfaktoren – und dazu gehört auch der Mensch – müssen um jeden Preis kostenminimiert, rationalisiert, jederzeit schnell substituierbar „verwendet“ werden, nur dann ist das Unternehmen wettbewerbsfähig und kann überhaupt noch Arbeitsplätze bereitstellen.

      Und genau das ist das Dilemma: Kein Unternehmen, auch keine einzelne Gesellschaft (Staat, Regierung, Bevölkerung) kann sich dieser „Ausbeutungsoptimierung“ entziehen, ohne völlig aus dem ökonomischen Kreislauf zu fallen.

      Dabei nimmt diese Fokussierung auf eine Kostenminimierung um jeden Preis auch nicht das Gesundheitssystem aus:

      Ganz im Gegenteil werden hier seit spätestens Anfang der 90er Jahre Krankenhäuser (ebenso wie Pflegeeinrichtungen) zunehmend nicht mehr versorgungsorientiert geführt, sondern gewinnorientiert. Staatliche Krankenhäuser werden zunehmend privatisiert und damit immer offener „kostenverantwortlich“ geführt – was nichts anderes heißt, als massiv Personal einzusparen und immer weniger Ressourcen (für Unwägbarkeiten und zur Krisenvorsorge) vorzuhalten.

      So verwundert es wenig, dass die Todesfälle im Rahmen der Corona-Pandemie dort am stärksten sind, wo die Gesundheitssysteme durch zu geringe Investitionen marode sind und/oder mit zu wenig Personal (kompetentes, ausgebildetes Pflegepersonal) geführt werden. Unrentable Krankenhäuser werden geschlossen – und erhöhen damit potentielle Versorgungsengpässe oder gar -lücken in Zeiten wie diesen (Pandemien).

      Damit sind wir bei der Eingangsfrage dieser Überlegungen:

      Die Corona-Krise zeigt in aller Härte auf, dass die Globalisierung, die die Welt wie ein Spinnennetz umfasst, zukünftig nicht mehr akzeptable Risiken birgt:

      Wir stellen zum ersten Mal fest, dass unser Konsum und die vermeintlich dauerhafte Versorgungssicherheit im Güter- wie im Gesundheitsbereich doch extrem fragil sind: Vorprodukte, Waren jeder Art, Lebensmittel etc. kommen aus fernen Regionen wie China und Afrika, Medikamente sehr häufig aus Indien oder China.

      Wir erkennen, dass globale Lieferketten anfällig sind in einem Ausmaß, das wir bis zur Corona-Krise ignorieren konnten: „Es wird schon nichts passieren.“ Jetzt aber ist offensichtlich, dass diese globalisierte Versorgung existentiell anfällig ist. Nur ein kleines, fast banales Beispiel: Natürlich gibt es in Deutschland und der Europäischen Union genug Milch, keiner wird hieran Mangel leiden. Was aber ggf. fehlt, weil es beispielsweise nicht mehr aus China geliefert wird, sind die Verpackungen für die Milch – und plötzlich steht möglicherweise doch keine Milch mehr im Ladenregal.

      1.2 Was sich ändern muss: verantwortungsvolles

      Wirtschaften und nachhaltigerer Konsum

      Wir – Unternehmen wie Konsumenten – werden wieder regionaler denken und agieren müssen: Viele Produkte müssen im Land oder im engeren Umfeld (EU) hergestellt werden, auch wenn dies teurer wird, als die Waren aus Asien, Lateinamerika oder Afrika zu beziehen (wobei die Produkte dort u. a. deshalb so günstig sind, weil Umwelt- und Sozialdumping wie auch Kinderarbeit feste Bestandteile dieser Ökonomien sind – ebenso wie eine Entlohnung im sogenannten „Ausbeutungsgleichgewicht“ einer bei Lohnsenkungen ansteigenden Arbeitsnachfrage seitens der Arbeitnehmer{4}).

      Unternehmen müssen wieder verstärkt den Stakeholder (Kunden, Mitarbeiter) in den Fokus ihrer Geschäftspolitik stellen und weniger den Shareholder (Aktionär), notfalls „motiviert“ durch regulatorische oder steuerliche Rahmenbedingungen.

      Der Bürger muss sich bewusst machen, dass er durch eine „Geiz ist geil“-Mentalität seinen regionalen Arbeitsplatz selbst vernichtet und dass er seine staatliche Altersversorgung und Gesundheitssicherung verspielt, wenn er nur das Billigste kauft.

       Wir alle müssen erkennen, dass weniger mehr sein kann:

      Wir brauchen weniger, wenn wir unsere Bedürfnisse hinterfragen und nur das kaufen, was wir wirklich benötigen, wenn wir nachhaltig denken und kaufen: Ein doppelt so teures Produkt, das dreimal so lange hält oder dreimal so viele Vitalstoffe enthält, ist das günstigere Produkt.

      Warum werden allein in Deutschland pro Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen (= 250 kg pro Person)? Wo ist die Wertschätzung z. B. für „Lebens“-Mittel?

      Warum arbeitet „niemand“ im Agrarsektor? Warum müssen ca. 300.000 ausländische Landarbeiter{5} für uns Deutsche die Felder bestellen und ernten (bei Millionen von Hartz-IV-Beziehern oder beschäftigungslosen Migranten)?

      Was, wenn – krisenbedingt – diese Wanderarbeiter nicht mehr kommen (können), um unsere Lebensmittelversorgung aufrechtzuerhalten? Ist dieser Sektor irrelevant, nur weil er in Deutschland weniger als 1 % der Wertschöpfung ausmacht – vielleicht aber genau dieses eine Prozent über Leben und Tod entscheidet?

      Was ist also die Konsequenz?

       Wir brauchen eine neue Verantwortung für unser Leben und unsere Gesellschaft: bewusster, nachhaltiger Konsum{6} und damit auch nachhaltige Produktion.

      Letztlich wird so produziert, wie es der Kunde will. Und durch gerechte Entlohnung statt globalisierter Ausbeutung{7} kann sich der Bürger dann auch höherwertige Güter leisten. Für den Ökonomen ist gerechte Entlohnung recht einfach: Entlohnung gemäß der Grenzproduktivität der Produktionsfaktoren Arbeit (Mensch) und Kapital (Zinsen und Maschinen){8}. Das aber ist nur möglich bei gleich starken Marktseiten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer: Solange dem Arbeitnehmer mit „Globalisierung“ gedroht werden kann („Arbeite für weniger Lohn, sonst ist dein Job weg!“), wird Entlohnung nicht gerecht sein können.

      Wie wir dem entgehen können: Rückbesinnung auf die Region (für uns sind das