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Das Visum ins Paradies Europa – Sammelband


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Anna.

      Günther nickte, er hatte Angst, noch eins auf den Kopf zu kriegen. Deswegen vermied er es, viel zu reden. Carla fügte zu Annas Aussage sehr idealistisch hinzu: „Ja, davon können wir Europäer eine Menge lernen und wieder sozialer sein. Wir werden in Europa immer einsamer und immer egoistischer. Jeder nur für sich, bzw. höchstens nur für seine sehr nahe Familie, Frau und Kinder, Papa und Mama. Punkt. Das finde ich nicht so gut.“

      Der Bus hielt an einer Tankstelle, die links an der Kreuzung der Hauptstraße lag. Geradeaus würde man zum Fischmarkt und zu den Behörden kommen links fuhr man direkt in die Innenstadt.

      Es war dunkel und man konnte kaum viel von der Stadt erkennen. Rechts aber sah man das Meer mit seinen Wellen, die bis nah an die Straße kamen. Sie waren am Atlantik.

      An dieser Tankstelle stiegen die Leute aus, die in der Nähe wohnten oder Touristen, die ein Hotel am Meer gebucht hatten. Manche konnten zu Fuß zum Hotel gehen, manche mussten mit einem Taxi dahin und andere, meist die Leute aus Kribi, würden ein Mototaxi nehmen, um nach Hause zu kommen.

      Einige Leute stiegen aus, auch die Deutschen, aber Johnny blieb im Bus. Er konnte kein Hotel hier am Strand in diesem Touristenviertel bezahlen. Er hatte so wenig Geld in der Tasche. Das reichte höchstens für zwei Tage in einem billigen Hotel in der Stadt. Er musste aber eine Erklärung finden für seine Freunde, warum er hier nicht ausstieg und es vielleicht in ihrem Hotel probierte.

      Als ob Stefan ahnte, was in seinem Kopf vorging, schlug er vor: „Johnny, warum kommst du nicht einfach mit? Wir hatten 6 Zimmer reserviert, aber erst heute Morgen haben wir erfahren, dass die zwei anderen, die aus Yaoundé kommen sollten, vielleicht gar nicht da sein werden. Heute, morgen und übermorgen auf jeden Fall nicht. Aber die Zimmer müssen wir trotzdem zahlen. Das ist immerhin pro Zimmer 35 €.“

      „Danke Stefan, gib mir deine Nummer, ich rufe dich später an und sag dir, wann und ob ich komme. Muss zuerst einen Freund treffen, der mich zum Abendessen erwartet. Danach sehen wir mal.“

      Stefan gab ihm seine Nummer und sagte: „Auch wenn du nicht kommst bzw. nicht in unserem Hotel wohnen würdest, vergiss nicht unser Dinner. Darauf freue ich mich. Bin zwar so dünn, wie du siehst, aber das hat nichts mit Essensmangel zu tun. Ich liebe es kamerunisch zu essen. Das sind vielleicht die besten Gerichte der Welt. Gib mir auch deine Nummer. So bleiben wir in Kontakt.“

      Johnny lachte ein bisschen geniert und sagte: „Meine Nummer hat Carla. Habe sie einfach in ihre Hosentasche gesteckt, ich melde mich. Gute Nacht.“ Der Bus rollte schon weiter.

      Ja, tatsächlich, kurz bevor sie an der Tankstelle hielten, hatte er eine Karte aus seinem Portemonnaie rausgeholt und ohne Carla zu fragen in ihre enge Jeanstasche gesteckt. Dabei hatte er einen Finger ein bisschen „unabsichtlich“ viel weiter hineingesteckt, als nötig gewesen wäre und hatte sie mit dem Nagel beim rausnehmen des Fingers leicht, aber sehr deutlich gekratzt. Carla war so überrascht gewesen, dass sie nicht reagiert hatte. So etwas, so einen mutigen Mann hatte sie noch nie gesehen, sei es in Deutschland oder in Kamerun.

      Johnny wusste, dass er eine Öffnung, eine Bresche in Carla geschlagen hatte. Die nächsten Tage bzw. die nächsten Stunden würden sehr bedeutsam sein für ihr Zusammenkommen.

      Ja, Johnny musste ein einfaches, billiges Hotel suchen und morgen war ein anderer Tag. Er wollte schon am nächsten Tag eifrig auf die Suche gehen. Er musste unbedingt einen Job in einem Strandhotel, in dem viele Touristen verkehrten, finden.

      Das Hotel, in dem die Deutschen waren, war top. Sauber, Klimaanlage, gute Bedienung usw. Nach dem Duschen und Abendessen ging jeder in sein Zimmer.

      Carla lag im Bett, konnte aber nicht schlafen. Sie war durcheinander. Sie dachte an Johnny. Erst war er nett zu ihr, dann ignorierte er sie total, als ob sie was Falsches getan hatte oder sie ihm gar nicht gefallen würde und nun diese Karte. Sie war sich sicher gewesen, wenn eine die Karte bekäme, wäre es Anna. Sie hatte sich so toll mit ihm unterhalten.

      Carla wusste spätestens als dieser Finger sie angeblich „unauffällig und unabsichtlich“ gepiekt hatte, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem schwarzen Mann schlafen würde. Es würde dazu kommen, ihre Hormone sagten ihr das und sie wusste auch, wie schade das war, weil sie auch zum ersten Mal in ihrem Leben, seitdem sie mit 16 ihren ersten Freund hatte, jemandem weh tun würde, vielleicht sogar musste. Sie würde fremdgehen. Diese Erkenntnis machte sie so traurig, weckte Angst und Verzweiflung, aber machte sie auch sehr an. Ihr Freund sollte es nicht herausbekommen. Alles musste geheim und versteckt sein. Diese Gefühlsmischung löste in ihr eine heftige Erregung aus, die sie nie in dieser Form gehabt hatte. Sie zog ihre Beine fest zusammen, was zu einer Spannung der Muskeln des Beckens und des Bauches führte. Sie seufzte und stieß einen unkontrollierten Schrei aus. Sie war total feucht. Sie hatte gerade einen Orgasmus bekommen ohne Fremdeinwirkung. Sie verstand ihren Körper nicht mehr. Hatte es mit Johnny als Person zu tun, oder damit, dass er schwarz war? Sie hatte sich vorher nie Gedanken darüber gemacht, ob jemand schwarz oder weiß war. Alles war immer so normal. Nun stellte sie sich seit zwei Stunden alle möglichen Fragen über schwarze Männer. Sie war wie verzaubert. Ihr Körper hatte schon längst entschieden. Sie wollte diesen schokobraunen Body streicheln, kratzen. Sie wollte diesen Körper auf sich, ihn spüren, egal was passierte. Die Konsequenzen würde sie später sehen. Sie konnte einfach nicht anders.

      Sie ging wieder ins Bad und kam frisch geduscht und sauber heraus. Sie legte sich hin und schaute nach Mauritz, der so müde schon lange eingeschlafen war.

      Endlich landete Johnny im Bett. Es war ein langer, sehr langer und erlebnisreicher Tag gewesen. Diese fluchtartige Reise ohne ausreichendes Geld. Wie würde er leben, wenn er nicht so schnell einen Job fand? Und selbst wenn er einen Job fand, wie würde er den ersten Monat überstehen? Das Hotel kostete nur 7,50 € die Nacht, aber das war für ihn auch schon sehr viel und er würde ab morgen lieber ein kleineres Zimmer ohne jeglichen Komfort mieten, für höchstens 15 € pro Monat. Und er musste noch seine neuen Freunde zum Essen einladen. Das würde nicht billig werden. Mindestens 30 € für alle und was er hatte reichte nicht einmal für drei Hoteltage. Er lächelte und sagte: „Ha, heute ist heute, morgen ist morgen. Der Morgen kommt mit Lösungen. Nichts ist schlimm. Nur unsere Vorstellung macht es schlimmer und es gibt etwas, was der moderne Mensch immer zu vergessen scheint, weil er glaubt, er kann die volle Kontrolle über sein Leben haben. Ja, es gibt noch etwas: Das Geschenk, das die Natur bzw. Gott uns gegeben hat: den Zufall. Darin befinden sich viele Chancen. Man muss lernen, das Unerwartete zu erwarten. Ja, ‚es wird gut sein‘ ist nicht nur eine leere Aussage.“ Er machte sich über das Geld weiter keine Gedanken mehr.

      Er dachte wieder an den Abschied von Amina, von Rita und den Kindern und von Nicole. Er hatte sich gar nicht von ihr verabschiedet. Das hätte er nie gedacht. Er war zwar verliebt, aber liebte sie nicht so richtig, wie er Amina liebte. Er war einfach von ihr besessen, aber lediglich lustmäßig, sexuell. Diese Sehnsucht nach ihrem Körper war wie eine Droge, von der er jetzt lernen musste, sich zu verabschieden.

      Sie hatte sich auch nicht gemeldet; kein Anruf. Er schaute nach dem Handy und merkte, dass es die ganze Zeit aus gewesen war. Sie hatte ihn gar nicht erreichen können. Er versuchte sein Handy anzumachen und stellte fest, dass die Batterie leer war. Er stand wieder auf, um das Ladegerät aus der Tasche zu holen. Er durchsuchte die Tasche, ohne es zu finden. Er erinnerte sich aber, es mitgenommen zu haben, zumindest, es in der Hand gehabt zu haben. Er machte die Nebentasche auf und tatsächlich fand er es darin und den Umschlag, den Wadjo ihm gegeben hat. Er hatte das kleine Paket total vergessen. Er nahm den Umschlag und legte sich wieder hin. Das Handy lud auf.

      Er macht den Umschlag auf und was er darin fand, überwältigte ihn. Er machte seine Augen auf, stand auf, kniete sich vor sein Bett und sprach ein kurzes Gebet: „Ich danke dir Gott. Ich danke dir für alles, was du für mich tust. Ich danke dir, dass du immer da bist und über mich wachst. Ich danke dir dafür, dass du mich immer mit den richtigen Menschen umgibst. Es fühlt sich so schön an zu wissen, dass du da bist. Es ist gibt mir Kraft zu wissen, dass mir nichts Böses passieren kann, weil du da bist. Ich bin nun noch viel sicherer, dass der Weg, den ich heute eingeschlagen habe, der richtige, gesegnete Weg ist. Ich danke dir Gott, dass es Amina gibt. Ich bitte dich Gott, sie und ihre Familie