Jens van der Kreet

Der Mann mit der Säge


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okay.“

      „Ich habe übrigens eben, als du zur Toilette warst, Marc und Jonas angerufen. Die nehmen uns mit ins Eclair.“

      Marc und Jonas waren Jungs, die die beiden aus dem Jugendclub kannten.

      „Oh, cool“, erwiderte Nina.

      Kurze Zeit darauf kamen die Jungs vorbei und nahmen die Mädchen mit zur Disko.

      Als sie die Kneipe verließen, warf der verrückte Typ Nina noch einen verschwörerischen Blick zu. Sie bekam kurz Gänsehaut, dann vergaß sie die Geschichte bald.

       6.

      Im Keller des Hauses in der Augustinusstraße hatte Erwin, während er mit den Renovierungsarbeiten beschäftigt war, eine einsame, aber – wie er glaubte – mutige und verantwortungsvolle Entscheidung getroffen.

      Er würde nicht zurücktreten.

      Aus Respekt vor den Mechanismen einer repräsentativen Demokratie – immerhin war er von den Parteigremien ordnungsgemäß gewählt worden. Und weil er es ihnen zeigen wollte.

      Erwin hatte, nachdem sie ihn abserviert hatten, kurze Zeit darüber nachgedacht, ob das Häuschen unten am Sportplatz, das er besaß, der heimliche Grund gewesen sein könnte, dass sie ihn absägen wollten. Hatte nicht damals die Naturverbundene Ökologische Partei das Gelände als Naturschutzgebiet ausweisen wollen? Er meinte sogar, in seiner Fraktion Unterstützer für dieses Projekt ausgemacht zu haben, aber aus Rücksicht zu ihm hatte sich offenbar keiner aus der Deckung gewagt.

      Das war schade, denn dann hätte er ihnen die beruhigende Antwort geben können, dass er das Häuschen, das er seit Jahren nicht mehr gepflegt hatte, sowieso abreißen wollte. Jeder, der sein Freund war, wusste es im Prinzip. Jeder, der nicht sein Freund war, hätte jederzeit erfahren können, dass ihm an diesem Wochenendhäuschen nichts mehr lag, sondern dass er für die nächsten paar Jahre die Renovierung seines Wohnhauses in der Augustinusstraße als Daueraufgabe anvisiert hatte: Zunächst den Partykeller, dann den Wintergarten, schließlich die Küche, das Wohnzimmer, den Dachboden … Er hatte für die nächsten paar Jahre mehr als genug zu tun damit.

      Jetzt, da er seinen heroischen Entschluss getroffen hatte, war er mit sich wieder im Reinen. Sorgen machte ihm sein ältester Sohn.

      Ich hätte mich mehr um Michael kümmern müssen, dachte Erwin, nicht können, müssen. Gerade in den letzten Jahren war ich doch nie für ihn da. Wir hätten mal gemeinsam zum Fußball gehen müssen.

      Er hoffte, dass er das bald tun könne, wenn Michael wieder normal wäre. Würde er jemals wieder normal werden? Ich sollte ihn anrufen, dachte er, verwarf diese Idee aber bald wieder. Er hatte das Gefühl, dass Michael im Moment nicht gut auf ihn zu sprechen war, der Himmel wusste, warum.

      War es besser, ihn in Ruhe zu lassen? War Michael am ehesten selbst in der Lage, die Dinge in die Hand zu nehmen? Oder müssten womöglich Hedi und er das Sorgerecht für Rebecca übernehmen? Würde er einen Entzug machen und sich mit Renate aussöhnen? Würde alles gut werden?

      Plötzlich erklang Hedis Stimme.

      „Erwin! Telefon.“

      „Was gibt es denn Dringendes?“, ächzte er, als er die Treppe erklomm.

      Innerlich strahlte er. Solange die Menschen seine Nummer wählten, gehörte er dazu. Solange die Leute ihn anriefen, war er wichtig. Solange es klingelte und Hedi ihn rufen musste, war er eine tragende Säule des Gemeinwesens.

      „Wer ist es denn?“

      „Günther Schmidt von der SPD ist dran.“

      Erwin nahm den Hörer.

      „Erwin Lohse.“

      „Schmidt. Guten Tag, Erwin.“

      „Hallo Günther. Was gibt’s?“

      „Du bist bestimmt beim Mittagessen. Ich will dich nicht lange stören.“

      „Du störst nicht. Ich renoviere den Partykeller und wollte sowieso gerade eine Pause machen.“

      „Ich habe nicht viel Zeit“, sagte der Pressereferent des SPD-Gemeindeverbandes Altweiler.

      „Was kann ich für dich tun?“

      „Es geht um Folgendes. Es ist bestimmt nur ein Fehler der Post. Aber weder Christian noch Martin noch sonst wer hat bisher deine Rücktrittserklärung bekommen. Ich vermute, dem Wahlleiter hast du schon Meldung gemacht. Aber wir brauchen aus Sicherheitsgründen eine Erklärung von dir. Schriftlich. Dann kann ich hier den Bericht fertig machen und das an die Presse faxen.“

      „Du irrst dich.“

      „Du hast die Erklärungen also bereits abgegeben. Es tut mir Leid, dass ich dich an diesem schönen Sonntagnachmittag belästigt habe. Ich habe deinen Brief sicherlich verlegt.“

      Günther war schon kurz davor, aufzulegen, als Erwin fortfuhr:

      „Mit Irrtum habe ich etwas anderes gemeint.“

      „Kannst du das bitte genauer erläutern?“

      „Ich trete nicht zurück.“

      „Wie bitte? Soll das ein Scherz sein?“

      „Das ist kein Scherz, Günther. Ich bleibe auf den Listen. Ich bin ordnungsgemäß gewählt.“

      Günther lachte laut auf.

      „Wie bitte? Der Gemeindeverbandsvorstand hat einstimmig beschlossen, dass du deine Kandidatur zurückziehst, die Fraktion hat es beschlossen, und auch der Ortsverein hat sich gegen dich entschieden.“

      „Das interessiert mich nicht. Ich bin ordnungsgemäß gewählt.“

      Wieder lachte Günther.

      „Ich wüsste nicht, was es hier zu lachen gibt.“

      „Erwin, die gleichen Leute, die dich im letzten November auf die Liste gesetzt haben, holen dich jetzt wieder herunter. Wir haben eben einen Fehler gemacht, und den haben wir jetzt eingesehen. Da kannst du dich nicht einfach querstellen.“

      „Und ob ich kann!“

      Erwin begann leicht zu zittern. Hedi, die dies offenbar bemerkte, kam zu ihm und griff ihn am Unterarm.

      „Was ist los?“, flüsterte sie.

      Erwin reagierte nicht auf sie.

      „Das ist eine bodenlose Frechheit“, sagte Günther, „komm mir jetzt nicht mit Demokratie und dem ganzen Klimbim. Was hat das mit Demokratie zu tun, wenn ein alter Diktator wie du an seinem Sessel klebt?“

      „Günther, ich sage es dir in aller Deutlichkeit: Ich bin demokratisch gewählt und ich ziehe mich nicht zurück. Ich bleibe drauf auf der Liste. Schluss. Aus. Ende.“

      „Na, wenn das so ist. Dann bin ich mal gespannt, was der Bürgermeister dazu sagt. Ein Parteiausschlussverfahren müsste man dir anhängen.“

      „Damit kommst du nicht durch, Günther, und das weißt du. Was den Bürgermeister betrifft: Mir ist es egal, was Martin dazu zu sagen hat. Wenn er seine absolute Mehrheit behalten will, dann muss er mich und unsere und damit auch meine Partei bei der Wahl unterstützen.“

      „Deine Partei“, sagte Günther, „dass ich nicht lache. Du trittst zurück – und damit basta. Tu, was du für richtig hältst. Ich sag dem Bürgermeister Bescheid, soll der sich darum kümmern!“

      „Okay. Soll der sich darum kümmern. – Günther?“, fragte Erwin.

      „Was ist denn noch?“

      „Bist du dir nicht zu schade, für den Bürgermeister die Drecksarbeit zu erledigen?“

      Ein Zittern lag in seiner Stimme.

      „Hier geht es nicht nur um den Bürgermeister, Erwin. Hier geht es um die Partei, hier geht es um uns alle.“

      „Hat