Jens van der Kreet

Der Mann mit der Säge


Скачать книгу

vom vorangegangenen Tag sein, heute hatte er wohl noch nichts getrunken.

      „Rebecca braucht ein warmes Mittagessen“, sagte Nina, „bitte sorge dafür, dass sie etwas zu essen bekommt.“

      In Erwartung ihres heutigen Termins ging sie davon aus, dass sie auswärts essen würde. Nina aß gern Döner, jedoch musste sie heute Abend Acht geben, da sie ein Date hatte. Nicht, dass sie noch nach Knoblauch roch! Basti, dachte sie, ich bin gespannt, was das für einer ist.

      Michael war bereits in Jeans gekleidet, sein roter Bart sah heute weniger zerzaust als sonst aus.

      Er wird doch wohl keinen lichten Moment haben?

      „Becky wird zu Oma essen gehen“, sagte Ninas Vater.

      Er nahm sich eine Tasse Kaffee aus der Kanne, dann verschwand er wieder.

      „Pass du auch gut auf dich auf“, seufzte Nina traurig beim Hinausgehen. Andere Eltern kümmern sich mehr um ihre Kinder, dachte sie.

      Den ganzen Tag über konnte sie vor Aufregung angesichts der Ereignisse des Abends dem Unterricht kaum folgen.

      Auf dem Nachhauseweg machte sie am Drogerieladen halt. Es konnte nicht schaden, für den Ernstfall gerüstet zu sein, dachte Nina.

      Während die Kassiererin die Präservative über den Scanner zog, verzog diese Frau keine Miene. Doch Nina war ein bisschen mulmig zumute. Schließlich kaufte man nicht jeden Tag zum ersten Mal in seinem Leben Kondome.

      Wenn man es genau nahm, war sie damit ein gutes Stück zu spät dran. Viel zu spät. Sie war überzeugt davon, die letzte in ihrer Klasse zu sein, die noch Jungfrau war. Obwohl sie das nicht sicher wusste. Doch lag in ihrem Kauf nicht ein Triumph? Erwarb sie mit diesen Medizinprodukten nicht eine neue Autonomie, eine Verfügungsgewalt über ihren Körper, die um vieles wirkungsvoller war als die seelischen Schäden, die ihr durch ihren peinlichen Vater und ihre feige Mutter angetan wurden?

      Noch zwei Stunden bis zum Treffpunkt am Pub am Markt. Alles musste schnell gehen. Unter der Dusche nahm sie eine intensive Rasur im Intimbereich vor. Sie zog schicke lila Unterwäsche an, die zu schade war, um ungesehen zu bleiben, darüber schicke rote Klamotten. Parfüm, nicht zu dezent, nicht zu aufdringlich. Die Kondome hatte sie sicher in ihrer blauen kleinen Handtasche verwahrt.

      Es konnte losgehen.

      Im Pub am Markt war es um diese Zeit noch ruhig. Einzig und allein der Mann, den Christina einen Psycho genannt hatte, saß am Tresen. Britney Spears quiekte ihr “Baby one more time” aus den Boxen in der Ecke.

      Christina und Tim saßen schon in der Kneipe. Christina sah überwältigend aus, Tim verströmte wie immer mit seinem muskelgestählten Körper eine Gewinner-Aura. Seine stahlblaue Augen fixierten sie und machten sie frösteln. Wie stets lächelte er.

      Du mich auch, dachte Nina.

      „Wie läuft der Plan nun ab?“ fragte Nina, nachdem sie sich zu den beiden gesetzt hatte.

      „Um Punkt neun treffen wir uns vor der Diskothek. Basti wird da sein. Wir sollten bis halb zwölf dort bleiben, danach fahren wir nach Hause“, sagte Tim.

      „So früh schon?“

      Nina fühlte sich ein bisschen betrogen.

      „Wir müssen den Plan relativ schnell über die Bühne bringen“, meinte Tim, „da ihr unter achtzehn seid, dürft ihr nur bis zwölf Uhr in der Diskothek sein. Das heißt, die lassen euch nach zehn Uhr nicht mehr rein.“

      „Wie bist du denn drauf“, fragte Nina, „du bist doch sonst kein Paragrafenreiter!“

      „Mein Vater macht mich einen Kopf kürzer, wenn ich mit minderjährigen Mädchen die Diskothek besuche, obwohl es verboten ist und es danach auffliegt. Er ist Bürgermeister, er kann sich keinen Skandal leisten.“

      „Aber wir sind vor Kurzem doch noch um ein Uhr dort hingegangen“, sagte Christina.

      „Dir hat man auch nicht angesehen, dass du unter 18 bist.“

      „Aber mir schon?“

      Nina warf ihm einen eiskalten Blick zu.

      „Hört jetzt mal auf damit, ihr Streithähne“, sagte Christina, „Basti ist siebzehn und sieht noch jünger aus. Bei Jungs sind sie streng. Das heißt, bis um zwölf Uhr ist die Sache über die Bühne und ihr könnt nach Hause gehen zum …“ - sie spitzte die Lippen und formte damit ein obszönes Wort, das sie dezent halblaut aussprach.

      „Das wissen wir doch gar nicht“, protestierte Nina, „lasst uns erst mal sehen, was das für einer ist.“

      „Kommst du mit auf die Toilette?“ fragte Christina.

      Nina stimmte zu, die Mädchen erhoben sich und ließen Tim alleine an seiner Cola light nippen.

      Auf dem Weg zur Toilette zwinkerte der „Psycho“ Nina erneut verschwörerisch zu. Nina spürte ein kurzes Herzklopfen. Dann lächelte sie ihn an. Lächeln kostete ja nichts.

      Christina blieb am Kondomautomaten stehen. „Du musst dir welche kaufen!“, forderte sie ihre Freundin auf.

      „Oh, das habe ich schon getan“, erwiderte Nina.

      „Echt?“

      „Ich habe in der Drogerie welche gekauft.“

      „Das hätte ich dir gar nicht zugetraut“, meinte Christina, „also gut: Dann kann es jetzt losgehen.“

      Die drei machten sich kurz danach auf den Weg.

      Bis zu einem gewissen Punkt lief der Plan genauso, wie es geplant war. Drei Jungen standen am vereinbarten Treffpunkt, einem Kaufhausparkplatz in unmittelbarer Nähe der Disko. Der zierlichste Junge war Basti.

      „Hi“, sagte der Junge, als Tim, Christina und Nina auf der Bildfläche erschienen.

      „Äh, Alder, da seid ihr ja“, sagte einer von Bastis Kumpeln.

      Sie schüttelten zuerst Tim die Hand, nacheinander, theatralisch mit einer Umdrehung der Hand. Erst dann grüßten sie die Mädchen. Schüchtern, ohne jeden Körperkontakt. Schließlich wagte sich auch Basti vor.

      „Hi“, hauchte er Tim und Christina, schließlich Nina schüchtern entgegen.

      „Äh, Basti, wir gehen dann schon mal los, äh“, sagte der zweite Freund.

      „Alles klar, äh“, sagte Basti, „wir sehen uns gleich, äh!“

      Ihr erster Eindruck war etwas besser als gedacht.

      Ganz niedlich, dachte Nina.

      In der Disko war es leer um diese Zeit. Auf der Tanzfläche breitete sich nur der Disko-Nebel aus. Die meisten Jugendlichen verbrachten den Abend jetzt noch beim Vorglühen in den wenigen hippen Kneipen, die die Dörfer dieser ländlichen Gegend zierten, bevor die Jungen mit ihren aufgemotzten Karren, auf deren Rückbänken die Mädchen des jeweiligen Ortes Platz nehmen durften, in diese Kleinstadt mit dem „Sankt“ im Namen aufbrachen, in der bei Bürgermeisterwahlen stets nur ein Kandidat antrat - der von der CDU.

      Die vier setzten sich in eine abgelegene Ecke im Gastraum der Diskothek. Bis auf Tim tranken sie alle alkoholische Getränke. Nina stieg der Bacardi-Cola gleich zu Kopf, da sie nichts vertrug.

      Basti fiel ihr schon jetzt auf die Nerven. Je enger er seinen Kopf an den ihren schmiegte, desto stärker überkam sie die Unlust auf diese Type. Der Alkohol machte sie nicht williger. Funktionierte ihr Radar gut? fragte sich Nina. Oder war es Feigheit? Wie bei ihrer Mutter, fügte ihr kritisches Ich hinzu.

      Der Funken sprang nicht über. Was aber Basti nicht daran hinderte, an ihr herumzufummeln. Einmal berührte er ihr Bein, einmal versuchte er, in die Nähe ihrer Brüste zu gelangen. Nina stoppte ihn mehrmals. Sie signalisierte Christina per Augenkontakt, dass sie eine Auszeit brauche.

      Auf der Toilette teilte sie ihrer besten Freundin den Stand der Dinge mit.

      „Also gut, das wird jetzt wohl