Karl-Hinrich Schlüter

Das Leben nach Adolf Hitler


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Wenn über Johannes Tod nun auch schon eine Weile verstrichen ist, so möchte ich doch nicht versäumen, Euch noch mein persönliches Beileid auszudrücken. Uns war die Nachricht über Johannes Tod kaum fassbar, besonders darum, weil er doch einige Tage vorher erst noch gesund und munter bei uns war. Wir können Euren Schmerz über Johannes Tod voll ermessen und wissen Eure Trauer zu würdigen. - Uns ist Johannes ja auch immer ein lieber Neffe gewesen. Wir haben uns stets gefreut, wenn er uns besuchte, und scheinbar ist er ja auch gerne zu uns gekommen. Doch die Wege des Schicksals sind unergründlich und scheinbar derart sinnlos, dass man an ein höheres Walten in Gerechtigkeit, Liebe und Vernunft überhaupt nicht mehr glauben kann. So ist es bei Euch, so ist es bei Millionen anderer Menschen und so ist es im ganzen Weltgeschehen unserer Tage. Alles ist dem blinden und blöden Zufall überlassen. Es hat heute überhaupt keinen Sinn mehr, zu leben. Und wenn Ullrich von Hutten einmal sagte: „ - es ist eine Lust zu leben“, so können wir dazu nur noch sagen: „Ach, das ist lange her!“ - (…) Hier von Hamburg ist nichts zu berichten. Alles geht seinen gewohnten Trott, - Gang – kann man dazu schon nicht mehr sagen. Es wird noch Jahre dauern, ehe man an ein verträgliches Leben denken kann, wenn das überhaupt noch einmal kommen sollte. An eine Entnazifizierung ist auch noch nicht zu denken. Trotz aller diesbezüglicher Verordnungen ist diese Angelegenheit noch so unklar, wie sie 1945 war. Da muss erst ein größeres Besinnen kommen, ehe da mal wirklich reiner Tisch gemacht werden kann. Vielleicht erlebe ich das ja aber nicht mehr. - In unserer augenblicklichen Lage werden wir ja aber schon rosiger sehen, wenn der Winter erstmal vorbei ist. Und das kann nun wohl nicht mehr lange dauern! – In der Hoffnung, dass es Euch gesundheitlich gut geht grüßt Euch herzlichst Euer Schwager und Bruder

       Erich und Familie (…)

      Kindergarten

      Autos sahen wir nur recht selten, mitunter einen Tempo Goliath, ein dreirädriges Transportfahrzeug. Das übliche Transportmittel war das Pferdefuhrwerk. Zum Beispiel für Hausmüll oder die Tünnjes mit Fäkalien. Da gab es sie noch, die spöttisch so genannten Emder "Pottjekacker". So war es möglich, daß Rotraud und ich unbegleitet in den Kindergarten gehen konnten. An die klare Weisung unserer Mutter hielten wir uns: Ihr haltet euch so lange an der Hand, bis ihr dort seid. Dann hatte ich die schwergängige Tür zu öffnen. Aber es war nicht m e i n Kindergarten, meiner hatte Aantjeflott! Mitunter schob ich Rotraud durch die Tür und ging mit meinem Provianttäschchen an den Schloot.

      Ich musste doch einmal etwas erbeuten!

      Die Innenstadt sahen wir nur selten. Es war ja auch alles kaputt. Einige wenige Male sind wir mit der Straßenbahn in die Stadt gefahren. Die verband die Stadtmitte mit dem Außenhafen und dem Borkumanleger. Anfang der 50er Jahre war es mit ihr vorbei.

      Ersatzvater

      Nach Hedwigs Meinung brauchen Kinder einen Vater und sie heiratete wieder, Ehemann Nr. 3. Einen Spätheimkehrer. Er stammte aus Berlin, hatte die typische Mundart, Berliner Schnauze. War er heimgekehrt? Die Frage schien Hedwig nicht zu interessieren, die Zeiten waren so. Er hieß Alfred und kam aus russischer Gefangenschaft. Weiß der Teufel, was ihn nach Ostfriesland verschlagen hat. Nach Jahrzehnten wussten wir es. Ein Schneidermeister, deutlich älter als Hedwig. Ihre Geschicklichkeit passte zu seinem Beruf. In der Zeit davor hatte sie Pullover, warme Kleider und Röcke für Bauern gestrickt, aus Fallschirmseide Blusen genäht, und uns damit über Wasser gehalten. Übrigens gehörte ich zu den wenigen Kindern, denen die kratzige Schafwolle nichts anhaben konnte. Her mit den Strümpfen und dem Bostrock! (Leibchen).

      Tschüss Aantjeflott!

      Zu meinem Bedauern zogen wir fort, aber nur um die Ecke, in die Cirksenastraße. Zwischenzeitlich hatte in der Nachbarschaft Otto Waalkes das Licht Transvaals erblickt. Ihn erlebte ich erst, als er in einer Schülerband im Reichshof, einem Tanzschuppen, Gitarre spielte und Mätzchen machte. Bis die Wehrmacht, ähem, die Wehrpflicht den Jungs einen Strich durch die Rechnung machte. Vorher hatte ich schon einen Onkel von Otto erlebt, der beim Schützenfest ein volles Festzelt stundenlang mit Döntjes und Witzen unterhalten konnte. Immer wieder mal kommen auch lustige Ostfriesen vor. Karl Dall und andere.

      In der Cirksenastraße wurde mir das aufkeimende Interesse an Fußball ausgetrieben. Das kam so: Gegenüber war ein Schotterplatz, wo jetzt die Dollartschule ist. Einige Jungs unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Größe bolzten dort und forderten dann uns Kleinen auf, auch mitzuspielen. Ich hatte mich schon erhoben, als ein Mädchen auf einem Fahrrad ankam und es an der Seite ins Gras warf. Besser gesagt, m i t einem Fahrrad, denn es war ein Herrenrad. Sie hatte ein Bein seitlich unter der Stange hindurch gestreckt. Ungewöhnlich war das in der Zeit nicht. Na, sie lief auf den Platz, eroberte recht schnell den Ball, dribbelte ein wenig und schoss ein Tor. Dann nahm sie wieder das Fahrrad und fuhr weiter. Ich hab´s noch vor Augen. Nee, dat war nix für mich.

      Ein seltener Gast

      Omas gab es jede Menge, Opas waren sehr knapp. Christian Schlüter besuchte uns, mein Großvater aus Krogaspe. Er trug einen grauen Kleppermantel, wie den viele Leute damals trugen, eine Schirmmütze, und er fuhr ein Fahrrad mit Hilfsmotor. Rad mit Warze, wie seine Kinder spotteten. Mit dem Ding fuhr er kreuz und quer durch Deutschland, um seine Freunde zu besuchen.

      Meine Großmutter lebte nicht mehr, sie hatte den Verlust ihrer beiden Söhne nicht verkraftet, die „für´s Vaterland“ gestorben waren. In einem ihrer Briefe bat sie um Nachsicht dafür, dass sie den mit Bleistift geschrieben hatte. Eine Nachbarin hatte sich Schlüters einzige Schreibfeder ausgeborgt und nicht zurück gebracht.

       Im Juli 2018

      besuchte ich den Friedhof in Krogaspe. Dort begegnete ich dem Friedhofsgärtner Röpke, der mit einem Trecker unterwegs war. Er erinnerte sich lebhaft an meinen Großvater, der sein Lehrer gewesen ist und der 1957 sein Ausscheiden aus dem Schuldienst verzögert hatte, um ihm noch den Schulabschluss zu ermöglichen. Er hätte immer seine Schüler gefördert und die Familie sei im Dorf beliebt gewesen.

      Die Lehrer waren damals schlecht bezahlt und die Bauern mussten Deputate liefern. So mussten Röpkes täglich den Schlüters einen Liter Milch bringen, und jetzt lernte ich den Überbringer kennen. Ich erzählte ihm von einer Kondolenzkarte in der alten Familienpost, die sein Vater, August Röpke, geschrieben hatte.

      Die Veröffentlichung der gesamten Post ist geplant.

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