Dietmar Kottisch

Der Totenflüsterer


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meiner kleinen Schwägerin.“

      Sie alle schauten zu, wie er in seinem Buch nach der Bandlaufstelle suchte.

      „Eine Mikrophonstimme!“ Er drückte auf den Startknopf und der Raum wurde erfüllt mit jenen seltsamen Geräuschen, die ein hoch ausgesteuertes Mikrophon erzeugt. Und dann hörten sie klar und deutlich die Stimme. Obwohl zwischenzeitlich alle an diese Arbeit gewohnt waren, war die Reaktion immer wieder ein konzentriertes Hören, verbunden mit einem Staunen und der Freude von Forschern, die ein Ergebnis hatten.

      „Ich höre deutlich den Namen Sarah,“ sagte der Arzt.

      „Ich auch, “ nickte Franziska.

      „Ja, Sarah,“ bestätigte Reinhard.

      „Sarah, stimmt!“ sagte Irmgard.

      „Spiels noch mal ab,“ bat Dieter.

      Paul drückte wieder auf den Startknopf, und alle hörten jene hin gehauchte, wie durch einen Tunnel klingende Stimme. Dann nickte er, „..Ja, ich höre es. Das S ist sehr deutlich. Sarah!“

      „Das alleine wäre ja kein Beweis für unsere These. Es gibt wahrscheinlich eine Menge Sarahs auf dieser Welt, die gestorben sind, ob jung oder alt. Und jetzt kommt dieser so genannte Anscheinsbeweis.“

      Paul drückte wieder auf den Knopf, dann hörten sie alle noch einmal dieselbe Stimme und danach das kurze „Äppli“. Alle waren sich einig, es hieß „Äppli“.

      „Äppli war die erste Liebe des jungen Mädchens, meine Frau hat es bestätigt, sie erinnerte sich daran.“

      Alle waren jetzt still und in sich gekehrt. Sie hatten den Anscheinsbeweis ihrer These, die Bestätigung eines Faktes aus der Vergangenheit.

      „Es wäre interessant herauszukriegen, ob dieser Junge von damals noch lebt und wo. Er könnte es zum Beispiel bestätigen, wenn er sich daran erinnert. Frag doch deine Frau, ob sie weiß, wo er wohnt,“ sagte Franziska und nahm einen Schluck Tee.

      „Sicherlich heißt er nicht Äppli, das ist nur ein Kosename oder so,“ wandte Reinhard ein.

      „Könnte von Apfel kommen….“

      „Er könnte vielleicht… ihre Äpfelchen… gemeint haben…“ schmunzelte die Kowalski.

      Einige grinsten. „Und daraus hat sie ihn liebenswürdig vielleicht Äppli genannt.“

      Ein paar lachten.

      „Ich werde sie fragen. Man müsste recherchieren. Dürfte nicht einfach sein nach neunzehn Jahren.“

      „Es wäre wichtig.“

      „Ich weiß, ich weiß.“ Paul war sich der Aufgabe bewusst. Er würde Klara fragen, wo genau sie damals in der Schweiz Urlaub gemacht hatten.

      „ Sarah war ja nicht in einem Schweizer See ertrunken, sondern in einem der Kahler Seen hier in der Nähe. Die Familie war damals aus dem Urlaub zurückgekehrt und dann war es passiert. Vielleicht existieren Briefe, die Sarah an ihren jungen Geliebten geschrieben hatte oder umgekehrt.“

      Dieter brachte einen berechtigten Einwand. „Selbst wenn ihr ihn ausfindig machen solltet, wisst ihr noch nicht, was ihr ihm sagen könntet. He, deine junge Liebe vor neunzehn Jahren lässt dich grüßen – aus dem Jenseits! Ich hab mit ihr gesprochen!“

      „ Er könnte uns für bescheuert halten,“ lachte Irmgard.

      „Es muss also noch einen anderen Beweis für diesen Äppli geben als die Erinnerung deiner Frau, einen objektiveren Beweis.“

      „Woher kommt eigentlich dieses mehrsprachige Phänomen im Phänomen Tonbandstimmen?“ fragte Franziska, das Thema wechselnd.

      Paul zuckte mit den Schultern. „Wir wissen es noch nicht, aber es ist Fakt. Jürgenson und Raudive und andere hatten es auch. Aber ich vermute, dass sie sich durch diese ungewöhnlichen Antworten oder Botschaften als die zu erkennen geben, die sie sind, nämlich unsere jenseitigen Freunde. Wer redet denn im normalen Leben so? “

      Er trank einen Schluck Tee.

      „Wir müssen das alles streng objektiv-wissenschaftlich betrachten. Nur wenn wir alle Möglichkeiten der äußeren Beeinflussung ausschließen können, hat unsere These Gewicht,“ warf Reinhard ein.

      „Das ist gar nicht so einfach, wenn es Stimmen von unseren Verwandten sind, da spielen die Emotionen eine gewaltige Rolle,“ setzte die Sekretärin ihren Kommentar fort.

      „Deswegen ist Objektivität ungeheuer wichtig.“

      „Das Wertvolle an unserer Forschung ist, dass wir sie jederzeit vorführen können. Es gibt eine Menge von Fragen, aber eines steht fest: dass es Stimmen sind, dass sie von verstorbenen Menschen stammen und teilweise von unseren Verwandten, die sich bemühen, zu uns durchzudringen.“ Paul schaute in die Runde. Dann setzte er fort: „ Weil ich davon ausgehe, dass unsere Freunde drüben den Kontakt wollen.“

      Einige schauten ihn fragend an.

      „Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, alte Tonbänder genau abzuhören. Ich hatte damals in meinem Mansardenzimmer die Absicht, Geräusche aufzunehmen, weil ich ein Hörspiel machen wollte. Dabei klingelte das Telefon und meine damalige Verlobte Anne rief mich an. Ich vergaß, das Tonband abzustellen. So hatte ich ungewollt das ganze Gespräch aufgenommen. Wir lachten später darüber, weil ich meiner Verlobten mit einem Glas Wein zuprostete und sie in ihrer Wohnung ebenfalls eine Flasche Wein öffnete und mir zuprostete. Später holte ich das Band hervor und hörte es jetzt mit meinen geübten Ohren und dem paranormalen Verständnis erneut ab – und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn zwischen den einzelnen Stimmen und Geräuschen hörte ich eine Männerstimme, die auf einmal „prost Anne“ sagte – und dann „Suffkopp“.“

      Es folgte ein kollektives Grinsen.

      „Suffkopp – jetzt kommt`s raus,“ lachte Irmgard Kowalski Paul an.

      Paul spürte ein seltsames Gefühl, als er ihren Blick sah.

      „Das ist unglaublich…“ warf Dieter ein.

      Jochen setzte das Thema fort: „Wenn also die Verstorbenen seit je her den Kontakt zu den Lebenden suchten, so frage ich mich, was haben sie denn früher getan, als es noch kein Tonband gab und die Radiowellen noch nicht gefunden wurden, sondern erst achtzehnhundertfünfundachtzig bis achtzehnhundertneunundachtzig durch Heinrich Hertz?“

      „Ich denke, dass sie ein Medium benutzt haben,“ mutmaßte Paul.

      Nach einer Weile des Schweigens und Nachdenkens: „Sie warnen uns auch,“ sagte Franziska. „Vor drei Jahren hatte ich ein Erlebnis, dass ich jetzt noch eine Gänsehaut kriege, wenn ich daran denke. Ich hatte einen Mann aus Amsterdam kennen gelernt. Ich verliebte mich und dachte, der wäre es fürs Leben. Wir verbrachten erst ein paar herrliche Tage am Rhein, dann flog er zurück nach Amsterdam. Wir schrieben uns Briefe, telefonierten fast jeden Tag. Ich schwebte im siebten Himmel. Auch Jan sagte mir, dass er auf dem besten Weg sei, sich in mich zu verlieben. Es schien alles zum Besten.

      Natürlich „konsultierte“ ich auch meine Kontaktperson >Elli< . Und seltsamerweise erhielt ich nie eine Reaktion. In einigen Alltagsdingen helfen sie uns manchmal, beraten uns. Aber wenn ich den Namen Jan und Amsterdam erwähnte, kam nichts. Ich fand das seltsam, machte mir aber keine Gedanken mehr, weil ich mit meinen Gefühlen ganz oben schwebte und vielleicht auch nichts Negatives hören wollte.

      Dann verabredeten wir, dass ich im Juni siebenundsiebzig für einen Kurzurlaub nach Amsterdam kommen sollte. Ich buchte für den zweiten Juni einen Platz im ICE von Frankfurt nach Amsterdam-Centraal. Am einunddreißigsten Mai spielte ich auf das Tonband ein. Was ich hörte, gefiel mir gar nicht. Ich sagte zu >Elli<, dass ich nach Amsterdam fahren werde, und dann kam die Stimme > Zug nicht bitte Venlo <. Ich reagierte so, wie ich im Normalfall nie reagiert hätte: ich wollte die Stimme nicht wahrhaben. Ich dachte, das wäre jemand von >drüben<, der mich nicht meinen konnte; ich dachte, dass es nicht <Ellis> Stimme sein kann, vielleicht ist <Elli> noch für