Ingeborg Naundorf

Oh Schreck Aupair


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aus Weißrussland (wir suchen schließlich einen Fußball-Partner für Moritz) erzählt von seinem Vater, der nach dem Supergau in Tschernobyl an Krebs erkrankte. Der Familie fehlt das nötige Geld für die Operation, ob wir nicht eine Möglichkeit wüssten… wir vermitteln den Jungen an einen Verein, der sich von München aus um Tschernobyl-Opfer kümmert. Nummer Zwei, ein ganz patentes Mädchen aus der Ukraine, berichtet von unhaltbaren Zuständen in ihrer Familie: Sie teilt sich einen feuchten Kellerraum mit einem zweiten Aupair. Aha, staunen wir, es gibt also offenbar Familien mit Vollzeit-Rundum-24 Stunden-Kinderbetreuung! Bei Regenwetter steht das Wasser knöchelhoch in ihrem Zimmer. Lüften können sie nicht, weil sonst Frösche durchs Kellerfenster reinhüpfen. Ach du liebe Güte. Die Geschichten klingen so dick aufgetragen, dass wir sie kaum glauben können. Die Dritte stammt aus Georgien und muss täglich die Grünwalder Villa ihrer Familie putzen. Mit den Kindern darf sie als Mensch zweiter Klasse nicht sprechen, duschen nur einmal pro Woche und ansonsten lässt sich das Mittagessen ja auch ohne Fleisch und Dessert aushalten. Wir sind fassungslos – was geschieht denn da mit den Aupairs in unserem Land? Es ist uns fast peinlich, dass wir nach all dem trotzdem noch Aupair-Eltern werden wollen.

      Maria aus Tschechien

      Unsere Wahl fällt schließlich auf Maria aus Tschechien. Sie ist eine ruhige, junge Frau, die mit ihren 24 Jahren schon über die nötige Reife zu verfügen scheint, um unseren Junior verantwortungsvoll zu betreuen. So etwas entscheidet man ja nicht einfach so, da müssen Bauchgefühl und die Umstände stimmen. Schließlich übergeben wir unser Ein und Alles in ihre Obhut. Ein großer Vorteil: Sie kann schon recht gut Deutsch, weil sie schon länger in München lebt und hier einen Freund hat. Wir bringen Maria in unserer gerade leer stehenden Zweitwohnung in der Nachbarschaft unter, so haben wir den Feierabend nach wie vor ganz für uns. Vertrag? Brauchen wir nicht, eine mündliche Absprache muss reichen, wir vertrauen uns ja schließlich gegenseitig. Essensgeld? Möchte sie nicht, sie macht eine Diät. Arbeitszeit? Vereinbaren wir so frei Schnauze, je nach Bedarf. Am 1. September geht’s los.

      Bekanntermaßen sind Hortplätze in der bayerischen Landeshauptstadt rar gesät. So zählt es zu Marias Aufgaben, unseren Erstklässler von der Schule abzuholen, zu bekochen und zu bespaßen, bis Mama und Papa von der Arbeit kommen. Schade nur, dass sich Moritz von ihr gar nicht abholen lassen will – an vier von fünf Tagen taucht der Schlingel erst gar nicht vor der Schule auf. Vier Wochen später ist Maria es leid, jeden Nachmittag unser Stadtviertel nach unserem Augenstern abzuscannen. Zumal Moritz sämtliche Schleichwege durch Innenhöfe und Keller kennt, er perfektioniert seine Verfolgungsjagden täglich. Fußball findet sie sowieso doof. Und mit der Arbeitszeit gibt es auch Probleme: sie findet, sie arbeitet zu lange, wir finden, zu kurz. Also kündigt sie schon mal vorsorglich telefonisch am 30. Oktober für den nächsten Monat, soll heißen ab dem nächsten Tag. Ich kann sie ja verstehen. Trotzdem kommt es für uns ein wenig unpassend, zumal ich ein frisches Gipsbein zum ständigen Begleiter habe. Aber macht ja nix, so bleiben wir schön flexibel. Ein echter Reinfall. Moritz behauptet bis heute (er ist jetzt Mitte 20), die war einfach blöd. Lustigerweise finden wir zwei Jahre später in „unserem“ Fotoladen ihre Hochzeitsfotos im Schaufenster. Sie hatte ihren Freund geheiratet, der schon seinerzeit unseren Moritz mit dem Motorrad mitnahm – ohne Helm, versteht sich. Das gesteht er uns aber erst viele Jahre später.

      Juana aus Argentinien

      Stress in der Agentur, die nächste Pressereise steht schon im Kalender und unser hoffnungsfroher Start als Aupair-Familie im Eimer. Wo soll jetzt auf die Schnelle Ersatz her? Wir schalten wieder eine Anzeige in der SZ – und haben Glück, denn Juana aus Argentinien schreibt uns:

      Hallo!

      Ich bin Juana, 21 Jahre alt, Argentinierin und seit April wohne ich bei einer Familie, aber…ich möchte gerne andere Mutter und freundlichere Leute finden.

      Ich bin sympathisch und mag gerne Kontak mit Leute zu haben, liebe alles was Spaß macht, reisen, Sport (Squash, Gymnastik, Schwimmen, Radfahren etc.), humorvolle Leute finden, und auch Musik, Kunst und Literatur. Außerdem mag ich Sprache gerne (englisch, französisch, italienisch). Ich habe Public Relations studiert und bin hier gekommen, weil ich mein Deutsch bessern will, und die europäische Kultur kennenlernen will.

      Die Aupair arbeit finde ich toll, wenn man tolle Leute finden kann! Deswegen schaue ich andere möglichkeiten für mich. Ich hoffe mehr Glück haben!

      Grüße, Juana

      P/D: Wenn ich Fehler habe, bitte ich euer Verständnis.

      Das klingt sehr nach einem Mädchen, das zu uns passt. Gleiche Interessen, gleicher Beruf. Wir rufen gleich an und vereinbaren ein Vorstellungsgespräch. Juana hat ohnehin gerade viel Zeit, ihre Familie ist für sechs Wochen nach Italien gefahren, sie soll alleine das Haus hüten. Taschengeld bekommt sie für diese Zeit nicht, sie würde schließlich nicht arbeiten und soll froh sein, wenn die Krankenversicherung weiter bezahlt wird. Essensgeld muss auch nicht sein, die Speisekammer ist ja voll. Juana nützt die Pause zur Umorientierung, denn wenn die Familie erst zurück ist, muss sie sich wieder von den Kindern schlagen lassen. Die Agentur hilft ihr mit dem lapidaren Verweis auf „kulturelle Unterschiede“ auch nicht wirklich weiter - geht ja alles gar nicht!

      So retten wir das arme Juana-Kind aus ihrer Not. Wir schließen sie in unser Herz – und einen Aupair-Vertrag nach internationalen Richtlinien. Da schaltet sich ihre Agentur ein. Natürlich nur mit einer Bearbeitungsgebühr von 50 Mark, die zeigen sich da kulant, kriegen wir den nötigen Agenturstempel auf unseren Vertrag. Ohnehin wird uns jetzt erst klar, dass mit einem Aupair ganz schön viel Bürokratie anfällt. Aupair-Vertrag, Krankenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung bei der Unfallkasse, Meldebehörde, fürs Visum auf das Ausländeramt, für die Arbeitsgenehmigung zum Arbeitsamt. Zumindest war das damals noch so. Da gehen schon einige Wochen ins Land, bis wir alles beieinander haben.

      Aber Juana hat sich schon gut bei uns eingewöhnt. Mittlerweile sind wir in eine größere Vier-Zimmer-Wohnung gezogen, wo sie ein eigenes Zimmer hat. Mein Mann fand es gar nicht sooo schlimm, sich auf einen Bademantel zu besinnen – er sieht eindeutig die Vorteile, wenn wir uns gemütlich in die Oper begeben ohne uns einen Babysitter organisieren zu müssen. Unser neues Familienmitglied möchte unbedingt sehr gut Deutsch können, wenn sie nach Hause fährt. Ihre Oma ist nämlich gebürtige Deutsche. So lernt sie wie ein Weltmeister, besorgt sich Bücher aus der Bibliothek, besucht einen Sprachkurs in der Volkshochschule. An den Abenden korrigiere ich ihre Übungshefte. Wir spielen stundenlang Würfeln, Rommé oder Tikal (das schenkte uns Juana zu Weihnachten). Und Moritz? Moritz spielt erst einmal Machtspielchen. Aber nicht lange, denn Juana ist so nett zu ihm, dass er bald erkennt, wie toll eine große Schwester sein kann. So kommen wir eines Abends nach Hause und die neue große Schwester massiert ihm die Füße!! Essenstechnisch müssen wir uns an Scheiblettenkäse mit Toast gewöhnen – Juanas Grundnahrungsmittel in jeder Lebenslage. Naja, wir müssen’s ja nicht essen, nur einkaufen.

      „Kannst Du bitte die Wäsche aufhängen?“ – „Das mache ich gerne, wenn Du mir zeigst, wie das geht.“ Auweia! Wer wie Juana mit Hauspersonal aufgewachsen ist, fängt bei Null an. Denn was die Arbeit betrifft, so teilt mir Juana bereits in den ersten Tagen mit: „Du kannst mir einen Elefanten in mein Zimmer stellen und ich werde ihn nicht bemerken“. Na gut, wenn ich weiß, dass sie die Arbeit nicht anspringt, so lege ich ihr eben jeden Morgen eine To-Do-Liste auf den Küchentisch. Die Arbeitszeit haben wir fest vereinbart, auf diese Weise kommen wir gut miteinander klar. Meine Agentur ist nur wenige Schritte von unserer Wohnung entfernt, ich bin ja nicht aus der Welt. Und putzen muss sie ja nicht, denn jeden Samstag kommt unsere polnische Perle Edita. Bei dieser Gelegenheit lernen wir erstaunt: Edita hat Abitur und spricht perfekt Spanisch. So freuen sich die beiden jedes Wochenende aufeinander.

      Schon nach wenigen Wochen können wir uns Juana aus der Familie nicht mehr wegdenken. Moritz liebt Juana. Denn sie versteht es, jeden Nachmittag geduldig im Monopoly zu verlieren. Nur einmal gibt es richtig Ärger: Im Park verabredet Moritz mit seinem Freund, dass sie in verschiedene Richtungen mit dem Radl abhauen und sich vor Juana verstecken. Sie ruft mich völlig aufgelöst