J. B. Hagen

Jahrmarkt des Todes


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wirst du es überall schwer haben.«

       »Ich würde ja sogar eine Ausbildung auf See machen. Aber als ich im Internet bei verschiedenen Reedereien recherchiert habe, hieß es zum Beispiel: „Sechs Wochen vor Beginn der Ausbildung laden wir Dich und Deine Familie zu einem Informationstag ein. Hierbei werden Dir See-Auszubildende und gestandene Seeleute über das Leben an Bord und den Arbeitsort Schiff berichten.“ Damit geht es schon los. Ich würde meine Alten nie und nimmer dazu bringen können, dort aufzukreuzen. Und selbst wenn, würde ich mich zu Tode schämen.«

       »Verstehe. So schlimm?«

       »Schlimmer.«

       »Und es gibt noch mehr Hürden. Du brauchst ein Seefahrtsbuch, das du nach einer entsprechenden medizinischen Untersuchung bei der See-Berufsgenossenschaft bekommst. Ohne dürfen aus versicherungstechnischen Gründen die meisten Kapitäne dich nicht mitnehmen.«

       »Deswegen habe ich die Reedereien auch schon abgehakt. Man muss doch auch ohne Papiere irgendwo unterkommen können.«

       »Tu dir das nicht an. Da draußen auf See bist du allein und hilflos. Wenn du über Bord gehst oder man dich auf einer gottverlassenen Insel aussetzt, wird das niemand mitkriegen.«

       »Zurück gehe ich jedenfalls nicht.«

       »Ich mache dir einen anderen Vorschlag: Bevor du andere Länder bereist, lerne doch erst einmal Deutschland kennen. In wenigen Tagen findet auf dem Heiligengeistfeld der Frühlingsdom statt. Einige Fahrgeschäfte haben schon angefangen aufzubauen. Die suchen immer junge Leute zur Aushilfe. Wenn du Glück hast, kannst du mit in die nächste Stadt fahren. Und der Vorteil ist, du hast immer festen Boden unter den Füßen. Na, wär das nicht was?«

       »Ich denke schon. Da hätte ich auch von allein draufkommen können. Vielen Dank für den Tipp.«

       »Gern. Also sehen wir uns nicht heute Nachmittag?«

       »Nein, ich glaube, nicht.«

       Auf dem Heiligengeistfeld war der Aufbau des Frühlingsdoms voll im Gange, als Moritz ankam. Überall herrschte rege Betriebsamkeit. Die DOM-Meile war vollgestellt mit Transportfahrzeugen, und Mitarbeiter, die wie fleißige Bienen hin und herhuschten, luden die einzelnen Teile der Fahrgeschäfte von LKWs und Containern und beförderten diese an den richtigen Platz. Als Orientierung dienten der DOM-Plan und die mittels Sprühfarbe erstellten Markierungen, die der Platzmeister schon Wochen zuvor auf den Asphalt gesprüht hatte.

       Denn die Fahrgeschäfte konnten sich nicht einfach irgendwo hinstellen, sondern die Standorte waren im Vorfeld festgelegt worden. Per Brief waren die Schausteller über ihren Standplatz und ihre Einfahrtszeit informiert worden. Von den etwa fünfhundert Anfragen war nur die Hälfte angenommen worden. Einen Anspruch auf einen bestimmten Platz gab es nicht, egal, wie lange die Schausteller schon auf dem Hamburger DOM gastierten. Es wurde nach der Devise verfahren: Ähnliche Geschäfte sollten weit auseinander stehen, und Buden derselben Sparte sich nicht überschneiden. Auch die Tiefe der Attraktionen entschied über den Stellplatz.

       Unter den Schaustellern gab es immer wieder welche, die mit ihrem zugewiesenen Platz unzufrieden waren, weil sie befürchteten, dort weniger Umsatz zu machen. Es konnte sogar vorkommen, dass einzelne Schausteller ihre Teilnahme deshalb absagten.

       Überall hörte man Metall aufeinander prallen. Es wurden Schrauben arretiert und bunte Planen befestigt. Selbst Kräne kamen zum Einsatz.

       »Weiter rechts, nein, mehr zur Mitte!« lauteten die Kommandos.

       »Könnt ihr noch Hilfe gebrauchen?«, sprach Moritz einen der Arbeiter an.

       »Was? Nein, wir sind vollzählig. Frag mal den Platzmeister. Der ist darüber informiert, wer mit Aushilfen arbeitet.«

       »Und wo finde ich den?«

       »Wenn er nicht gerade unterwegs ist, in seinem Büro im zweiten Stock des DOM-Referats. Das liegt auf der Westseite vom Millerntor-Stadion.«

       »Danke.«

       Moritz erhielt keine Antwort, weil der junge Mann schon wieder mit seiner Arbeit beschäftigt war. Der Platzmeister hatte dann tatsächlich einen Tipp für ihn.

       »Versuchs mal bei dem Weber. Dem gehört das „Breakdance“. Soviel ich weiß, hat der nur drei feste Angestellte. Dazu nimmt er meistens drei Aushilfen.«

       »Können Sie mir sagen, wo er sein Fahrgeschäft aufbaut?«

       »Hier, siehst du?« Der Platzmeister deutete auf den Plan. »Unweit des Fünfer Olympia Looping. Du solltest dich gleich auf den Weg machen. Der Sattelauflieger müsste in der nächsten halben Stunde ankommen. Komm, ich begleite dich. Ich muss noch mal nach dem Riesenrad sehen. Ob da alles seinen Gang geht.«

       Als Moritz und der Platzmeister wenig später zu der bewussten Stelle kamen, rangierte der Inhaber des Fahrgeschäfts gerade einen der drei LKW-Anhänger auf die richtige Position. Seine Mitarbeiter wiesen ihn dabei ein. Zuvor hatten sie schon mit Maßbändern den Stellplatz ausgemessen. Zum Schluss wurde der Kran aufgestellt, und nach dem Ausladen konnte der Aufbau beginnen.

       »Braucht ihr eventuell noch Hilfe?«, sprach Moritz einen der jüngeren Burschen an.

       »Da musst du den Chef fragen.«

       »Ja, du hast Glück. Mir ist einer der Hilfsarbeiter ausgefallen«, sagte Gunnar Weber, ein blonder Mittfünfziger mit Dreitagebart. »Willst du nur mit aufbauen oder länger bei uns bleiben?«

       »Wenn das geht, bleibe ich bis zum Ende des Doms, mache beim Abbau mit und fahre auch gern mit in die nächste Stadt.«

       »Holla, du legst ja ein Tempo vor. Zunächst wollen wir erst mal sehen, wie du dich machst. Du siehst zwar etwas spillerig aus, aber aus Erfahrung weiß ich, dass Burschen dieser Art über erstaunliche Kraftreserven verfügen. Halte dich am besten an Malte. Der ist schon länger bei mir. Das ist der muskulöse Bursche mit den dunklen Haaren, die wie ein Staubwedel aussehen.«

       »Alles klar. Und vielen Dank.«

       Am Ende des Tages war das Fahrgeschäft zu etwa sechzig Prozent aufgebaut. Die restlichen vierzig sollten am nächsten Tag folgen. Moritz schlief im sogenannten Mannschaftswagen mit Waschraum, WC und Dusche, voll ausgestatteter Küchenzeile, mehreren Schränken und einem SAT/-Antennenanschluss für Fernsehgeräte. Die Mitarbeiter teilten sich jeweils zu zweit eine Schlafkabine mit Doppel- oder Stockbetten. Nur Malte hatten einen eigenen Campingwagen, und natürlich der Chef, der mit seiner Frau, Doreen, einen luxuriösen Wohnwagen bewohnte.

       Colin, ein hagerer Blonder mit grünen Augen, der nur gut ein Jahr älter als Moritz war, teilte sich mit ihm eine Kabine. Erschöpft von der harten Arbeit lagen sie am späten Abend im Bett und konnten dennoch keine Ruhe finden.

       »Machst du das schon länger hier?«, fragte Moritz.

       »Etwas über ein Jahr. Zunächst als Aushilfe wie Noah und Simon nebenan, aber nach dem dritten Jahrmarkt hat mich der Chef fest übernommen.«

       »Und dieser Leander und Malte, wie sind die so?«