Beate Morgenstern

Hüben und drüben Davor und danach


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Büfett wurde dann doch aufgebaut und eröffnet, ohne dass Götz erschienen war. Sie stand vor den Speisen, Früchten. Manches kannte sie gar nicht. Nehmen Sie doch!, sagte Heinrichs Schwester. Am Nachmittag hatte Heinrichs Schwester erklärt, so (üppig) gehe es bei ihnen (im Westen) sonst nicht immer zu. Unter den Augen der Schwester hatte sie dann gerade mal ein Stück Kuchen genommen. Jetzt war es nicht nur Zurückhaltung, sie konnte sich auch nicht entscheiden. Ich bin doch ungeneußlich, sagte Heinrichs Schwester und lächelte. - Ungeneußlich? - Das ist schlesisch. Ungenießlich, gierig.

      Tja, was nehmen? Die schwarze Kat stand neben ihr. Woll auf alle Fälle Kaviar, mein ich. Übrigens, da gibt´s ne hübsche Geschichte. Ein Dötchen. Wie mein Vater nach zehn Jahren russischer Kriegsgefangenschaft zu uns heimkommt, bringt er vier Dosen Kaviar mit. Stelle man sich mal vor. Kommt mit vier Dosen Kaviar aus russischer Kriegsgefangenschaft! Als es nach Hause ging, haben die Russen sie mit Verpflegung überhäuft. Rucksackweise.

      Offiziere!, dachte sie. Wie streng noch in Gefangenschaft die Rangordnung eingehalten wurde, war ihr bekannt.

      Doch wie sie gehört haben, dass ein Speisewagen mitfährt, haben sie die Verpflegung dagelassen für die, die noch blieben.

      Nur den Kaviar haben sie mitgenommen. War ja nich lebensnotwendig, nich? Kaviar muss dort woll fast ne Art Volksnahrung sein, quasi zum Leben dazugehörend, oder?

      Kenn ich mich nicht aus.

      Ich ja auch nich. Wie soll ich auch, nich?

      Bei Tisch saßen sie dann auch nebeneinander. Kat redete weiter. Ich hab auch mal angefangen, meine Kindheit aufzuschreiben, aber denn hab ich schnell wieder aufgehört.

      Warum?

      Warum?, fragte auch Frau Vesper.

      War so schwarz, so negativ. Also, das wollt ich denn doch nich.

      Warum nicht?

      Nee, dat war mir nichts. Aber ich frag mich, warum ich mich nur an solche Sachen erinner. Immer nur, wo ich enttäuscht war, wo ich eins draufgekriegt hab, wo mir elend war. Dabei hat mir meine Mutter erzählt, jeden Morgen, wenn sie mich geweckt hätt, hätt ich gestrahlt und gesagt: Mutter, ich freu mich ja so. Kannst du dat verstehen?

      Nicht gleich.

      Nur reinwech negativ. Ich versteh nich, warum sich nur so was in mein Kopf festgesetzt hat. Das hab ich nich aufschreiben wolln, nee. Wozu soll dat gut sein, nich? Übrigens, nu sind wir schon beim du, nich wahr? Irgendwo sind wir ja woll auch Cousinen. Meine Großmutter war ne Krügerin. Und mein Großvater ein Krüger. Der Bruder von Herthas Mutter.

      Ach so seid ihr verwandt!

      Götz ist da, teilte Frau Vesper mit.

      Götz is da, na endlich!, sagte die schwarze Kat.

      Na endlich, sagte Heinrichs Schwester.

      Mit einem erlösten Lächeln stand Hertha auf, ging auf den Sohn zu.

      Götz nicht besonders groß. Der Schädel kräftig, die Augen klein, das Kinn stark ausgeprägt. Schräge die Stirn-Nasenpartie, kurzer Hinterkopf. In seinem Gesicht eine kampfbereite Offenheit. Der Körper erschien dagegen eher schmal, wenn auch nicht mager.

      Der Götz, des isch aber schön! Wir haben schon gefragt, wo du bleibsch, ob du überhaupt kommsch. Hertha legte ihren Kopf an den des Sohnes, ihre Hände umschlossen seine Schultern.

      Na sicher komm ich, was denkscht denn du, sagte Götz. Seine Stimme reich, melodiös. Und guck, ich hab mich rasiert, extra für dich. Er rieb mit der Hand seine Wange. Sein Mund zum Lachen geöffnet. Tadellose Zähne. Mit einem Blick, die Hand noch an der Wange, erfasste er die Gesellschaft im hinteren Raum. erklärte dann sein Geschenk, ein Buch von Umberto Ecco, Der Name der Rose.

      Wie schwierig es auch anderen war, Hertha etwas zu schenken, hatte sie am Tag erfahren, als sie das Haus besichtigt hatte. Alles vorhanden, das Notwendige und Praktische wie das Schöne überreichlich: alte Möbel, Bronzen, Bilder. Hertha und Heinrich ja Sammler. Am auffälligsten der Messingkopf einer Afrikanerin auf der Barockkommode. Der Kopf konnte ein historisches Stück sein. Und die schwarze, stark abstrahierte Büste einer Afrikanerin auf der anderen Seite der Tür zum Garten. Bücher, so hatte Hertha mehrmals am Tag verkündet, betrachte ich als einen Angriff auf meine Freiheit. Man muss sie dann lesen. Und was ich lese, das will ich mir selbst aussuchen!

      Un du bischt die Beate, sagte Götz, als sie wieder am Büfett stand, sah sie aufmerksam an mit fast zärtlichen Augen.

      Und du der Götz.

      Was zu erraten war. Götz lächelte. Übrigens, ich war schon öfter bei euch drüben. Ich war ziemlich links, musch du wissen, sogar DKP-nah.

      Ah ja.

      Was nimmt man denn hier?

      Sie nun kenntnisreicher, beriet.

      Götz tat sich auf. Ich besuch dich mal, wennsch dir recht is.

      Ja, sagte sie zögernd.

      Willsch net?

      Stefan kommt nicht mehr. Die Nanne auch nicht. Naja, Ille, wenn sie Nanne besucht. Sie sagte die Namen ihrer Westberliner Cousine und deren Schwester.

      Ach die Ille! Kennsch die Ille?

      Sie ist das Patenkind meiner Mutter. Und der Vater von Ille und Nanne ist der Bruder meiner Mutter.

      Ja so. Ich blick bei den Verwandtschaftsverhältnissen net so durch. Also willsch, dass ich dich besuch?

      Du sollst nur nicht sagen, du kommst und kommst dann nicht.

      Ich komm aber. Drum frag ich doch. Isch kompliziert, oder? Götz lachte. Er nahm nun von dem Kaviar, rosa und groß die Eier. Beiß drauf, mit den Schneidezähnen. Dann platzen sie wie eine Blase!

      Isch ja direkt unanständig!, sagte Götz.

      Heinrich fotografierte. Trotz seines Tatterichs. Fotografieren, wie sie inzwischen wusste, eine Leidenschaft. Heinrichs Vater war in Breslau Fotograf gewesen. Er richtete den Apparat auf sie und Götz. Sie wurde aufmerksam. Heinrich machte ein unschuldiges Gesicht, als wolle er alles Mögliche fotografieren, nur nicht Sohn und Nichte. Wie sie ihn mochte! Ihn und seinen Sohn Götz auch. Sie unterhielt sich weiter mit dem Cousin, der seinen Lebenslauf hersagte. Sie sprachen über Politik, verständigten sich schnell. Mal sah sie auf Heinrich. Seine Hände lagen ganz ruhig auf dem Tisch. Das also gab es auch.

      Sie dachte daran, was Hertha über die Krankheit geschrieben hatte. (Hertha eine große Briefschreiberin. Und sie bekam von ihr fast noch ausführlichere Antworten.).Das Krankheitsbild wird immer klarer. Wir leiden auch miteinander und versuchen, unserem Vorsatz - von der Heirat her - heiter sterben zu lernen, treu zu bleiben bzw. es zu lernen.

      Gisel war gekommen. Herthas jüngere Schwester. Sie stand im Raum, kleiner als Hertha, füllig, die grauen, dichten Haare halblang nach innen gewellt, ihr Gesicht hübsch, sah man von einer kleinen Asymmetrie ab. Die Eltern hatten sie als knapp Fünfjährige für eineinhalb Jahre zu Gisel in den Schwarzwald gegeben, wo sie im elterlichen Haus Kinder gegen Geld betreute.

      Und dann stand Hertha neben der Schwester, groß, schlank, etwas nach vorn gebeugt, herb das Gesicht, in milder Abwehr. Gisel reckte sich. Immer noch schien sie ihre Kraft an der älteren Schwester messen zu wollen.

      Fotografier doch die beiden, sagte sie zu Heinrich.

      Später, antwortete er ausweichend.

      Am Kamin im vorderen Teil des Raumes bildete sich um Frau Vesper und Götz eine Runde. Man lachte und erzählte dort. Sie blieb an der Tafel sitzen. Mit ihr Kat und Gisel. Vielleicht blieb Kat nur da, um sie nicht mit Gisel allein zu lassen. Deren Schweigen beunruhigte. Kat unterhielt. Die laute Stimme hatte sie ja und die Unbefangenheit.

      Spät am Abend erschien ein sehr korrekt gekleideter Herr. Schnauzbärtig, glattgesichtig. Hertha kam mit ihm an die Tafel, wo sie mit Gisel und Kat wie festgenagelt saß. Wir kennen uns von der Asylarbeit, sagte sie. Er möchte dich kennenlernen. Er ist an euch drüben so interessiert. Er bezeichnet sich selbst als konservativ.