Claudia Meddour

Der tierische Wahnsinn geht weiter


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      »He Kohlweißling, du hast uns gerettet! Du bist klug und echt clever. Du hast uns bewiesen, dass du aufmerksamer und schlauer bist als wir. Wir haben nur an unseren Spaß gedacht. Hätten wir dich nicht gehabt … wer weiß. Danke, danke, Dankeschön«, so riefen alle durcheinander.

      Ein älterer Zitronenfalter hatte sogar eine gruselige Geschichte zu berichten. »Hast du denn eine Ahnung, was man mit den Gefangenen gemacht hätte? Wir wären auf eine Nadel gepikst worden, dann kämen wir in einen Glasschaukasten wo man uns betrachtet und studiert hätte. Jedes noch so kleine Härchen würde untersucht, ein bedauerliches Ende, oder?«

      Wir alle bekamen Angst.

      Das durfte nicht noch mal passieren, darüber waren wir uns einig.

      »Was wir brauchen, ist ein Spion! Einer der gut beobachten und uns warnen kann, im Fall der Fälle. Das ist die Aufgabe eines Schmetterlingschefs! Und dieser Chef sollst du sein, Kohlweißling!«, erklärte der Zitronenfalter gewichtig.

      Mit diesen gewichtigen Worten bildeten sie einen Kreis um mich und jeder berührte mit seinen Flügeln meine Flügel. Ich war stolz.

      Ja Leute, und so wurde ich zum Anführer einer bunten Schmetterlingsschar. Keine schlechte Karriere, was? Ich liebe meinen Job und ich mache gute Arbeit als Späher und Warner. Meine Flügel erweisen mir immer wieder gute Dienste dabei. Sie sind schnell und kräftig und … weiß. Das ist mir inzwischen total egal. Ehrlich, ich bemerke den Mangel an Farbe gar nicht mehr. Farbe ist mir gleichgültig geworden. Und enttäuscht, nein, enttäuscht bin ich längst nicht mehr von mir. Ich habe mich doch ganz schön entwickelt, nicht wahr? Vom Ei zur Raupe zum Kohlweißling zum Boss aller Schmetterlinge dieser Wiese.

      Eins ist gewiss: Ein Schönling bin ich nicht, aber ich bin auf meine Art schön, sogar wunderschön. Denn wahre Schönheit kommt von innen. Sie sieht man nicht.

      Scheibenwischermelodie

      Ich bin eine Culex pipiens. – Was? Ihr kennt mich nicht? Oh doch, ihr kennt mich, denn ich bin eine ganz normale Stechmücke oder Hausmücke – und die kennt jeder. Aber mein wissenschaftlicher Name klingt cooler, der klingt nach etwas Besonderem, nach mehr. Aus diesem Grund nenne ich mich gerne so kompliziert. Angeben will schließlich jeder. Und außer diesem Namen habe ich leider nichts, um zu beeindrucken.

      Wir Mücken sind nicht sonderlich beliebt, durch unsere Art haben wir überall Feinde. Man schlägt nach uns und denkt sich heimtückische Sachen aus, um uns zu vernichten. Ganz häufig enden wir als roter Fleck an der Wand. Fürchterlich.

      Ich wurde vom Schicksal bisher immer gut behandelt. Ich habe viele gestochen und bin immer mit heiler Haut davongekommen. Aber es gibt halt gute und schlechte Tage – und gestern war ein Tag von der übelsten Sorte, so einen Tag möchte man am liebsten aus dem Kalender streichen. Den wünscht man nicht mal seinen Feinden. Um ein Haar hätte es mich erwischt und aus wäre es mit mir gewesen, aus für immer, aus und vorbei.

      Hört also die furchtbare Geschichte einer Culex pipiens aus der Familie der Culicidae. Hört das aufregende Erlebnis einer normalen Hausmücke:

      Ich flog also ganz unbeschwert so herum, da sah ich von oben ein kleines rotes Auto. Rot ist meine Lieblingsfarbe, müsst ihr wissen. Ich liebe alles was rot ist und das kleine Auto gefiel mir wegen seiner leuchtend roten Farbe besonders. Ich flog darauf zu, umrundete es, stellte fest, dass es ein Fiat war, sauber war er auch, und fand, dass das genau der Platz war, um ein wenig zu verschnaufen. Ich steuerte die Scheibe vorn an und machte es mir gemütlich, indem ich meine vier schönen langen Beine ausstreckte. Die Sonne schien mir auf den Bauch und vor lauter Glück muss ich wohl eingenickt sein.

Scheibenwischermelodie

      Wie ich also so bequem auf der Scheibe herumliege, beginne ich zu träumen – von zarter Haut und von herrlich-leckerem Blut. Ach, der Traum hätte ewig so weitergehen können, aber da begann plötzlich das ganze Auto zu wackeln und zu ruckeln und loszufahren. Meine lieblichen Vorstellungen endeten augenblicklich. Ich wurde unsanft geweckt, was zur Folge hatte, das ich total benommen, ja sogar verwirrt war. Ich verstand den Ernst meiner Lage zu spät und reagierte zu langsam – leider. Auf- und davonschwirren, das war ich gewohnt, das gehörte zu meinem Leben; als Mücke war man immer auf der Flucht. Aber, wie gesagt, ich war gerade aus meinen Träumen gerissen worden, da bin ich nicht gleich so fit, da brauche ich immer eine Weile, um mich neu zu orientieren.

      Das Auto fuhr los, ich wurde durch die Geschwindigkeit auf die Scheibe gepresst und je schneller der Fiat fuhr, umso stärker quetschte mich der Fahrtwind auf das Glas. Ein Entkommen war unmöglich. Ich konnte mich nicht vom Fleck rühren.

      Mann, das war grässlich! Ich wurde flach wie ein Fisch, meine Augen klebten schier auf der Scheibe und was die sahen, war nicht gerade erbaulich: einen Einkaufskorb, der neben der Fahrerin stand. Das konnte nur bedeuten, dass wir zum Supermarkt fuhren und der war weit weg. Meine Situation war heikel und ich bereute – erstens die Platzwahl für mein Nickerchen und zweitens meine Unachtsamkeit. Aber nun war es zu spät, ich musste ausharren und auf ein Wunder hoffen.

      Ich hätte es sicher bis zum Ziel ausgehalten, denn ein Weichei bin ich nicht, aber zu meinem Unglück fing es an zu tröpfeln und dann zu regnen und am Ende zu gießen wie aus Eimern. Das war schon schlimm genug für eine Culex pipiens aber es kam noch schlimmer – ein Unglück kommt selten allein, sagt man ja: Die Frau schaltete natürlich die Scheibenwischer an und die trafen mich völlig unerwartet am Kopf! Sie rissen mich aus meiner Position und schleuderten mich mit Wucht nach unten in die Gummirinne. Wisch! Und schon waren sie wieder unterwegs nach oben.

      Ich zog den Kopf ein und ging in Deckung so gut es ging, denn ich sah die Wischer gerade wieder auf mich zusausen. Und schon trafen sie unvorbereitet meine Hinterbeine und – Wasch! – waren sie erneut weg. So konnte und durfte es nicht weitergehen, mir musste schleunigst etwas einfallen, bevor ich zerdrückt wurde.

      Die unerwartete Rettung war ein Zebrastreifen. Die Fahrerin musste kurz anhalten und ich krabbelte mit letzter Kraft und so schnell wie es ging auf diese furchtbaren Dinger von Scheibenwischer, denn da glaubte ich mich sicherer zu fühlen. »Besser oben drauf als unten drunter«, dachte ich trübselig. Kaum dort angelangt ging es schon wieder aufwärts. Wisch! Dieses Mal mit mir. Es blieb nicht die kleinste Erholungspause und ich musste mich schnellstens an die neue Lage anpassen.

      Wisch-wasch, wisch-wasch – immer der gleiche Rhythmus. Entsetzlich. Und dazu Wasser überall. Ich klammerte mich ängstlich fest und fester, ja, gnadenlos fest krallte ich mich.

      Zum Glück ließ sich dieses ständige Auf und Ab von meiner jetzigen Lage aus etwas besser ertragen. Wenn man von besser überhaupt sprechen kann. Ich dachte so bei mir: »Lieber Stechmückengott, lass es wenigstens aufhören zu regnen.« Denn lange konnte ich, trotz täglichem Krafttraining, nicht da hocken bleiben.

      Aber wie es im Leben so ist: Niemand hört deine Bitten, wenn es darauf ankommt.

      Ich merkte zuerst, dass meine Beinmuskeln hinten erlahmten, dann fingen die Bizeps an zu zitterten, was kein gutes Zeichen war. Sehen konnte ich sowieso nichts mehr, alles war nass. Zudem war mir schlecht vom ständigen Hoch und Runter. Das war kein Mückenleben mehr, das war ein Albtraum. Ein Plan B war nicht in Sicht. Durchhalten, lautete die Parole.

      Und ich hielt durch.

      Als ich nicht mehr daran glaubte, jemals wieder unbeschwert herumfliegen zu können und hier und da einen zu stechen, kam das Auto zum Stehen – wir waren am Supermarktparkplatz angekommen.

      Durch das plötzliche Halten rutschte ich ganz nach unten und dort blieb ich, völlig entkräftet, einfach liegen. In einer kleinen Pfütze, ich muss es zu meiner Schande gestehen, ja, in einem Regentropfen landete ich.

      »Geschafft«, dachte ich, »überstanden, davongekommen! Du lebst! Wunderbar!«

      Ich wartete also, bis ich aufhörte zu bibbern. Und nicht dass ihr jetzt denkt, ich wäre schnellstens davongeflogen! Nein! Jetzt saß ich am längeren Hebel. Jetzt kam