Gerti Richter

Hirschparade


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      Gerti Richter

      Hirschparade

      Gerti und ihre Chefs Teil 1

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Impressum neobooks

      Kapitel 1

      Es röhrt der Hirsch mal laut, mal leise.

       (Alte Volksweisheit aus Bayern)

      

      Die Lehrer sind die besten Kunden

      Ein dickes, schönes, rosiges Stück Eisbein liegt auf meiner Gabel, umrahmt von Sauerkraut und einem Klecks Kartoffelbrei. Da klingelt das Telefon.

      Was mach ich nun? Einen Augenblick zögere ich, den leckeren Bissen wieder herunter auf den Teller zu legen, aber mit diesem fetten Stück im Mund kann ich unmöglich am Telefon sprechen. „Ich komme ja schon, ich komm ja schon“, sage ich, während ich vom Tisch aufstehe, um das Gespräch anzunehmen. Mir ist schleierhaft, wie die Leute es immer rauskriegen, wann ich esse, und warum sie genau dann anrufen müssen.

      „Hallo, hier ist Gabriele. Wir haben mal zusammen einen Spanisch Kurs gemacht. Erinnerst du dich?“ Nein, Ich erinnere mich nicht und schiele zu meinem Essen, das jetzt vermutlich kalt wird.

      „Von Karoline weiß ich, dass du Alphabetisierungskurse machst“.

      Das ist wahr, aber worauf sie hinaus will, weiß ich noch immer nicht. „Ich habe gerade einen Anruf bekommen von der Rektorin der Hauptschule Hinterm Anger in Gelsenkirchen. Sie will mich für eine ABM einstellen. Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.“ Als ob ich das nicht wüsste. „Aber ich kann das nicht machen. Ich sitze gerade im Examen und habe keine Zeit dafür. Ich habe ihr vorgeschlagen, dass ich mich um einen Ersatz kümmere, und da habe ich an dich gedacht, weil du doch Alphabetisierung machst. Es geht um Flüchtlingskinder, Roma und andere, aus dem Libanon zum Beispiel. Ganz kapiert habe ich es auch nicht. Suchst du nicht einen Job?“

      Soll ich daraus schlau werden? „Hör mal, Gabriele“, sage ich. Ich weiß wirklich nicht, warum du anrufst, und mein sehr leckeres Essen wird gerade kalt. Kannst du nicht mal deutlicher werden?“

      „Also, es geht um einen Job, eine ABM an einer Hauptschule. Sie suchen dringend jemanden, weil die Stelle schon bewilligt ist und die Zeit läuft, der ausgesuchte Kandidat ist wohl abgesprungen. Deshalb haben sie mich angerufen, aber ich kann auch nicht. Wenn du Interesse hast, gebe ich dir die Nummer von der Rektorin. Sie ist wirklich sehr nett. Ich würde es ja selber machen, aber wie gesagt, geht jetzt nicht. OK?“

      Allmählich dämmert es mir. Hier ist ein Job in Aussicht! Ich bin manchmal einfach sehr schwer von Begriff. „Hast du was zu Schreiben?“ Gabriele lässt nicht locker. „Ich gebe dir mal die Nummer und den Namen der Frau, sie heißt Salberg, ruf sie an, ok?“ Ich tue wie geheißen, hole Stift und Papier und notiere alles brav. Inzwischen ist mein Gehirn auf Touren gekommen, Sauerkraut kann kalt werden, macht nix. Hier ist ein Job in Aussicht! Ein Einstieg in die Arbeitswelt, Menschenskinder, darauf habe ich doch schon so lange gewartet! „Gabriele“, bringe ich heraus, „du bist wirklich nett, das ist toll, dass du an mich denkst, also, gib mal die Nummer!“ „Ruf sie gleich an, ich habe ja selber gerade erst mit ihr gesprochen, sie wird sich freuen!“

      Ich schreibe die Kontaktdaten auf und setze mich erst mal wieder an meinen Tisch. Gedankenverloren schiebe ich mir das nur noch mäßig warme Eisbein in den Mund und kaue, während ich nachdenke. Zu lange darf ich jetzt aber nicht warten, schmiede das Eisen, denke ich mir, wische entschlossen den Mund ab und mache mich innerlich bereit für den entscheidenden Anruf.

      Und dann geht alles ganz schnell. Frau Salberg redet und redet am Telefon. Von der Frau, die sie kurzfristig hat sitzen lassen, so dass die Stelle jetzt unbesetzt ist. Dass die Stelle zunächst für ein Jahr befristet ist, aber in der Regel und eigentlich immer für ein zweites Jahr bewilligt wird. Dass sie so froh ist, dass ich angerufen habe. Ich selber habe eigentlich nicht sehr viel zu diesem Gespräch beigesteuert, außer ein paar „ja, genau, ach wirklich, meine Güte“ und, „ich habe Sozialwissenschaften studiert und viel Erfahrung mit Alphabetisierung“. Sie wollte mich sofort sehen, am besten noch am selben Tag, aber das ging leider nicht, weil sie Besuch aus dem Ministerium erwarte, also dann Morgen, ob es mir passt?

      Und wie es mir passt! Ich sage alles zu, stehe nun vor der Schule und suche den Eingang. Die Straße, an der die Schule liegt, ist nicht sehr vertrauenerweckend. Mülltonnen stehen durcheinander vor den Häusern, manche Fenster haben diese komisch wehenden, halb zerfetzt aussehenden Gardinen, es sieht ungepflegt aus. Grau, keine Bäume oder Sträucher an der Straße, und dann dieser Kasten aus den siebziger Jahren, das ist die Schule. Ein dreistöckiger Flachbau mit großen, quadratischen Fenstern, seitlich davor in zwei Reihen parken ein paar Autos. Das müssen die Lehrerparkplätze sein. Es ist schon nach zwei Uhr nachmittags, da wird wohl nicht mehr viel Unterricht gehalten, es ist ja keine Ganztagsschule.

      Rechts und links führen Einfahrten hinter die Schule, und ich bin unsicher, für welche Seite ich mich entscheiden soll. Als ob das nicht egal wäre! Aber ich bin aufgeregt und will unbedingt alles richtig machen und vor allem nicht auffallen.

      Ich entscheide mich für den vorderen Eingang links und gelange richtig auf den Schulhof, der von ein paar armseligen Büschen begrenzt wird, die vergeblich versuchen, einen Maschendrahtzaun zu verbergen. Eine breite Treppe aus drei Stufen führt zur Eingangstür, Glas und blau gestrichenes Metall. Ich trete ein. Drinnen ist es leer und ruhig. Der Boden aus gesprenkelten Granitplatten, an den Wänden Schaukästen, die Werke von Schülern ausstellen. Gefaltete bunte Etwas aus Papier, weiße Reliefs aus Pappe, Collagen. Ich höre meine eigenen Schritte quietschen, es sind die Schuhe mit den Gummisohlen, die ich trage. Wo ist bloß das Sekretariat? Immerhin werde ich erwartet, wir sind ja verabredet. Ich schlage den linken Gang ein und suche die Schilder an den Türen ab. Klassenräume sind es, dann, endlich, das Sekretariat.

      Die Tür ist verschlossen. Ich klopfe, trete ein, hier sitzt niemand. Eine weitere Tür innen ist nur angelehnt. Entschlossen gehe ich darauf zu und öffne sie, da sitzt eine ältere Dame hinter einem Schreibtisch und telefoniert. Als sie mich sieht, beginnt sie zu strahlen und winkt mich herein. Macht mit der Hand Zeichen, die mir bedeuten sollen, dass sie gleich fertig ist mit dem Telefonat und ich mich schon mal setzen soll. „Ja, sicher, wir sehen uns dann in vierzehn Tagen! Ich freue mich schon. Sie werden begeistert sein!“ Dann legt sie auf. Sie trägt ein graues Kostüm, ganz damenhaft, hat dunkle, glatte Haare im Bubikopfschnitt und eine Brille. Ihr Gesicht ist klein und freundlich. Sie erhebt sich gleich und gibt mir die Hand. „Ich freue mich so, dass Sie es einrichten können“, beginnt sie das Gespräch. Wir sollten uns doch ein wenig kennenlernen. Ich bin begeistert, dass Sie die Erfahrungen im Bereich Alphabetisierung gemacht haben, obwohl es natürlich anders ist, wenn man Kinder