Gerti Richter

Hirschparade


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gelingt ihnen doch, die Nudeln in kochendes Wasser zu geben, eine Dose mit geschälten Tomaten zu öffnen, Salz, Zucker und Gewürze dazu zu geben, Öl und Tomatenmark. Zwiebeln schneiden ist ein ganz großes Erlebnis, da gibt es welche, die werden fast ohnmächtig, weil es so in den Augen brennt, und ein Junge schneidet sich in den Finger.

      Ich durchstöbere die Küche nach allem, was ich für die Brötchenbackerei benötige. Da stoße ich auf eine große, elektrische Getreidemühle in einem der Seitenschränke.. Es wäre doch sicher noch viel besser, das Mehl selber herzustellen, aus dem ich die Brötchen backe. Dann brauch ich nicht dauern zum Supermarkt und Mehl kaufen. Frischer wäre es auch und würde viel besser schmecken.

      Nach dem Essen lasse ich mir von Frau Krause zeigen, wie die Getreidemühle funktioniert. Es ist ganz einfach, und das Mehl, das dabei entsteht, ist leicht, luftig und duftet frisch. So mache ich das!

      Ich suche eine Adresse, wo ich in größeren Mengen Weizen kaufen kann und finde eine landwirtschaftliche Großhandlung im Norden, etwas außerhalb der Stadt. Wunderbar, da werde ich mal hinfahren! Der Ausflug dauert anderthalb Stunden und ich komme zurück mit einem fünfzig Kilo Sack Weizen. Einer der Lehrer hilft mir, das Getreide in der Küche zu verstauen. „Was haben Sie dann damit vor?“ kommt die neugierige Frage. Ich kläre ihn auf, dass ich ab morgen Brötchen backen werde und die dann in der ersten großen Pause verkaufe. „Gesundes Frühstück, auf ausdrücklichen Wunsch von Frau Salberg!“ setze ich hinzu. „Ah, das ist ja interessant, da werde ich sicher mal bei Ihnen vorbeischauen!“ kommt als Antwort.

      Inzwischen habe ich mir einige Gedanken über mein neues Vorhaben gemacht und einen Ehrgeiz entwickelt. So einfach trockene Brötchen mit Margarine, das ist doch nichts! Ich will es anspruchsvoller, wenn ich mich schon dieser Beschäftigung hingebe. Ich kaufe Sesam, Mohn und Kürbiskerne, Wurst, Käse, Marmelade und Margarine.Das Mehl mahle ich schon am Nachmittag, bevor ich nach Hause gehe.Ich plane sechzig Brötchen, dafür brauche ich drei Kilo Mehl und drei große Schüsseln, um den Teig anzusetzen.

      Am nächsten Morgen, oh Wunder, steht Kybrie allein in der Tür der Küche, sie ist doch sonst nie so früh! „Wo sind denn die Anderen?“ frage ich sie, während ich mir mit dem Arm die Haare aus dem Gesicht streiche, meine Hände voller Teig. „Hamdi schlafen“ sagt sie mit einem schiefen Lächeln. „und Tino?“ frage ich weiter. Sie zuckt mit den Schultern. Irgendwie klappt es nicht so gut zwischen Tino und den anderen beiden. Er ist anders. Einmal haben sie sich ganz fürchterlich in die Wolle gekriegt, ich musste sie auseinanderziehen und voneinander trennen, so wild sind sie übereinander her gefallen. Und das, weil sie sich nicht einigen konnten, wie „Ente“ in ihrer Sprache heißt. „Patka“, rief Hamdi immer wieder während er auf das Bild der Ente zeigte. „Patka, Patka, Patka, Patka Patka“ er brüllte und lief ganz rot an. Kybrie fiel ein in den Singsang von Patka Patka. Tino hingegen schrie, Tschirikli, Tschirikli, Tschirikli!“ Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte. Offensichtlich haben sie unterschiedliche Dialekte und auch unterschiedliche Bezeichnungen in ihren Sprachen. Aber warum sie sich deshalb prügeln müssen? Klar wurde auch, dass Kybrie und Hamdi mehr gemeinsam miteinander haben als mit Tino. Na gut. Was soll ich tun außer ihnen sagen, dass es auf der Welt hunderte von Bezeichnungen für eine Ente gibt. Doch Kinder nehmen das Wort für die Sache, und nicht nur Kinder.

      Ich hole Kybrie also zum Brötchen backen dazu. Welche Aufgaben kann ich ihr geben? Ich bitte sie, den Teig zu kneten, der in einer der vier Schüsseln genug gegangen ist. Sie soll sich vorher noch ihre Hände gründlich waschen, dann kann sie loslegen. Ich sehe gleich, dass sie das schon tausendmal gemacht hat. Sie ist sehr bei der Sache, lächelt mich an, während sie den Teig mit gekonnter Bewegung walkt und hin und wieder in die Luft wirft und auf den Tisch klatscht. Super! Wir formen lange Rollen, die werden in Scheiben geschnitten und wahlweise mit der Schnittseite in Mohn, Sesam oder Kürbis getunkt, so dass die Körner daran hängen bleiben. Dann auf ein Blech mit Backpapier gelegt und ab damit in den Ofen. Bald duftet die Küche wunderbar nach frischen Brötchen.

      Ich stelle einen Tisch in die Tür zum Flur, darauf will ich die Bleche mit den Brötchen zum Verkauf anbieten. Ich blicke auf die Uhr, es wird knapp. Vor dem Belegen sollten die Brötchen zumindest ein wenig abgekühlt sein, aber was soll´s? Ich schneide Salami auf, lege Käsescheiben bereit, wir schneiden die heißen Brötchen zum Abkühlen auf, schmieren dann wie die Weltmeister, und kurz vor der Pause liegen zwei Bleche fertig bereit, Nachschub ist auch schon vorbereitet.

      Kybrie ist riesig stolz. Sie hat schon zwei Brötchen selber gegessen und ist mir eine richtige Hilfe. Beim Verkaufen will sie allerdings nicht mehr dabei sein, sie drückt sich am Tisch vorbei aus der Küche heraus und ist verschwunden. Na gut, ich habe immer noch alle Hände zu tun, es hat gerade zur Pause geklingelt.

      Als erstes sehe ich Herrn Kerner von gestern herbei schlendern. Er blickt sehr interessiert über meinen Tisch. „Ja, was nehme ich denn da? Die sehen alle so gut aus!“ Da hat er Recht. Leckere Mohn-, Kürbiskern- und Sesambrötchen liegen appetitlich nebeneinander, mit Salami oder Käse belegt. Er entscheidet sich für Mohn-Salami und ein Kürbiskern-Käsebrötchen. Mittlerweile stauen sich hinter ihm schon Schüler. „Was kosten die?“ „Dreißig Pfennig eins“. Ich kann gar nicht so schnell kassieren, so groß ist die Nachfrage. Als Frau Salberg vor meinem Tisch steht, ist nur noch ein Marmeladenbrötchen übrig. „Das hat ja gut geklappt!“ sagt sie. „und wie lecker die duften! Die Kollegen sind direkt ins Schwärmen geraten!“

      Von dem Tag an sind die Brötchen der Hit. Ich mahle am Vortag, setzte bergeweise Teig an und produziere dann morgens achtzig bis neunzig Brötchen, die ich alle loswerde. Ich bekomme Vorbestellungen von den Lehrern, die mit Tüten kommen und bis zu drei Brötchen mitnehmen. Mehr gebe ich nicht ab. Schließlich verdient ihr ja wohl genug Geld, dass ihr ganz normale Preise zahlen könnt, denke ich. Mehr als drei gibt es nicht. Und die Kinder sind auch ganz wild drauf.

      Kybrie kommt manchmal mir zu helfen, aber leider nicht sehr häufig. Sie schläft doch auch lieber etwas länger und kommt dann mit den anderen gemeinsam.

      Frau Salberg ist jetzt glücklich und ganz zufrieden mit mir. Sie findet meine Brötchen so gut, dass sie beschließt, beim nächsten Besuch des Ministeriums auf ein externes Catering zu verzichten und statt dessen meine selbst gebackenen Brötchen anzubieten. Als Kanapees, versteht sich. Auch darf der Belag etwas aufwändiger sein. „Lachs und Dill, feiner gekochter Schinken und guter Camembert“ schlägt sie vor. Gut, an mir soll´s nicht liegen. Die Herren aus dem Ministerium kommen nachmittags, da bleibt mir morgens genügend Zeit zum Einkaufen und Vorbereiten.

      Frau Salberg bittet mich zu sich. „Meinen Sie, ich könnte Sie einmal in das Kaufhaus schicken, um zu schauen, ob es Geschirr von der Marke „Kleine Möwe“ gibt? Ich habe kein vollständiges Service mehr im Hause, und es sieht einfach besser aus, wenn ich den Tisch mit einheitlichem Geschirr eindecken lassen kann. Die Herren stimmen unter anderem mit ab über die Gewährung der ABMs für meine Schule“, setzt sie hinzu. Verstehe. Da lassen wir also nix unversucht. „Gern, sehr gern!“, sage ich und spreche die Wahrheit. Porzellan zu kaufen, das macht doch Spaß. Und wir haben Glück, die „Kleine Möwe“ gibt es sogar im Sonderangebot. Ob ich die Servierplatte nicht auch noch gleich mitnehmen soll, frage ich telefonisch nach. Darauf sehen meine Brötchen noch besser aus.

      Ich bin wirklich stolz auf meine drei Platten Kanapees. Schön garniert und reichlich belegt zieren sie den Tisch bereits. „Würden Sie uns dann den Kaffee hereinbringen, wenn alle da sind?“ fragt Frau Salberg dann. Das geht mir eigentlich dann doch zu weit. Brötchen backen für die Schüler, ok. Aber den Ministeriumsleuten Kaffe servieren? Wer bin ich denn? Aber ich kann das nicht wirklich ablehnen.

      Nach der sechsten Stunde, als die Schüler das Gelände bereits verlassen haben, füllt sich der Schulhof mit schwarzen, großen Limousinen, aus denen dunkel gekleidete Herren aussteigen, nicht bevor nicht der Fahrer einmal um das Auto gefitscht ist, um ihnen die Tür aufzumachen. „Frau Salberg, Frau Salberg,“ denke ich. Sie hat den Draht zum Ministerium, das steht fest. Vielleicht kommt der Kultusminister sogar höchst selbst? Ich mache den Kaffee auf den letzten Drücker, damit er schön frisch ist, und ich bringe es über mich, mit zwei Kannen bewaffnet den Besprechungsraum zu betreten und den Kaffee auf den Tisch zu stellen.