Marianne Peternell

Frauen und ihr Erbe


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Sie fragt sich, wie ein Körper, eine Identität oder ein Subjekt besondere Bedeutung erlangen kann, das Andere dabei jedoch ausschließt. Butler meint, dass Ursache dafür eine gesellschaftliche Vorstellungsmatrix sei, die von binärer Körperdifferenz ausgeht. Die Unterwerfung unter diese verlange, dass andere, nicht einzuordnende Formen von Körpern verworfen werden. Das Verworfene seien nicht lebbare Möglichkeiten des sozialen Lebens, die aufgrund ihrer Ausschließung das Subjekt konstituierten. Zurückgewiesene, nicht lebbare Körper würden zur Bedingung derjenigen, „die sich mit der Materialisierung der Norm als Körper qualifizieren, die ins Gewicht fallen.“ (Körper von Gewicht, S. 40) Was an machtvollen Interventionsmöglichkeiten bliebe, sei Performativität als die Macht des Diskurses, Wirkungen durch ständiges Wiederholen hervorzurufen. Real betreibt sie dieses Intervenieren als radikale Dekonstruktion des Gegensatzpaares männlich-weiblich an und für sich.

      Kritikerinnen wie Seyla Benhabib dagegen postulieren, das weibliche Selbstgefühl sei viel zu wenig entfaltet, als dass eine solche Position wahrhaft wirksam werden könnte.

      Gegen die Theorie Butlers möchte ich einbringen, dass die menschliche wie schon die tierische Gesellschaft auf zweigeschlechtlicher Fortpflanzung beruht. Es ist anzuerkennen, dass an der Erschaffung von Nachwuchs nicht nur ein Körper, sondern zwei voneinander unterschiedliche Körper beteiligt sind. Meiner Meinung nach muss Gender nicht rigid, sondern fließend gedacht werden. Wären die Gendergrenzen durchlässiger, wären Geschlechtsumwandlungen nicht nötig, da dadurch die Anerkennung der Anatomie als Schicksal erfolgt.

      Im Wesentlichen bewegt sich die Debatte heute weiterhin im Widerstreit von Egalitätstheorem(Gleichheit von Mann und Frau) und dem auf Geschichte zurückgreifenden Differenztheorem (Unterschied zwischen Mann und Frau). Für mich ist klar, dass beides richtig ist. Einerseits gibt es selbstverständlich die Gleichheit zwischen Mann und Frau als Menschen, aber mit unterschiedlicher Geschichte und andererseits gibt es ihre Unterschiedlichkeit als Geschlechtswesen, die für die Reproduktion der Gattung sorgen. Das Problem in der Geschichte des Feminismus mit der Theorie von der Verschiedenheit der Geschlechter beruht darauf, dass vielfach daraus eine Diskriminierung der Frau erfolgt ist. Aber nicht hierarchisierend …“kann man sehr wohl die wirklichen Besonderheiten jedes Geschlechtes anerkennen, ohne deswegen zuzulassen, dass diese Unterscheidung automatisch zur Ungleichheit und zur Diskriminierung im Bereich von Status und Rolle führen.“(Thibault in: Sullerot/Thibault, a.a.O., S.225)

      Neu ist, dass die Debatte um den Begriff der Geschlechterdifferenz weit auszugreifen beginnt und sich mit der Frage nach dem Naturbegriff, der Frage nach dem Begriff des Anderen, sowie mit der Frage nach dem Begriff des Subjekts verknüpft, wie dies in der männlich dominierten Geschichte der Philosophie schon seit der Antike der Fall ist.

      3Die Aufklärung in Europa als Basis unserer Neuzeit

      Um 1800 gab es in Europa eine Länder übergreifende Bewegung: Die Aufklärung, das Streben, den eigenen Verstand selbständig zu gebrauchen und aus Abhängigkeiten zu erlösen.

      Im Wollen, in der Absicht der Aufklärer äußerte sich die Idee der anzustrebenden Gleichheit aller Menschen und Völker, die Idee der Erlösung von jeglicher Unterdrückung.

      Parallel zu dieser Haltung der europäischen Intellektuellen zur Welt, die in einem Ideal von Toleranz und Freiheit zur weltumspannenden Freude findet, die daran gehen will, die Welt durch Bildung sich und damit dem Wesen der Vernunft und der Logik anzuverwandeln, entfaltet sich eine ungeheuer rege Tätigkeit an Bildungsmaßnahmen für das Volk, es entwickeln sich die Pädagogik und Schulen für Kinder, Erziehungs- und Bildungsratgeber für Frauen entstehen, Lesezirkel und Salons für das gebildete Gespräch.

      Schaut man genauer hin, wird deutlich, was die Aufklärer damals gelebt und gedacht haben, die Hintergrundmatrix für das Bildungsstreben wird sichtbar.

      Bei Hegel findet sich die Vorstellung, dass der Geist aus Natur herausgetreten sei, die ihm als Verstreutes und Vereinzeltes rein äußerlich erscheine.

      Die Welt dieser begrifflichen Logik setzt andere voraus, die dieses Bezugssystem teilen und sich darin geborgen und aufgehoben sehen, solche, die dieses Verhältnis zur Welt aus eigener Erfahrung bestätigen können. Sie erleben nun die Freude, dass sie sich und dieses Verhältnis zur Welt absolut setzen können. Ich imaginiere also das Tun einer Gruppe von Menschen, Denkern, die diese Beschreibung als wahr in sich vorfinden, die Welt als außen, als Vereinzeltes, Verstreutes, Zufälliges erfahren, mit dem sie primär nichts zu tun haben, das sie als von sich abgetrennt erleben und an das sie nun so heran gehen, dass sie ihre eigene in sich vorgefundene Logik, die sie möglichst weit ausgebildet haben, nun in diesem Äußeren vorzufinden und in Form von Begriffen und Beschreibungen zu bannen suchen, um so Schritt für Schritt in der Erkenntnis voranzukommen.

      Imaginieren wir aber einen Bauern, der sein Feld bestellt, Getreide sät und erntet, den Wechselfällen des Wetters, seiner Gesundheit und der seiner Familie und seiner Mitarbeitenden ausgesetzt usw. ist und eine persönliche Haltung zu Arbeit, zu Liebe, zu Sein, Werden und Vergehen usw. ausbildet, die er jedoch nicht begrifflich fasst, sondern umsetzt. Er isst das Brot seiner Felder. Wie sagt er Brot? Mit welcher Bedeutsamkeit? Der Begriff mag einem Denker, der das Brot im Geschäft gekauft hat, eine verstreute, äußere Einzelheit wie das Feld oder die Sonne sein und einem anderen Denker das Zeugnis geronnener Arbeitskraft. Auch der Bauer selbst kann als verstreut und zufällig vorhandene äußere Wirklichkeit wahrgenommen werden.

      Bevor man dem Bauern nun soziologisch begegnet und sein Umfeld durchanalysiert, oder historisch das Bezugsfeld rekonstruiert, innerhalb dessen er sich bewegt, nach Gesetzmäßigkeiten forscht, die seine Bewegungsmöglichkeiten determinieren, sein Verhältnis zu seiner Frau untersucht und fragt, wer das Brot gebacken und auf den Feldern und im Haus welche Arbeit gemacht hat, bevor man ihm die Bibel in die Hand drückt oder sie dort schon findet, bevor man ihm Elektroden anlegt zur Messung seiner Hirnströme oder seine Schädeldecke abnimmt, um die Formen seines Gehirns zu untersuchen oder seine Gene analysiert in seiner Wirkung auf sein Denken, bevor man ihn zum Psychiater schickt, der seine Normalität bestätigt, bevor man den Begriff Bauer unendlich entfaltet oder befindet, dass der Bauer eben einfach ist und mithin so sein kann usw. usf. eben unterschiedlichen Verfahrensweisen folgt, um die zufällige, äußerliche Erscheinung dieses vereinzelten Bauern zu erforschen und um zu wissenschaftlicher Erkenntnis im begrifflichen Wissensdrang zu finden und steuernd Einfluss nehmen zu können oder dies unter Hinweis auf Moral zu verhindern, ist der Bauer vor dem Ansturm dieser ihn und sein Sein zersetzenden Verfahrensweisen geflüchtet und möglicherweise nach Hause gegangen, sofern man ihm das erlaubt hat. Dieser Denker macht die Welt und auch den Bauern selbst zum Objekt, übt Macht durch Beschreibung aus, möglicherweise um Macht durch bessere Verwaltung zu ermöglichen. Macht an sich aber ist nicht per se schlecht. Denn die Qualität des Denkens führt zu entweder die Solidarität und Zusammengehörigkeit der Weltbürger fördernden Haltungen und Handlungen oder eben zur Zersplitterung der unterschiedlichen Kräfte der Gesellschaft in einem wachsenden Gegeneinander.

      Doch sehen wir uns Hegels System genauer an.

      Aus Hegels Weisheit wird ein System, es beansprucht die Absolutheit seiner selbst, die Allgemeinheit des Geistes und die Dominanz des Logos. Wer nicht bereit ist zu solcher begrifflichen Verallgemeinerung, gilt jetzt als unfähig, unfähig zum Idealen, ausgeschlossen von der Welt des Geistes. Ich bin restlos überzeugt, dass Hegel Wahrheit spricht, seine Wahrheit und die der anderen Denker und dass diese Wahrheit zudem die große Leistung birgt, die herrschende abendländische Tradition neu zu formulieren und zu transformieren.

      Natürlich ist es möglich, Hegel auch so zu lesen, dass alle Erfahrungen, alle Wahrnehmungen in der Vorstellung vom Begriff des Geistes enthalten seien. Der Begriff sei unendlich und enthalte alles. Doch die Setzung des Logos und der Vernunft als oberstem Prinzip degradiert alle anderen Bereiche der Erkenntniskraft und produziert unendliche Gegensätze. Die Behauptung von der grundsätzlichen Abgetrenntheit des Menschen von Natur, die für die Frauen nicht zuträfe, die aber dem Menschen als Vereinzeltes und Äußerliches erscheine, schließt andere Welterfahrung kategorisch aus, bzw. werden diese einer niedrigeren Stufe des Weltverhältnisses zugeordnet.