Anton Weiß

Kritische Anmerkungen zu spirituellen Denkern


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zielen letztlich darauf hin, das Ich zu überschreiten; das macht das Leben so ungeheuer wertvoll. Das ist keine Theorie, sondern erlebbar, wenn man sein Leben mit kritischem Bewusstsein begleitet.

      Sehr wohl lebt jeder in seiner Welt und natürlich habe ich im Tiefschlaf und nach dem Tod diese Welt nicht mehr, was Nisargadatta & Co. veranlasst, diese Welt als Illusion zu bezeichnen. Mir geht es um eine Welt, die sich mir entweder im Ich-Zustand zeigt oder im ich-transzendierten Zustand. Das sind wirklich zwei Welten: Die Welt im Ich-Zustand kann ich durchaus als Traumwelt bezeichnen, als Illusion, insofern diese Welt meine Welt ist und damit völlig anders als die eines anderen Ichs. Denn die Welt eines Ichs ist geprägt vom Ich-Bezug: Alles wird gesehen in einem Bezug zu meinem Ich. Ich stehe immer im Mittelpunkt und alles dreht sich um mich. Sehr deutlich zeigt sich das in der Schizophrenie, wo jemand das Geflüster anderer Leute auf sich bezieht und überzeugt ist, dass es im Gespräch dieser Leute um ihn geht, was jedoch überhaupt nicht der Fall ist. Wenn das Ich transzendiert ist, lebe ich noch in der gleichen Welt, die Leute flüstern genau so, aber ich beziehe es nicht mehr auf mich. Der Unterschied zwischen der Welt, die ich als Ich habe und der Welt im transzendierten Ich-Zustand kann gut verdeutlicht werden an Hand der Glasglocke: Leben im Ich ist Leben unter bzw. hinter einer Glasglocke. Im transzendierten Zustand ist die Glasglocke nicht mehr vorhanden und ich habe eine unmittelbare Beziehung zur Welt. Nicht die Welt hat sich verändert, sondern ich habe mich geändert, wenn das Ich transzendiert ist. Das Leben und mein In-der-Welt-Sein läuft ohne mich, ohne ein Ich, sogar viel besser, reibungslos, weil ich die Dinge so akzeptieren kann, wie sie sind, die guten und die schlechten, wobei gut oder schlecht sehr relativ ist. Für einen Urlauber ist Regen schlecht, für das Feld des Bauern aber ein Segen! Wenn ich in Urlaub bin und es ständig regnet, dann ist das vom Ich-Standpunkt aus ein Desaster und mit viel Ärger verbunden, weil einem die schönsten Tage des Jahres versaut sind. Im Zustand des transzendierten Ichs ist einem auch lieber, wenn das Wetter schön ist, aber es ist keine Tragödie und nicht mit Ärger verbunden, wenn es regnet. Man richtet sich eben nach den Gegebenheiten und besucht Museen oder liest oder spielt. Es gibt viele Möglichkeiten, die Zeit unabhängig vom Wetter zu gestalten wie Schwimmen, Bowling, Tennis in der Halle und vieles mehr. Als Individuum nehme ich die Gegebenheiten des Lebens, die ich nicht ändern kann, so hin, wie sie nun einmal sind, als Ich will ich immer alles anders haben und bin verärgert, wenn es nicht so ist wie ich mir das vorstelle.

      Wenn es richtig ist, was Nisargadatta sagt, dass er die Menschen ist („Ich bin die Menschen“ II/163), warum erweckt sein Reden den Eindruck, dass er völlig unberührt bleibt vom Schicksal anderer Menschen und wenig Anteil an ihrem Wohl und Wehe nimmt? Wenn ein Fragender auf die Missstände in der Welt verweist, dann kommt als Antwort: „Das ist Ihre Welt und Ihr Denken ist die Ursache dieses Leids.“ Da muss man nicht zustimmen; meine Welt ist das nicht und ich sehe es auch nicht als erstrebenswert an, sich so in einen Elfenbeinturm zurückzuziehen, von dessen Höhe man ungerührt und unberührt die Welt betrachtet. Dieses Verhalten ist keine Konsequenz aus dem Erleben des transzendierten Ichs - und nur darum geht es: um das Frei-sein vom Ich, was gleich bedeutend ist mit einem Frei-sein von Wünschen, Begierden, Verlangen, Vorstellungen, Hoffnungen, Ängsten und vielen Gefühlen wie Ärger, Wut, Eifersucht, Neid. Es bleibt die Welt in ihrer Tatsächlichkeit, ihrem Leid und Elend auf der einen Seite und ihren Freuden, ihrem Lieben und Mitfühlen andererseits.

      Die Welt, in der Nisargadatta lebt, erscheint kalt, gefühllos, einsam und ohne Mitgefühl, ohne Freundschaft und ohne menschliche Wärme und Nähe, erhaben thronend über allem Wohl und Wehe dieser vergänglichen Welt. Es ist die Folge einer Einstellung, die sich Jenseits von Geburt und Tod betrachtet. Ich stelle das nicht in Abrede, ich bestreite nur, dass es eine notwendige Bedingung der Befreiung vom Ich ist. Ein solches Denken mag in der indischen Tradition stehen, aber es ist kein Erfordernis, um aus dem Jenseits des Ichs heraus zu leben. Darum geht es mir und das möchte ich klarstellen.

      Gerade das Erlebnis des Einsseins macht mir die Welt und den anderen Menschen wertvoll, erweckt in mir Anteilnahme und Mitgefühl. Auch wenn Nisargadatta von Liebe spricht, so bleibt es eine kalte und beziehungslose Liebe. Mitgefühl ist für ihn „nur ein anderes Wort für die Weigerung, aus reiner Einbildung zu leiden“ (II/246). Auch wenn ich den Satz zehnmal durchdenke, verstehe ich ihn nicht, aber eine positive Sicht von Mitgefühl enthält er sicher nicht. Ganz klar spricht er es aus II/215: „Ich kümmere mich nicht um die ... Ängste der Menschen.“ Das ist die logische Konsequenz aus der Haltung: „Was auch immer geschehen mag, berührt mich nicht im mindesten“ II/89 und dass das Leben „nur Einbildung“ ist (II/197). Folgerichtig kommt auf den Einwand, dass Ost-Pakistan im Moment in einem Blutbad, in immensem Leiden, versinkt (II/225), die Antwort: „Nichts geschieht jemals im reinen Gewahrsein“. Das ist schon fast zynisch!

      Ich denke, dass die zitierten Stellen genügen, um das Bild von Nisargadattas Einstellung, dass die Welt keine Bedeutung hat, deutlich werden zu lassen.

      Wenn die Welt keine Bedeutung hat, dann haben auch die Menschen in ihr keine. So ist es auch nicht verwunderlich, dass nie ein Wort über Freundschaft verloren wird. Es gibt sie offensichtlich nicht im Leben dieser Weisen. Aber gerade die enge Beziehung zu anderen Menschen hilft mir, mein Ich zu erkennen und daran zu arbeiten. Man lernt zu akzeptieren und respektieren, dass jeder an einem anderen Punkt des Lebensweges steht, weil jeder mit ganz anderen Voraussetzungen in dieses Leben eintritt. Auch wenn man sieht, dass etwas falsch ist am anderen, so muss man sich immer bewusst sein, dass es meine Beurteilung ist, dass es nur die eigene Sicht ist, und die ist begrenzt und sagt über die Tatsächlichkeit des anderen nichts aus. Was wirklich richtig und falsch ist an einem anderen, das darf sich niemand vermessen, mit Absolutheit zu beurteilen.

      Und auch der andere beurteilt mich und ich bin gezwungen, mich dem zu stellen. Der andere Mensch ist mir Spiegel und zeigt mir, was falsch ist an mir. Er erkennt oft besser als ich selbst meine Stärken und Schwächen.

      Engen Kontakt zu seinen Mitmenschen zu haben in Freundschaft, Ehe und Familie halte ich für ganz wesentlich, um als Mensch zu reifen. Ihn für hinderlich zu halten auf dem spirituellen Weg erscheint mir absurd.

      Spiritualität ist doch nicht lebensverachtend, ganz im Gegenteil wird das Leben erst farbig, froh und strahlend. Erst im befreiten Zustand kann man die Fülle dieses konkreten Daseins genießen. Dazu gehört das Genießen eines schönen Weins, eines erlesenen Essens, einer schönen Musik, einer stimmungsvollen Natur, der Sexualität. Es genügt schon das Betrachten des Flügels einer Fliege, um über das Wunderwerk der Natur in Entzückung zu geraten. Nisargadatta & Co. erwecken den Eindruck, dass dies alles vergänglich ist und deshalb keine Realität besitzt. Ich stelle dagegen, dass nur dies die Realität ist, dieses konkrete Leben und nur in ihm die Erfüllung zu finden ist. Das unmittelbare, nicht durch das Ich vermittelte Leben ist das Leben in Fülle. Alles andere ist nur Theorie. Spiritualität befreit ja zum Leben, während man im Ich in sein Denken und seine Vorstellungen vom Leben eingesperrt und dadurch abgeschnitten ist von der Wirklichkeit.

      Die Bedeutung des Körpers

      Auf die Frage: „Was geschieht genau, wenn jemand stirbt?“ antwortet Nisargadatta: „Nichts geschieht. Etwas wird zum Nichts. Nichts war, nichts verbleibt“ (II/98). Nicht nur dass die Antwort widersprüchlich ist, denn wenn Etwas zum Nichts wird, dann geschieht doch etwas, sondern es zeigt, wie bedeutungslos für Nisargadatta das konkrete Dasein ist. Er bezeichnet es geradezu als Torheit, wo man sich glücklich schätzen kann, wenn man ihm durch den Tod entronnen ist (II/188). Für ihn ist das Leben „nur eine Einbildung“ (II/197), in dem „nie etwas geschieht“. Das sehe ich ganz anders, vor allen Dingen – und darum geht es mir – ist es nicht notwendig, eine solche Sicht der Dinge zu haben als notwendige Folge der Erleuchtung. Es gibt den Tod so wie es das Leben gibt, aber während der im Ich Befindliche den Tod nicht akzeptieren kann, gehört er für den Transzendierten zum Leben. Sterben ist traurig, aber notwendig, im Ich lehnt man sich dagegen auf und ist völlig verzweifelt, als Individuum ist man traurig, aber man kann es akzeptieren und sieht seine Notwendigkeit.

      Die Einstellung zum Körper macht deutlich, wie sehr für Nisargadatta das konkrete Leben einen negativen Anstrich hat, was besonders durch das Körperdasein hervorgerufen wird. „So etwas wie einen Körper gibt es