Psyche sind eben eine Einheit.
Für U. G. Krishnamurti ist der Körper unsterblich. Der Körper kennt keinen Tod, er ändert nur die Form (MM 62). Allein auf die Existenz des Körpers kommt es bei ihm an. Dem Körper die Oberhand im Leben zurückzugeben ist das erklärte Ziel von U. G. Krishnamurti (MM 73): „Der Körper handhabt sich selbst“ (MM 73); er hat „eine natürliche Intelligenz“ ebd; verdorben wird das ganze durch das Eingreifen des Menschen in das natürliche Funktionieren des Körpers.
Diese Auffassung vom Körper ist ziemlich der Haltung von Nisargadatta entgegengesetzt: Während für Nisargadatta der Mensch gar nicht in einem Körper existiert – Geben Sie die Vorstellung auf, „dass Sie geboren wurden, dass Sie Eltern haben, einen Körper haben, dass Sie sterben werden“ (II/72) – ist für U. G. Krishnamurti das Körperdasein das einzig Reale.
U. G. Krishnamurti bejaht die Notwendigkeiten des Lebens: „Nicht an Geld und die anderen Notwendigkeiten des Lebens zu denken ist eine Krankheit. Es ist eine Perversion, sich selbst die grundlegenden Lebensbedürfnisse zu versagen“ (MM 20). Diese Sicht bejaht das Leben, und auch Balsekar tut das, wenn er kopfschüttelnd die Irrwege der Sucher betrachtet, die sich jede Lebensfreude versagen in der Meinung, auf diese Weise Erleuchtung zu finden.
Vom Wert der Erfahrung
Viele Denker erliegen der Gefahr, die eigene Erfahrung absolut zu setzen und auf andere zu übertragen und als allgemein gültig anzusehen. Jemand, der eine für ihn absolut entscheidende Wahrheit erfahren hat, hat sie in seinem Denkhorizont gemacht, durch den er geprägt ist. Das können viele nicht sehen und glauben, dass die von ihnen erfahrene Wahrheit absolut ist und auch für andere gilt. Davon ausnehmen muss ich natürlich U. G. Krishnamurti, dem dies völlig klar ist. Bei Nisargadatta bin ich mir da nicht so sicher. Viele können die Erfahrung und den Denkhorizont, innerhalb dessen diese Erfahrung gemacht wurde, nicht auseinanderhalten. Und nun glauben sie, dass diese Erfahrung nur innerhalb dieses Denksystems erfolgen kann, und versuchen, anderen dieses Denksystem nahezubringen. Diesen Eindruck habe ich bei Nisargadatta, und ich halte es für wichtig zu erkennen, dass die Erfahrung eine Sache ist und der Denkhorizont, innerhalb dessen die Erfahrung gemacht wird, eine andere und dass man beides auseinanderhalten muss.
Über den Stellenwert der Erfahrung gehen die Meinungen auseinander:
Aus meiner Sicht ist die einzig gültige Bestätigung für das, wie sich einem die Welt, auch die spirituelle Welt, zeigt, die direkte Erfahrung. Das vertritt auch Nisargadatta an manchen Stellen: „Versuchen Sie nicht, vom Verstand eine Bestätigung dessen zu bekommen, was jenseits des Verstandes ist. Die einzig gültige Bestätigung ist die Erfahrung (Hervorhebung von mir)“ (II/214). Dem gegenüber behauptet U. G. Krishnamurti: „Alles, was Sie erfahren, ist aus dem Denken geboren. Deshalb ist alles, was Sie erfahren oder erfahren können, Illusion“ (MM 129). „Das Wirkliche kann nicht erfahren werden“ ebd. Oder: „Alle spirituellen, mystischen Erfahrungen entspringen dem Denken“ (MM 61). Da wird es schwierig, sich zu verständigen.
Aber auch bei U. G. Krishnamurti finden sich Belege dafür, dass Erfahrung das Entscheidende und nicht einem anderen mitteilbar ist: „Sie können Ihre Erfahrung nicht mit anderen teilen“ (MM 110), worin er natürlich recht hat, dann setzt das aber die Möglichkeit von Erfahrung voraus. „Ich erzähle Ihnen das alles aus eigener Erfahrung“ (MM 173) bestätigt meine oben gemachte Auffassung, während er schon auf der nächsten Seite sagt – in durchaus vergleichbarem Zusammenhang! – „Es ist überhaupt keine Erfahrung“ (MM 174), oder, 182: „Es ist keine Erfahrung und kann deshalb nicht übermittelt werden“. Wenn U. G. Krishnamurti sagt: „Es ist keine Erfahrung, die man mit anderen teilen kann. Es ist überhaupt keine Erfahrung. Es ist eine Katastrophe“ (MM 174), will er offensichtlich die Ungeheuerlichkeit seines Erlebens ausdrücken. Aber es deshalb nicht als Erfahrung zu bezeichnen, leistet das nicht. Auch eine Katastrophe ist eine Erfahrung!
Wenn U. G. Krishnamurti sagt: „Es ist keine Erfahrung und kann deshalb nicht mitgeteilt oder übermittelt werden“ (MM 182), scheint diese Aussage zwei Dinge durcheinander zu bringen bzw. miteinander zu verquicken: 1. die erschütternde Erfahrung des Todes, 2. dass sie nicht mitteilbar ist. Aber sie deshalb nicht als Erfahrung zu bezeichnen, weil sie nicht mitteilbar ist, kann ich nicht als Argument sehen, denn schon einen einfachen Schmerz, z. B. den Stich einer Nadel, kann man nicht mitteilen, und dennoch ist es eine Erfahrung! Etwas deshalb nicht als Erfahrung zu bezeichnen, weil es nicht mitteilbar ist, halte ich nicht für legitim.
Ich weiß nicht, warum sich U. G. Krishnamurti dagegen sperrt, das erschütternde Erlebnis der Ich-Transzendierung, das er kennt, als Erfahrung zu bezeichnen. Allerdings, wenn man diesen Begriff dahingehend einschränkt, dass man Erfahrung mit Denken verquickt (MM 39) – wofür ich keine Notwendigkeit sehe -, dann hat man sich selbst ein Bein gestellt und verstrickt sich zwangsweise in Widersprüche und Ungereimtheiten.
Auch bei Nisargadatta findet sich diese Widersprüchlichkeit: Einerseits vertritt er, dass „das Reale erfahren werden [muss]“ (II/164), „… dass es eine Realität gibt, die man im Bewusstsein finden und erfahren kann“ (II/189), andererseits ist für ihn das „Selbst … jenseits aller Erfahrung“ (II/139). Überboten wird das noch von seiner Aussage: „Ich bin jenseits aller Erfahrungen“ (III/35) (zitiert Sri Nisargadatta Maharaj „Ich bin, Teil III, Seite 35).
Da kann ich nur sagen: Das ist mir nicht zugänglich, damit kann ich nichts anfangen; ich erachte solch eine Behauptung in keiner Weise wesentlich für den Transformationsprozess.
Die Polaritäten des Lebens
Als Individuum bin ich der Endlichkeit und damit der Gegensätzlichkeit, den Polaritäten bzw. der Dualität des Lebens unterworfen. In dieser Dualität gibt es Freude und Leid, Erfolg und Misserfolg, Gelingen und Misslingen und die daraus resultierende Freude bzw. das Leid. Auch wenn ich sehen kann, dass Misslingen genau so wie Tod ein notwendiger Pol in der Dualität ist, dass es Leben nicht ohne Tod und Erfolg nicht ohne Misserfolg geben kann, leidet das Individuum darunter. Aber im Unterschied zu einem Ich kann es den Tod, Misslingen, Misserfolg annehmen und zerbricht nicht daran. Darin scheint mir der entscheidende Unterschied zu liegen: Im Ich-Zustand ärgert man sich darüber, ist wütend und zornig, wenn Dinge nicht so geschehen, wie man es sich vorgestellt hat und wie man es gern hätte, im Zustand des transzendierten Ichs - also als Individuum - weiß man, dass es immer wieder im Leben so ist, wie man es nicht will, und fügt sich, nimmt das Schicksal an und zerbricht nicht daran. Auch im transzendierten Zustand ist man nicht begeistert, ist traurig über Misslingen und freut sich über Erfolg, aber man ist sich bewusst, dass beides letztlich nicht von einem selbst abhängt und dass man es einfach nicht in der Hand hat. Das ist sehr schön im Sport zu sehen: Im Ich glaubt man, den Erfolg sich selbst zu verdanken, weil man sich so gut vorbereitet hat, und ärgert sich, wenn man Misserfolg hat und glaubt, nur etwas nicht richtig gemacht zu haben. Wer sein Ich transzendiert hat, weiß, dass er den Sieg nicht sich zu verdanken hat, dass es dazu immer glücklicher Umstände bedarf, auch wenn er sich gut vorbereitet hat, und bei einem Misserfolg weiß er, dass er nicht immer siegen kann, weil das Leben aus Sieg und Niederlage besteht. Wenn er verliert, ist er vielleicht traurig, aber niemals verärgert! Ärger ist immer und ausnahmslos eine Einstellung des Ichs, das die Polaritäten des Lebens nicht annehmen kann, weil es für sich immer nur die positive Seite, nur siegen, gewinnen und Erfolg haben will und Niederlage und Misserfolg ablehnt. Genau so wie es den Tod ablehnt.
In dieser verschiedenen Einstellung zum Leben liegt der entscheidende Unterschied zwischen Ich und Individuum.
Gut hat das Balsekar dargelegt, wenn er sagt: „Der denkende Verstand weigert sich zu akzeptieren, dass Polaritäten nun mal zum Leben gehören. So wird aus Leben und Tod der Gegensatz von Leben und Tod, aus Gut und Böse der Kampf des Guten gegen das Böse“ (KW 152) (zitiert Ramesh S. Balsekar, Kein Weg Kein Ziel Nur Einheit, Seite 152).
Der im Ich befindliche Mensch will immer nur das für ihn Positive und lehnt das vermeintlich Negative ab. Gerade in Bezug auf den Tod ist leicht zu zeigen, wie verheerend es wäre, wenn es Tod nicht