Margret Jacobs

Das Urvieh


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um weiter zu predigen.

      Er schob die Hostie schnell in den dafür geöffneten Mund vor sich und schloss die Augen. Warum hatte die Kirche es aber auch vorgesehen, dass man als Pastor den Innereien eines Gemeindemitglieds so nahe kam? Dem Himmel sei dank, passierte das nur ein mal im Monat. Das genügte ihm aber auch voll und ganz. Er konnte sich nicht vorstellen, warum es Menschen mochten, ihre Zunge in den Mund eines anderen zu stecken. Es schüttelte ihn innerlich, wenn er daran dachte. Speichelaustausch. Igitt! Er war froh, dass solche Abarten des Menschen ihn nicht berührten.

      Holda wackelte an ihrem Zahn. Sie hatte neulich auf etwas zu Hartes gebissen. Eigentlich wollte sie das leckere Innere essen, aber dabei musste man immer erst das Harte außen herum entfernen. Sie mochte das Mark von Knochen. Abellus ganz und gar nicht und er schimpfte immer, wenn sie Knochen aus ihren Höhlenwänden zog, um sie nach Knochenmark zu untersuchen.

      Abellus war im Laufe der Jahre verweichlicht worden. Das kam daher, dass er sich zu oft in der Menschenwelt aufhielt. Er behauptete doch tatsächlich, dass es nicht recht wäre, die Knochen von toten Menschen auszulutschen. Dabei hatte sie ein großes Vergnügen daran und überhaupt war es nicht ungewöhnlich für Kolis, dass sie sich nach Essbarem in ihrer Umgebung umsahen und die Möglichkeiten, die sich da boten, nutzten. Wenn sie ehrlich war, fand sie das Auslutschen von Knochen lustvoller, als Sex mit Abellus zu haben. Aber das verriet sie ihm natürlich nicht.

      Nun, sie sah ein, dass es eklig war, totes Fleisch von Menschen zu verspeisen. Das war auch häufig durch zu langes Lagern in der Erde giftig geworden und stank zudem ganz fürchterlich. Aber, dass Abellus auch das Mark aus Menschenknochen nicht anrühren wollte, konnte Holda nicht begreifen.

      Abellus hatte sich sehr verändert. Abellus war seltsam geworden.

      Hannelore träumte am Sonntag – während sie auf einer der Holzbänke im Gottesdienstraum ihre Zeit absaß – von einem Mann, der ihr ebenbürtig war. Intelligent, gemütlich und warmherzig. Neugierig und immer darauf aus, etwas Neues zu entdecken. Es mussten ja keine Abenteuer in fernen Ländern sein, es waren die kleinen Dinge, die Hannelore interessierte. Die kleinen Geheimnisse des Lebens.

      Und ja, sie wollte auch mal wieder Sex mit so einem Mann haben. Sie wollte ihren eigenen Körper entdecken und jemanden haben, der Verständnis für ihre ureigensten Bedürfnisse hatte. Sie wollte keinen Akt. Das war ihr zu riskant. Sie war jetzt über vierzig Jahre alt und ihre Periode kam leider immer noch so regelmäßig wie vor zwanzig Jahren. Sie war noch nicht in den Wechseljahren und somit bestand immer noch die Möglichkeit, schwanger zu werden.

      Schwanger. Hannelore hatte nie ein Kind in ihrem Leben vorgesehen. Und das sollte auch so bleiben.

      Doch die Sache mit dem Sex und der Verhütung war schwierig in ihrem Alter. Ihre Frauenärztin Frau Bechler hatte ihr schon vor drei Jahren eröffnet, dass sie zu alt wäre, um noch weiter die Pille zu schlucken. Das Krebsrisiko war zu groß geworden und die Ärztin hatte kurzerhand ihr das Verhütungsmittel gestrichen. Und Kondomen traute Hannelore nicht. Die rutschten zu leicht runter, wenn Mann und Frau Pech hatten.

      Tja. Hannelore war also nun dem Risiko ausgesetzt, ungewollt schwanger zu werden, wenn sie es wagte, mit einem Mann intim zu werden. Daher wünschte sie sich so sehr einen Typen, der mit ihr Sex haben wollte, ohne den Kram mit dem Akt und der Verhütung. Sie wusste, das war ein Wunschtraum. Aber ein schöner.

      Irrungen und Wirrungen

      Pastor Krech entledigte sich seines Gottesdienstgewandes und biss sich auf die Unterlippe. Der Schock saß noch tief. Als er den Becher für das Abendmahl in die Höhe gehalten hatte, konnte er sehen, dass dieser eine Beule hatte. Der Kelch! Der heilige Becher!

      Er war so entsetzt gewesen, dass ihm doch tatsächlich – und das nach so vielen Jahren Dienst als Pastor – die Worte zum Einsetzen des Abendmahls entfallen waren. Stattdessen hatte er nur ungläubig zu dem Becher in seinen hoch gehaltenen Händen und Armen geschaut und die Beule betrachtet. Das Abendmahl war verhunzt gewesen.

      Er hatte keine Ahnung, ob so eine Schändung des heiligen Kelches, Auswirkungen auf das heilige Mahl hatte. Aber er vermutete das. Er hätte am liebsten noch während der Zeremonie, Thomas Baldun angeschnauzt und er musste sich sehr zusammen reißen, dies nicht zu tun. Dieser Tölpel hatte doch tatsächlich den Becher fallen gelassen! Und auch noch wohl gedacht – er, Pastor Krech – würde das nicht bemerken. Und er hatte immer vermutet, dass er seine Crew gut im Griff hat. Und dann das!

      Er merkte, dass sein Blutdruck stieg und setzte sich erst mal auf den Stuhl neben der kleinen Madonna. Sie schaute ihn mitleidig an. Er mochte Frauen, die milde und nachgiebig waren. Die heilige Maria hatte immer Verständnis für seine Unzulänglichkeiten gehabt. Darum hatte er eine hier aufstellen lassen. Sie war keusch und stets freundlich. Kein Abbild der Frauen, die da draußen in seinem Gottesdienstraum saßen.

      Was war bloß los mit dieser Welt?, dachte er. Waren denn alle hier verrückt geworden? Mit diesen Gedanken verließ er den Raum.

      Thomas Baldun merkte, dass seine Hände ganz kalt waren, als er für den Pastor sein Gewand ordentlich auf einen Bügel hängte. Ihm war ganz schummrig zu mute und das leider nicht wegen einem Rotwein, den er so gerne trank.

      Er hatte tatsächlich nicht bemerkt, dass der Abendmahl-Kelch eine Beule aufwies, als er das Abendmahls-Geschirr für den Gottesdienst bereit gestellt hatte. Es musste passiert sein, nachdem er zuletzt den Kelch poliert hatte und dabei gesehen hatte, dass ein Idiot seinen Lippenabdruck darauf hinterlassen hatte. Er hatte den Becher nicht runter geworfen, da war er sich ganz sicher. Es war jemand anderes gewesen. Danach.

      Er schluckte. Sein Mund und Hals waren vor Anspannung ganz trocken. Pastor Krech würde toben. Heute oder morgen. Er wäre am liebsten weg gerannt. Der Chef konnte sehr jähzornig sein und dabei traf ihn dies mal keine Schuld. Er war aber sicher, dass Roderich Krech ihm wie immer nicht zuhören würde. Seine Verteidigung würde also ganz umsonst sein. Was sollte er bloß machen? Sich krank melden? Doch was würde das nützen? Früher oder später würde Pastor Krech seine Wut über ihn ausschütten. Das war so gewiss, wie das Amen in der Kirche.

      Es musste ihm was einfallen, wie er aus der Sache raus kam. Vielleicht sollte er einfach diese Hannelore Meier beschuldigen. War das klug? Denk nach, Thomas! Denk nach! Die Gedanken wirbelten nur so in seinem Kopf herum. So konnte er nicht klar denken. Er brauchte Zeit. Und die musste er sich verschaffen.

      Thomas Baldun schlich wie ein siebenjähriger Junge den Flur entlang, bedacht darauf, kein Geräusch zu machen. Die alten Dielen knarrten an einigen Stellen. Doch er war hier schon so lange der Knecht für alles, dass er diese Stellen genau kannte. Er hob und senkte seine Füße mit Bedacht, als würde er durch ein Minenfeld stiefeln. Jetzt kam ihm das monatelange Räuber und Gendarm Spiel, was er mit seinen Freunden als Kind gespielt hatte, zu gute. Er war stets sehr geschickt im lautlosen Anschleichen gewesen. Jetzt hieß sein Ziel „Hintertür“ und führte an der Bürotür vom Pastor vorbei.

      Sein Herz schlug bis zum Hals. Wenn jetzt die Tür aufging, war er geliefert. Das wusste er. Er musste schnell hier weg und in Ruhe zuhause darüber nachdenken, wie er sich aus der Becheraffäre herausziehen konnte. Hannelore Meier zu beschuldigen, war vielleicht zu kompliziert. Alles abstreiten, das klang für Pastor Krech bestimmt nicht glaubwürdig, da er – Thomas Baldun – für die Pflege des Abendmahlsgeschirrs zuständig war. Alleine.

      Nur noch wenige Schritte, dann war er in Freiheit. Er musste dann nur noch den Notausgang wieder leise schließen und über den Maschendrahtzaun klettern. Das ging. Das hatte er schon mal gemacht. Das sah zwar komisch aus, ging aber ganz gut. Nun, für sein Alter war er eben doch noch so gelenkig wie ein Junge und was tat man nicht alles, um diesem Widerling von Roderich Krech aus dem Weg zu gehen.

      Mit zitternden Händen drückte er die Klinke runter. Sie machte kein Geräusch, das wusste er auch schon vorher. Er hatte stets dafür gesorgt, dass diese Tür ganz geräuschlos zu öffnen und zu schließen war, denn diese Tür war in seinem Beruf schon immer sehr wichtig gewesen. Und alles was wichtig war, hatte für Thomas