Birgit Turski

Kaltes Fließ


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ein Hund, der Wasser aus dem Fell haben wollte. „Nicht hier. Im Stall ist das Problem.“

      Verwundert folgte Metag dem Freund durch die tiefe Furche im Schnee zum hinten auf dem weitläufigen Grundstück liegenden Stall. Der war kaum zu erkennen, so stark war der Schnee hier angeweht worden.

      Der Revierleiter, der Notarzt und der Rettungssanitäter waren inzwischen auch am Stall angekommen. Sie hatten eine neue breitere Spur vom Rettungshubschrauber direkt zum Stall gebahnt. Die drei blickten erwartungsvoll und mit dem selben angespannten Blick, wie ihn auch Bittner wieder hatte, abwechselnd auf die Kriminalisten und die Stalltür.

      Bittner zog die Tür soweit auf, dass sie mit der Trage hindurch kommen konnten und schaltete das Licht an. Der warme Stallgeruch, der ihnen entgegenschlug, nahm Metag für einen Moment den Atem. Der Notarzt gab ein seltsam rasselndes Geräusch von sich, als er gleichzeitig die Luft anhalten wollte und Husten mußte. Jakubick sagte mit belegter Stimme, so als wollte er sich für Burg und die Unannehmlichkeiten, die der Gestank von vier Schweinen, einigen Ziegen und einem Ziegenbock den Städtern bereitete, entschuldigen: “Die Muschackowa muß schon mindestens seit zwei Tagen nicht hier gewesen sein. Sonst hält sie den Stall immer sauber.“ „Das könnte die Bestimmung des Todeszeitraumes erleichtern“, meinte Bittner „wenn uns die Temperatur jetzt nicht mehr viel sagen kann.“ Während er das über die Schulter zu Metag hin sagte, ging er weiter in den Stall hinein, dabei sorgsam auf Abstand zu dem Ziegenbock bedacht. Der hatte unter lautem Gemeckere angriffslustig die Hörner gesenkt und zerrte an der Kette, die ihm glücklicherweise nicht allzu viel Bewegungsfreiheit ließ.

      Der Rettungssanitäter sah verunsichert zwischen den beiden voraus gehenden Kriminalisten und dem Ziegenbock hin und her und meinte: „Wie soll ich denn mit der Trage an dem vorbei kommen? Der demoliert die doch. Und durch den Mist hier kann ich schon aus Hygienegründen nicht damit. Die Chefin reißt mir die Ohren ab, wenn ich damit den Heli versaue.“ „Ja, klar. Lass das Teil besser vor der Tür und bring bloß die Decken und deinen Koffer mit.“, wies ihn Bittner an. Jakubick packte mit zu und dann standen alle am Ende des Stalles vor einer schmalen Tür. Bittner zögerte sie zu öffnen, versperrte den anderen jedoch den Weg. Metag knuffte ihn freundschaftlich ins Kreuz „Was ist da drin?“

      Bittner gab sich einen sichtlichen Ruck und zog die Tür auf. Sie blickten in eine Kammer oder besser einen fensterlosen Verschlag von etwa drei mal drei Metern, karg mit alten Möbeln eingerichtet. Auf dem altertümlichen Kastenbett hockte ein Wesen, in ein dickes Federbett eingehüllt, das sie mit angstgeweiteten Augen anstarrte. Es war blass und in dem mageren von viel braunem Haar umrahmten Gesicht wirkten die blauen Augen riesig. Es gab ein erschrecktes Keuchen von sich, als sich die Männer in den engen Raum schoben, sagte aber nichts. Als sich der Notarzt zu ihm neigte und ihm die Hand auf die Schulter legen wollte, wobei er es ansprach „Wie geht es dir? Fühlst du dich wohl?“ rollte es sich in der entferntesten Ecke des Bettes wie ein Igel unter der dicken Bettdecke zusammen und wimmerte leise. „Was ist mit ihm? Weshalb habt ihr uns gerufen?“ fragte er sichtlich aufgebracht die Polizisten und blickte dabei Jakubick, den er von früheren Einsätzen als Ortskundigen kannte, vorwurfsvoll an. Der zuckte nur hilflos und verlegen die Schultern, während Bittner in unangebracht scharfem Ton sagte: „Ihr müsst sie mit ins Krankenhaus nehmen. Sie scheint nicht zu sprechen und wahnsinnige Angst zu haben. Wir haben es in deutsch und sorbisch,“ dabei wies er vage zu Jakubick, “versucht, sie wimmert nur leise. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass sie uns verstehen würde.“ Zu Metag gewandt fügte er hinzu: “Könnte sie eine Illegale sein?“ Er schien es aber selbst nicht zu glauben. "Sie? Bist du dir da sicher?" fragte Metag zurück. "Ja, klar," antwortete Bittner unwirsch "Sie stand vorhin am Tisch, als wir reingeschaut hatten. Als sie uns wahrgenommen hat, ist sie ins Bett geflüchtet und hat sich unter der Decke versteckt. Wir wollten keine Gewalt anwenden. Du mußt entscheiden, was weiter mit ihr passiert."

      Metag fühlte sich in dem engen Raum und dem auch hier noch intensiven Geruch nach Ziegenbock körperlich und beim Anblick des verängstigten Mädchens auch psychisch sehr unwohl. Er zog das Federbett zur Seite, um ihr Gesicht zu sehen, wobei er beruhigend auf sorbisch auf sie einsprach. Er spürte durch die Decke, wie sie am ganzen Leibe zitterte und auch wie zerbrechlich sie war. Sie konnte nicht viel wiegen, bestimmt keine 50 Kilo, dachte er. Vorsichtig hob er das in die Bettdecke gehüllte Mädchen, dass nun noch heftiger zitterte, aber immer noch keine anderen Töne von sich gab als dieses leise Wimmern, hoch und trug es aus dem Verschlag und durch den Stall.

      Vor der Tür holte er erst einmal tief Luft. So schneidend kalt die Luft auch war, sie war köstlich frisch. Das Mädchen hatte er auf die Trage gelegt und wies nun die Rettungskräfte an: „Haltet sie warm und versucht, ihr was Warmes zu trinken zu geben. Und dann schnellstens ins Krankenhaus.“

      „Was glauben sie denn, was die da mit ihr machen sollen? Es sieht weder nach Unfall, Verletzungen oder einer bedrohlichen Erkrankung aus. Wir müssen ja auch erst mal die Personalien aufnehmen und die Chipkarte einlesen.“ verwahrte sich der Notarzt vor dem Kommandoton des Chefs der Kriminalpolizei.

      Bittner brauste auf: „Seid ihr nun Lebensretter oder Bürokraten? Die Kleine ist fast erfroren und du willst hier ne Chipkarte einlesen? Woher soll die denn wohl kommen? Sowas Dämliches hab ich schon lange nicht gehört.“ Metag griff seinen Freund und Stellvertreter fest am Oberarm: „Lass gut sein, Fred!“ Aber der holte nur tief Luft und wollte gerade weiter brüllen, als der Rettungssanitäter mit zweifelndem Blick auf die Streitenden und ziemlich belegter Stimme sagt: „Ich glaube, sie kollabiert“. Erschrocken sahen alle auf das Häufchen Elend auf der Trage, von dem nur ein blasses Gesicht zu erkennen war, das aus dem Federbett hervorschimmerte und zusehends bleicher, ja fast durchscheinend wurde. „Verdammte Scheiße!“ brüllte Bittner schon wieder los, “nun macht hinne“ und begann mit aller Kraft die Trage auf dem Trampelpfad durch den Schnee zum Hubschrauber zu schieben. Metag legte dem Notarzt freundschaftlich die Hand auf die Schulter: „Na los, jetzt! Nun gibt es was zu retten.“ Die beiden Flugretter stapften eilig hinter Bittner her. Metag wollte ihnen gerade folgen, als ihn Jakubick am Ärmel fasste und auf sorbisch fragte: „Was wird nun aus den Tieren? Soll ich auf die Technik warten? Wir müssen im Ort noch nach anderen sehen, die Hilfe brauchen, da werde ich doch gebraucht?“ „Ja, klar. Versiegle die Haustür und sperre das Grundstück ab, dann mach, was du für richtig hältst.“ Bestätigte Metag ebenfalls auf sorbisch. ‚Komisch,’ dachte er dabei ,wie automatisch ich hier draußen die Sprache wechsle, in Cottbus spreche ich mit den sorbischen Kollegen nie sorbisch’. Er fand es auch unnötig, dem erfahrenen Revierleiter weitere Anweisungen zu geben, obwohl er genau wußte, dass einige seiner Vorgesetzten diese Zwanglosigkeit im Umgang mit Untergeordneten in der Hierarchie strikt missbilligten. ‚Was soll’s,’ dachte er weiter ,die sitzen warm in Potsdam und können mich mal.’ Selbst in Gedanken vertiefte er nicht, was sie ihn mal alles könnten.

      7

      „Verdammtes Sauwetter!“ fluchte Fred Bittner, als er den Beratungsraum betrat und sich immer noch Schnee vom Mantel klopfte. Metag runzelte die Stirn. Er mochte es nicht, wenn Beratungen derart unhöflich gestört wurden, auch von seinem Freund nicht. Er verzichtete allerdings auf eine Zurechtweisung. Nicht, weil Bittner sein Freund war, was während der Arbeit keinerlei Rolle spielte, sondern, weil jede Zurechtweisung nur weiteres Gegrummel des cholerischen Kollegen nach sich gezogen hätte. Wichtiger war jetzt, zu hören, was Bittner außer den Kommentaren zum Wetter, die unweigerlich erst mal kommen würden, zu berichten hatte.

      „Es ist doch wirklich zum Kotzen,“ fügte Bittner seiner Meinung zum Wetter hinzu „daß nicht mal vor der Tür zum Polizeipräsidium der Winterdienst klappt. Ich hab mich an der nicht geschobenen Bordsteinkante fast gepackt.“ Die Kolleginnen und der Kollege der Mordkommission nickten mitfühlend und Sabine Grünfeld setzte gerade an, die Problematik Winterdienst aufzugreifen. Metag kam ihr mit dem freundlichen „Setz dich erst mal und trink nen Kaffee, damit du wieder auftaust.“, an Fred gewandt, eben noch zuvor. Die etwas füllige und gerne zu Problemdiskussionen neigende Kriminaloberkommissarin schluckte ihre Kommentare, sichtlich um Beherrschung bemüht. Sie wollte nicht riskieren, vom Chef zurechtgewiesen zu werden. Sie wußte ja, dass er Abweichungen vom gerade diskutierten Thema nicht leiden konnte. Und das Thema bei dieser Beratung