A. Wolkenbruch

Schmetterlinge im Kopf


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selbst geschossen“, brummte Willhelm

      „Ich muß jetzt in den Stall, Füttern.“ Adrian war im Begriff aufzustehen.

      „Soll ich dir helfen?“

      „Kannst du...wenn du möchtest.“

      „Gib ihr alte Sachen“, wisperte Maria.

      „Ja,ja, ick wees“, nuschelte Adrian und verließ mit Nora im Schlepptau das Wohnzimmer. Die Tür fiel zu.

      Er küsste sie und nahm sie in die Arme, um sie hochzuheben. Nora lachte. Sie gingen die Treppe hinauf und in ein kleines sehr karg möbliertes Zimmer. Adrian fischte einen alten Pullover und eine Jeanshose aus seinem Schrank. „Ist dir bestimmt zu groß, aber das ist ja nicht schlimm, oder?“

      Nora zog sich um. Zufrieden kuschelte sie sich in den dicken Pullover.„Ich finde die Sachen toll... Die riechen so ach dir.“

      Adrian fütterte die Bullen. Mit lässigen, leicht kantigen männlichen Bewegungen führte er die Arbeiten aus. Jede Bewegung saß und wie bei einer Choreographie fügten sich die einzelnen Arbeitsschritte zusammen. für Nora gab es nicht viel zu tun. Sie ging quer über den Hof zu den Hundezwingern. Die Jagdhunde sprangen bellend an den Gittern hoch. Nora fragte Adrian, ob sie nicht heraus dürften. „Manchmal.“

      „Darf ich sie nicht heraus lassen?“

      „Ja. Aber du mußt aufpassen, das sie nicht zu weit weg laufen.“

      Nora benutzte die Leinen, die an den Zwingern hingen. Es war nicht einfach, die sich wild gebärdenden Tiere mit dem Halsband an der Leine zu befestigen. Aber Nora schaffte es. Fröhlich wedelnd zogen die Tiere an den leinen. Der größere der beiden kam immer wieder auf Nora zu und leckte ihr dankbar über das Gesicht. Schließlich zogen die beiden ihre neue Errungenschaft den Teerweg hinauf.

      Später gab es Kaffee und Kuchen.

      Willhelm redete Plattdeutsch mit seinem Sohn. Maria aß schweigend das Stück Kuchen und nahm hin und wieder einen Schluck Kaffee. Nora tat das gleiche und lauschte dabei dem hitzigen Wortgefecht. Sie verstand kein Wort. Aber es klang lustig. Urtümlich und männlich. Schließlich saßen beide Männer stumm da. Willhelm stand der Schweiß auf der Stirn und Adrians Ohren waren knallrot. Beide konzentrierten sich jetzt auf ihre Kuchenstücke.

      Es vergingen ein paar relativ unbeschwerte Wochen. Adrian hatte vieles auf dem Hof zu erledigen. Die Ernte mußte eingefahren werden und ein neues Computersystem wurde installiert. Nora mußte sich um ihr Studium kümmern. Es langweilte sie, am Computer zu sitzen und sich mit Problemen der Gliederung einer Hausarbeit auseinander zu setzten oder Literatur durchzuarbeiten. Manchmal, wenn sie in einem der großen Hörsäle saß und den Lernstoff in sich aufnahm, überkam sie ein ungutes Gefühl. Sie fühlte sich der Menschenmenge, die sich um sie herum befand, ausgeliefert. Sie verspürte einen starken Drang, die Veranstaltung zu verlassen. Sie fühlte sich entsetzlich hilflos. Dabei bereitete ihr der Lernstoff keine großen Schwierigkeiten und sie hatte bisher alle Prüfungen bestanden. Sie ließ immer öfter Vorlesungen ausfallen und besorgte sich die Prüfungsinhalte aus dem Internet und wenn sie sie dort nicht bekommen konnte, fragte sie manchmal eine andere Studentin nach den Unterlagen. Den Inhalt der Prüfungen lernte sie dann allein in ihrer Wohnung. Sie hatte immer wieder vor, sich mit Leuten aus dem Studium zu treffen. Es wäre vielleicht lustig, zusammen zu lernen. Aber bisher wurde daraus nichts. Vielleicht war es der falsche Studiengang. Dieser Zweifel nagte manchmal an ihr. Aber, sagte sie sich immer wieder, ein abgeschlossenes Studium ist an sich gut und man kann damit auch in anderen Bereichen arbeiten. Oder danach etwas anderes machen. Vielleicht war sie sich dann sicher, was sie wollte. Dieser Gedanke machte ihr Hoffnung.

      Sie traf sich mit Adrian in einem Cafe. Wenn sie bei ihm war, gelang es ihr jetzt manchmal, ein Schweigen zu ertragen. Oft hielten seine Hände, die immer warm waren, ihre kühlen Hände und wärmten sie.

      Dann besucht sie Adrian wieder auf dem Hof. Sie hätten mehr Zeit füreinander, wenn Nora über nacht bliebe, überlegten sie.

      Es war ein nett beginnendes Wochenende. Sie fuhren am Abend in die Stadt und trafen eine Freundin von Nora mit deren Freund um sich einen Film im Kino anzusehen. Adrian schlug sich mit den Händen auf die Oberschenkel, wenn er lachte. Nora war so fasziniert davon, daß sie ihn fast den ganzen Abend damit aufzog. Adrian sagte halbherzig „Jetzt lass es doch.“ Aber erst als er ernster wurde und seine Stimme eindringlicher „Bitte lass es“ raunte, hatte er Erfolg. Nora war zufrieden. Genau so sollte das Leben sein.

      Am nächsten Morgen klopfte es sehr früh an Adrians Zimmertür. „Wer ist das denn?“

      „Mein Vater.“ Adrian schlug die Bettdecke zur Seite und stand auf. Er fischte den alten Pullover von der Lehne seines Schreibtischstuhles und zog ihn über seinen Kopf um kurz darauf mit den Armen in die Ärmel zu fahren. Nora verfolgte gähnend, wie er sich seine Hose anzog. Sie seufzte. Es war komisch: warum wurde Adrian von seinem Vater geweckt? Sie hatten doch nicht verschlafen. Es war sechs Uhr in der Frühe. Und es war Wochenende. Aber sie wäre bereit, sich an die Gepflogenheiten zu gewöhnen. Sie war bereit, Opfer zu bringen.

      „Soll ich dir helfen, im Stall?“

      „Wenn du möchtest..“

      Nora schlüpfte in Adrians Sachen, die sie bereits gestern zum Füttern angezogen hatte. Sie schlurften verschlafen die Treppe hinab. Der Tisch in der Küche war bereits gedeckt und Maria saß auf ihrem Platz vor einer Tasse Kaffee. Man bedachte sich mit einem morgendlichen Gruß. Adrian und Nora aßen jeweils ein Brötchen und tranken eine Tasse Kaffee. Fast gleichzeitig standen sie auf. Nora mochte Adrians Cordschlappen nicht besonders. Sie sahen so ältlich aus. Jetzt schlüpfte er aus einem heraus und legte mit seinen Händen den unteren Teil der alten Jeanshose eng um seine Wade. Dann fuhr er mit dem Fuß in den Gummistiefel. Als er auch den zweiten Gummistiefel angezogen hatte, reichte er Nora ihre alten Schuhe. Sie hatte einen Großteil ihrer Freizeit zwischen Ponies verbracht und daher ihre alten „Stallschuhe“ mitbringen können. Damit ihre Haare nicht so stark den Stallgeruch annahmen, versteckte sie sie unter einer Mütze. Nora liebte es, wenn Adrian die Stallarbeit verrichtete. Er sah so männlich und stark aus und er behandelte sein Vieh geschickt und nicht ohne Feingefühl. Manchmal , wenn es die Zeit zuließ war sogar sehr geduldig und fürsorglich. Er war gerne Landwirt, das war offensichtlich. Und genau das rührte in Nora so etwas wie Stolz. Als er vom Schlepper stieg, mit dem er das Maissilo für die nächste Fütterung in den Futterwagen verladen hatte, wartete Nora bereits auf ihn. Ihr Gesicht strahlte. „Im Stall finde ich dich am attraktivsten.“ Adrian zog die Augenbrauen hoch. „Ach! Im Stall...“. Das klang verächtlich. Nora ging zu ihm und legte ihre Arme um seinen Hals. Adrian lächelte und sie kamen sich näher, bis ihre Lippen sich berührten. Der Kuß war lang und schmeckte nach „Außer-Atem-sein“ und leicht nach Kaffee.

      Willhelm war schon eine ganze Weile wie ein Tiger zwischen Küche und Flur hin und her geschlichen. Er hatte nachgedacht, überlegt, was er sagen wollte. Wie er seinen Zweifeln und seinem Ärger Luft verschaffen könnte. Ein düsterer Blick traf erst Adrian und dann Nora, als sie das Haus betraten. „Kommt gleich mal ins Wohnzimmer. Ich habe was mit euch zu besprechen“, forderte er. „Jaja“, brummte Adrian. Es lag eine unangenehme Spannung in der Luft. Es schien ihnen, als wäre dies nur der Anfang. Wie bei einem Gewitter, daß sich durch Spannungen in der Luft ankündigt, bevor es sich entläd. Sie gingen zunächst nach oben, um sich saubere Kleidung anzuziehen.„Was will dein Vater denn mit uns besprechen?“

      „Ich weiß es doch auch nicht...“

      Zuerst ging Adrian durch die Tür. Seine vollen Lippen waren trotzig aufgeworfen. Nora folgte ihm mit polterndem Herzen. Willhelm wartete bereits im Sessel. Adrian und Nora nahmen auf dem Sofa Platz. Sie wirkten etwas scheu, so wie sie sich aneinander gedrängt hatten. Nora überlegte, ob „Händchenhalten“ erlaubt war. Sie entschied sich dafür, zu tun, was sie wollte und suchte Adrians Hand. Die beiden ineinander geschlossenen Hände wirkten wie eine stabile Faust und Nora fühlte sich sicherer.

      „Ich wollte mal mit euch sprechen...“

      Pause. Nora wurde immer nervöser. Dann rutschte ein