Petra Pfeiffer

Gano


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in den Spiegel geworfen. Wenn ich irgendwo auch nur den kleinsten Laut gehört hätte, hätte ich, glaub ich, wie am Spieß geschrien.«

      Sarah legte Lisa mitleidig die Hand auf den Arm. »Das glaub ich dir, Mann, ich hätte auch total Schiss, wenn mir sowas passiert wäre.«

      »Können wir uns den Blutfleck denn mal anschauen?«, fragte Karo kauend. Micha nickte fragend und sah Lisa auffordernd an.

      »Eigentlich seid ihr schon drauf gestanden, als ihr unten reingekommen seid«, sagte Lisa.

      »Was???« Micha sprang vor Schreck in die Höhe.

      »Das ist jetzt nicht dein Ernst«, ächzte Sarah, und Micha begann unter Verrenkungen ihre Schuhsohlen zu untersuchen.

      »Aber da ist doch nichts zu sehen«, winkte Lisa ab, »das Blut war nur ein paar Sekunden da, solange ich die junge Frau gesehen habe.«

      »Boah, wie gruselig,« meinte Karo, »aber bist du dir sicher, dass du dir das nicht eingebildet hast? Abends sind da bestimmt Schatten auf dem Boden und die Gestalt war doch unscharf, sagtest du.« Karo warf ihr einen Seitenblick zu. »Naja, keine Ahnung«, murmelte sie unsicher.

      Lisa war enttäuscht. »Ihr glaubt mir also nicht«, sagte sie leise und ließ den Kopf hängen.

      »Na klar glauben wir dir.« Karo tätschelte ihren Arm. »Aber es gibt dafür vielleicht eine logische Erklärung. Glaubst du denn im Ernst, dass dir ein Geist erschienen ist?« Karo zog die Augenbrauen hoch. Auch Sarah schaute skeptisch.

      Lisa lehnte sich zurück. Eigentlich klang alles, was sie erzählte, ja auch nicht sehr glaubwürdig und einen Beweis konnte sie auch nicht vorlegen. Aber sie war sich so sicher, dass sie das alles wirklich gesehen hatte. Vor allem nach dem Vorfall im Badezimmer fühlte sie, dass sie die junge Frau tatsächlich gesehen hatte. Mochte man den Blutfleck auch mehr oder weniger logisch erklären können – das Gesicht der Frau im Spiegel würde sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen.

      Inzwischen drehte sich der Gesprächsstoff der Mädchen um die brandneue CD ihrer Lieb­lings­sängerin und die alte Geschichte von einem Teeniestar, der seinen kleinen Affen vom deutschen Zoll nicht mehr abgeholt hatte, was allgemeine Empörung auslöste.

      Lisa fühlte sich auf einmal sehr alleine. Ihre Freundinnen hatten nicht das geringste Interesse an ihrem Problem. Sie hätte ihr Erlebnis gerne ausführlich mit den dreien besprochen, sie musste sich einfach aussprechen um das Ganze zu verarbeiten, vor allem, da sie mit ihrer Familie nicht darüber reden wollte. Sie hatte schlecht geschlafen, die ganze Nacht verfolgten sie Albträume, das Bade­zimmer betrat sie nur noch mit einem mulmigen Gefühl. Es hätte ihr wirklich gut getan, wenn ihre Freundinnen mehr Interesse gezeigt hätten. Jetzt fiel ihr auf, wie oberflächlich die drei eigentlich waren – sie hatten so gar kein Gefühl dafür, dass es Lisa schlecht ging, und wenn doch, dann war es ihnen egal. Im Zimmer sah es, wie nach jedem Besuch der Freundinnen, wie nach einem Überfall aus: auf dem Schreibtisch hatte jemand Cola verschüttet, auf dem Bett und überall am Boden lagen Chips und Flipskrümel herum. Auf dem Teppich vor ihrer kleinen Stereoanlage lag ihre komplette CD-Sammlung verstreut, das Bett war völlig zerwühlt und zerknautscht und einer der kleinen Sessel war umgekippt, als Micha versuchte, ein umkippendes Glas Cola zu retten. Chaos pur, und Lisa musste nachher alles wieder aufräumen und für Ordnung sorgen. Sie seufzte tief und wünschte sich, das ihre Freundinnen endlich gehen würden.

       Kapitel 5

       Ella

      Ella schlug die Augen auf und eine Welle von Angst überspülte sie. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Das Bett war fremd, das Fenster gehörte nicht an diese Wand, den Kleiderschrank hatte sie noch nie gesehen, doch der Moment der Verwirrung ging vorüber, sie erinnerte sich wieder. Leise fluchend setzte sie sich auf. Sie hatte anscheinend die ganze Nacht durchgeschlafen, aber sie musste furchtbare Alpträume gehabt haben. Das Nachthemd war völlig durchgeschwitzt und die Bettdecke komplett verdreht. Sie ließ den Blick durch das kleine Zimmer schweifen. Gestern Abend hatte sie sich vor lauter Müdigkeit nicht mehr umgesehen. Der Raum bot gerade genug Platz für das altmodische Bett mit dem verzierten Nachtkästchen und dem kleinen Lämpchen darauf. Vor dem Fenster stand ein Schaukelstuhl mit einem braunen Kissen und, als sie näher hinsah, mit kleinen, bunten Zeichnungen: Märchengestalten, Zwerge, Einhörner und Zauberinnen waren liebevoll auf das Holz gemalt. Der Stuhl musste Elisabeth gehört haben, dachte Ella, vielleicht hatte Charlotte abends der kleinen Elisabeth Märchen vorgelesen und dabei in diesem Schaukelstuhl gesessen. An einer Wand stand eine große, klobige, mit Schnitzereien versehene Kommode, mit drei großen Schubladen darunter. Oben darauf stand eine große, laut tickende Uhr. Über der Kommode hing ein riesiges Bild, das ziemlich alt und verschmutzt war. Ein röhrender Hirsch war darauf abgebildet.

      Ella rümpfte die Nase, ein absolut hässliches Motiv und ganz sicher nichts für ein Mädchen­zimmer. Hinter der Tür stand ein Kleiderschrank, ein Monster von einem Schrank, aus massivem Holz, wahrscheinlich eine teure Schreinerarbeit. Das ganze Zimmer wirkte altmodisch und ungemütlich, es roch muffig und irgendwie bitter. Hier müsste mal dringend gelüftet werden, dachte Ella und zog die Gardinen beiseite, um das Fenster zu öffnen. Eine milchige, graue Masse drückte sich gegen die Fensterscheibe und Ella ließ den Vorhang wieder fallen. Oh nein, dachte sie mutlos, hat sich der Nebel immer noch nicht verzogen.

      Sie trottete zur Kommode, um einen Blick auf die alte Uhr zu werfen: zehn nach drei. Sie erstarrte vor Schreck und blickte sich in dem hellen Zimmer um. Es musste bereits Nachmittag sein. Nein, schoss es ihr durch den Kopf, nein, das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein. Spätestens früh um halb neun hätte sie im Büro sitzen müssen. Ihr war auf einmal ganz schlecht. Sie musste unbedingt in der Arbeit Bescheid geben und endlich ihre Mutter erreichen. Womöglich wurde sie schon vermisst und alle machten sich Sorgen. Eilig zog sie ihre Sachen an und verzog das Gesicht. Ich muss dringend die Kleider wechseln, das Zeug riecht schon so schlecht wie das Haus, dachte sie.

      Ella nahm ihre Tasche fest in die Hand, verließ eilig das Gästezimmer und sprang die Treppe hinunter. Das Telefon stand verlockend auf der Anrichte und Ella hob zitternd vor Aufregung den Hörer ab und lauschte. Mist, dachte sie, wieder kein Freizeichen. Enttäuscht ließ sie die Schultern hängen. Dann musste sie wohl abwarten, bis sie wieder in ihrer eigenen Wohnung war. Einen Moment lauschte sie auf Geräusche im Haus. Wo sich Charlotte wohl aufhielt? Sie warf einen Blick in die Küche, aber der Raum war leer und alles blitzblank aufgeräumt. Die Türen zum Esszimmer und zum Wohnzimmer waren fest geschlossen, also musste Charlotte sich oben in ihrem kleinen Zimmer befinden. Ella warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Haustür, stieg dann aber die Treppe wieder hinauf. Sie hatte es eilig, das Haus zu verlassen, wollte sich aber unbedingt nochmals bei Charlotte bedanken und sich von ihr verabschieden. Die Tür zu Charlottes Zimmer war nur angelehnt und Ella klopfte kurz, bevor sie den Kopf zu Tür hineinsteckte. Charlotte saß wieder an ihrem kleinen Tischchen und legte eine Patience. Als sie Ella sah, lächelte sie erfreut. »Hast du gut geschlafen, Kind?«, fragte sie und Ella dachte grimmig, Ella, ich heiße Ella. Sie lächelte verkrampft zurück und murmelte etwas von »Albträumen« und »viel zu lange geschlafen.«

      Charlotte stemmte sich von ihrem Stuhl hoch. »Hast du Hunger? Komm mit in die Küche, ich mach dir was zum Essen. Ach, und du könntest mir mit der Wäsche im Keller helfen. Es wäre lieb, wenn du mir noch den vollen Wäschekorb hoch tragen könntest. Langsam wird mir das zu beschwerlich, ich habe schon überlegt, ob ich mir die Waschmaschine in die Küche stellen lassen soll, weißt du, dann müsste ich die schweren Körbe nicht immer die Treppe rauf und runter tragen«.

      Ella nickte verständnisvoll. »Ja, natürlich trage ich ihnen noch die Wäsche herauf. Danach muss ich aber wirklich gehen. Ich habe Sie schon lange genug belästigt und muss jetzt dringend nach Hause. Ich hätte doch heute in die Arbeit gemusst und jetzt ist es bereits Nachmittag und ich hab mich nicht mal im Büro abgemeldet. Ich weiß gar nicht, wo die Zeit hin ist«, sagte sie kläglich, »ich muss wirklich los«, wiederholte sie.

      Charlotte ging vor ihr vorsichtig die Treppe hinunter. Sie winkte Ella zur Kellertreppe und machte das Licht an. »Wenn es dir recht ist, steige ich nicht mit hinunter.« Sie stützte sich schwer