Bettina Lorenz

Yasirahs Erbe - Geheimnisse der Schatten


Скачать книгу

wenn er sich bei Sophia für sein ungebührliches Verhalten entschuldigt hätte, aber er schaffte es nicht, ihr auch nur ein freundliches Wort zuzugestehen. Deshalb nickte er nur und erhob sich langsam. Dann stapfte er wütend zum Haus, während seine Mutter und Sophia ihm leise tuschelnd folgten.

       «Du musst ihm nur Zeit geben...»…, hörte er seine Mutter sagen und beschleunigte seinen Schritt.

       Er dachte nur noch an Flucht. Wenn er jetzt stehen bleiben würde, käme ihm mit Sicherheit etwas über die Lippen, das er später bereuen würde. Jedes unüberlegte Wort hätte nur eine weitere endlose Diskussion mit sich gebracht und er war es leid, ihre ständigen Ausflüchte und Reuebekundungen über sich ergehen zu lassen.

      Schnurstracks marschierte William in das Arbeitszimmer seines Vaters und ließ sich auf dem Stuhl, der sich gegenüber dem großen, dunklen Schreibtisch befand, nieder. Er wusste genau, dass sein Vater früher oder später kommen würde und lauschte dem lauten Ticken der Standuhr, die hinter ihm stand. Er wurde nicht enttäuscht. Nach nur wenigen Minuten betrat jemand das Büro.

       «Guten Tag, Vater», sagte er betont höflich, als er die vertrauten Schritte hinter sich hörte.

       Sein Vater setzte sich an seinen Schreibtisch und sah ihn prüfend an. Dabei schien er seine Worte genau abzuwägen.

       «Deine Mutter hat mich gebeten, mit dir zu sprechen.»

       William atmete tief durch. Er wusste ganz genau, was jetzt kommen würde und doch setzte er eine Unschuldsmiene auf und sah betroffen zu Boden.

       «Ja, Sir?»

       «Wir sind einstimmig der Meinung, dass dein Verhalten Sophia gegenüber mehr als nur unhöflich ist und bitten dich darum, dies zu ändern. Es erwarten dich ernsthafte Konsequenzen, falls das kein nahes Ende finden sollte. Wir lieben euch beide und finden es nicht gut, wenn ihr euch nicht vertragt. Was ist nur los? Mein Verständnis reicht leider nicht aus, das zu dulden!»

       William ballte seine Hände zu Fäusten und starrte zu Boden.

      Natürlich verstehst du es nicht, dachte er verzweifelt und mit einem Anflug von Protest.

      Er verkniff sich jede Bemerkung. Sein Vater war der Letzte, der etwas für die Ungerechtigkeit konnte, mit der seine Mutter ihn strafte. Er war nur selten zu Hause und bekam nichts von Alldem mit. Er würde es auch nie erfahren.

      Dafür hatte sie schon gesorgt, dachte er wütend.

      Williams Mutter war der Meinung, dass das Wissen um die Herkunft ihres Teils der Familie für die Menschen, und somit auch für seinen Vater, verborgen bleiben sollte. Deshalb mussten die Zwillinge bereits mit zehn Jahren einen Schwur leisten, der es ihnen verbot, das Geheimnis zu offenbaren. Genau wie dieses Mal, hatte er schon mehrfach kurz davor gestanden, seinen Vater einzuweihen und auch jetzt, war es einzig und allein seine Ehre, die ihn davon abhielt, es zu tun.

      Was bin ich noch wert, wenn ich jetzt zum Eidbrecher werde, dachte er traurig und antwortete laut: «Ich werde mich ernsthaft bemühen, Sir!»

      Sein Vater nickte zufrieden und wendete sich seiner Arbeit zu. Das Gespräch schien in seinen Augen beendet. William stand auf und ging in sein Zimmer. Dort zog er die schweren Vorhänge zu und verkroch sich für den Rest des Tages im Dunkeln. Er suchte krampfhaft nach einem Weg, die stetig wachsende Abneigung gegen seine Schwester Sophia unter Kontrolle zu bekommen, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen.

      Am nächsten Morgen erwachte William sehr früh und fühlte sich elend. Wieder einmal hatte er kaum geschlafen und der fünfzehnte August war schneller gekommen, als es ihm eigentlich lieb war. Heute war sein zwanzigster Geburtstag. Da sich bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal die geringste Spur der alten Macht in ihm geregt hatte, war somit jedes letzte Fünkchen Hoffnung versiegt.

       Er würde ein normaler Mensch bleiben und Sophia würde das Kronjuwel der hoch angesehenen Familie Addison sein.

       Trotz der Tatsache, dass die beiden Zwillinge waren, fühlte William sich weiter von Sophia entfernt, als es ihm je möglich erschienen war. Er empfand die Kluft zwischen ihnen als unüberwindbar. Wieder einmal meldete sich der immer größer werdende Knoten in seiner Brust und es schmerzte ihn, dass er sich abermals diesen finsteren Gedanken hingegeben hatte. Wie gerne würde er zu seinem früheren unbekümmerten Ich zurückfinden, aber der Weg dorthin blieb ihm verwehrt.

       Anfangs überlegte er, ob er einfach liegen bleiben sollte. Als er sich bereits eine Ausrede für seine Unpässlichkeit zurechtgelegt hatte, entschied er sich dann aber doch anders, weil er dieses Verhalten als würdelos erachtete. Er stand auf, zog sich leise an und ging über den Hof zum Stall. Auf dem Weg begegnete ihm keine Menschenseele. Schnell sattelte er sein Pferd Dark Night und führte es nach draußen. Der schwarze Hengst wieherte vor Vorfreude. Als William sich sicher sein konnte, dass er außer Hörweite war, stieg er auf und galoppierte davon.

       Diese morgendlichen Ausritte waren schon seit einiger Zeit seine einzige Freude. Je weiter er sich dabei vom Addison-Anwesen entfernte, desto größer schien auch die Distanz zu seinen Problemen zu werden. Nach wenigen Kilometern fiel die Anspannung von ihm ab und er fühlte sich unendlich frei. Er hätte ewig so weiter reiten können, aber als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, ermahnte er sich zur Rückkehr.

      Am Abend fand ein Ball zu Ehren der Addison-Zwillinge statt.

       Dort bekam Sophia das Amulett geschenkt, das ihnen beiden hätte gehören sollen. Als sie noch Kinder waren, hatte ihre Mutter es ihnen gezeigt und sie seine Bedeutung und seine Macht gelehrt. Sophia stolzierte in ihrem protzigen weißen Ballkleid damit herum und zeigte jedem Gast das einmalig schöne Familienerbstück und jeder bewunderte es.

       Für William hielt Mr. Addison aber noch eine böse Überraschung bereit. Groß verkündete er vor der versammelten Gesellschaft, dass er entschieden habe, seinen Sohn zur Universität zu schicken. Für William war es wie ein Schlag ins Gesicht. Das also waren die Konsequenzen, vor denen er am Vortag gewarnt worden war. Er versuchte seinen Vater zur Seite zu nehmen und ihn zu überreden, seine Entscheidung zu überdenken, aber dieser befand, dass es das Beste für ihn und auch für die gesamte Situation sei, wenn er Abstand gewinnen und sich seiner Zukunft widmen würde. Seine Meinung war unumstößlich. Nachdem William bereits den Schmerz, seine Mutter nicht mehr auf seiner Seite zu wissen, seit Monaten in sich trug, hatte ihn jetzt auch noch die letzte Person, der er vertraut hatte, verraten und schickte ihn fort. Er hatte das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen wegbrach und er für immer verloren sein würde. Bis zum Ende des Balls machte er gute Miene zum bösen Spiel und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie tief verletzt er war. Aber in seinem Inneren reifte ein Plan. Ein Plan, den er schon seit geraumer Zeit in sich trug. Allerdings hatte ihm bisher die Entschlossenheit gefehlt, ihn auszuführen. Doch nun, da der Hass endgültig die Überhand gewann, warf er alle Bedenken über Bord und kannte nur noch ein Ziel:

       Rache!

       Rache an seiner Schwester, die ihm so vieles genommen hatte und Rache an der Familie, von der er sich verstoßen fühlte. Sie wollten ihn loswerden? Dann würde er gehen, aber er würde sich nicht ihren Vorstellungen beugen und hinnehmen, was sie ihm angetan hatten! Diese Gedanken begleiteten ihn den ganzen Abend und am nächsten Morgen war Williams Bett leer. Er und sein Pferd Dark Night waren verschwunden.

      Einen Tag später fand man den schwarzen Hengst. Sein stolzer Körper lag zerschlagen in einer Schlucht und von William fehlte jede Spur.

       Er wurde nie gefunden.

      Ein verhängnisvoller Abend

      Es war zehn Uhr morgens und als Celina in die Küche kam, wurde sie bereits von Anne erwartet. Der Tisch war gedeckt und ihre beste Freundin stand am Herd. Sie mühte sich gerade mit Pancakes ab. Die Gelungenen wanderten auf einen großen Teller und die anderen in den Mülleimer, der direkt neben ihr stand. Mittlerweile war Anne zumindest schon so gut, dass die Menge nicht angebrannter Pancakes überwog und sie nicht noch eine neue Pfanne hatten kaufen müssen. Celina wünschte Anne einen guten Morgen, nahm sich einen großen Becher Kaffee und setzte sich auf ihren Platz