Felix Dahn

Am Hof Karls des Großen


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von Orleans gegen Benevent: auf zwei Straßen von Rom aus: von Nord nach Süd und von West nach Ost. Der Herzog hatte sein Banner und den Befehl über die Scharen seiner linken Flanke Arichis anvertraut. Aber beide Schlachthaufen kamen kaum zum Gefecht: von erdrückender Übermacht unter Sigwin bei Telesa und unter Ruodhart bei Bovinum angegriffen, warfen die meisten, zumal die Italier, die Waffen weg und flohen: die beiden Arichis versuchten allein mit ihren wenigen langobardischen Gefolgen Widerstand.

       Verwundet, vom Gaule gerannt, auf der Erde liegend, hielt der Gasinde zuletzt noch mit den Zähnen das Tuch des Banners fest, dessen Schaft zerhauen war: erst als er vor Blutverlust ohnmächtig geworden, konnte er gebunden werden. So hatte es ihm nichts geholfen, daß er am Tage des Aufbruchs von Benevent dem Altar von Sankt Sabinus zu Spoleto öffentlich eine Wachskerze so lang wie er selber, und in der Nacht vor dem Gefecht Wodan heimlich ein Roßopfer gelobt hatte, um Sieg und frohe Heimkehr!

      Dem Herzog aber ward der Helm zerschroten von dem Schlachtbeil des Grafen Ruodhart, dann ward der Betäubte gefesselt: beide Gefangene wurden über die Alpen in das Frankenreich geschickt, während das feste Benevent, der Verteidiger entblößt, sich der Schar Trudulfs von Orleans ohne Schwertstreich ergeben mußte. Fürstin Adalperga ward in der eignen Burg in ehrenvolle Haft genommen.

      Es war das Verdienst des Papstes und seiner eifrigen Fürsprache, aber auch die Folge der eignen staatsmännischen Weisheit Karls, daß der raschen Niederwerfung des Aufstandes nur wenige Strafurteile – Verbannung und Vermögen-Einziehung – folgten: man wollte die Menge der Bevölkerung, die nur den Führern gefolgt war, durch Milde gewinnen. Vor allem sollte ja die ganze Frankenmacht in der Halbinsel sofort zu dem Krieg gegen die Byzantiner verwendet werden, was mit solchem Erfolg geschah, daß alsbald kaiserliche Gesandte um Frieden baten, der nur unter beträchtlichen Landverlusten und anderer Genugtuung gewährt ward. Aber jenen Führern freilich war der Untergang fest zugedacht.

       Herr Karl war furchtbar zornig über die Empörung, so kurz nach feierlich beschworenen Verträgen: »da wäre ja kein Fertigwerden,« meinte er grimmig, »müßte man jedes eroberte Land wieder und wieder erobern. Ich habe noch gar vielfach anderwärts zu tun für den Herrn Christus, als immer wieder in meinem Langobardien: so in Sachsen, in Spanien, in Avarien, dann gegen Dänen und Wenden. Kann nicht immer wieder von vorn anfangen am alten Fleck! Jenen Hrodgaud hat der Schwerttod vor dem Galgen geschützt: aber dieser Beneventaner und sein hartnäckiger Bannerwart und Feldhauptmann, – wie heißt er doch? – die sollen zur Abschreckung dienen für andere.«

      Er verwies beide vor das Pfalzgericht zu Chur, wo er damals Hof hielt, dem italischen Kriegsschauplatz näher zu sein. Das Verfahren war kurz genug: die Angeschuldigten waren in handhafter Tat gewaffneten Hochverrats ergriffen, überführt und geständig, vorher den Treueid geschworen zu haben: die Anklage und das einstimmige Urteil gingen auf Tod am Galgen. Das alles war so ganz klar, rechtgemäß und in Ordnung, daß nicht einmal die Verurteilten ein Wort dagegen einzuwenden hatten.

       Der Tag der Urteilsfällung – Karl hatte selbst den Vorsitz geführt – war auch aus andern Gründen aufregend gewesen: von manchen Seiten her waren in geistlichen und weltlichen Dingen ernste Vorkommnisse, Schäden, Gefahren gemeldet worden: »Meine goldene Scheibe hätte heute den ganzen Tag singen dürfen,« grollte er, als er gegen Mitternacht die vertrauten Räte entließ, mit denen er gearbeitet, sowie die Cancellarien und Notarien, denen er diktiert hatte. »In Italien ist für den Augenblick – wer weiß, auf wie lange? – Ruhe, die Byzantiner haben ihre reich verdienten Hiebe. Aber jenseit der Pyrenäen bestürmen die Heiden mein Saragossa, der Patriarch von Jerusalem und Freund Harun sind höchst verschiedner Meinung über ihre Rechte an der heiligen Grabeskirche, und ich soll entscheiden: habe große Lust, sie mir allein zuzusprechen! Die Dänen sind aus dem Danewirke vorgebrochen und haben geheert bis über die Eider, die Tschechen in Bojohemum haben – wie gewöhnlich! – bayrisch Vieh gestohlen, der heilige Vater hadert mit dem Erzbischof von Ravenna um Zollrechte und mit mir um den Ausgang des heiligen Geistes auch vom Sohne, die Avaren wollen, ich soll den Erbstreit unter ihren Chanen entscheiden, – Teufelssöhne sind's alle! – in Alamannien ist großes Viehsterben, meine Villiei in Aquitanien haben mich, wie ich finde, jahrzehntelang betrogen, und auf Korsika und den Balearen sind afrikanische Seeräuber gelandet. Von all' dem werd' ich heut' Nacht wohl träumen! Wenn ich nur erst träumen, das heißt schlafen, kann! Deshalb, hört ihr, Ostiarii, sorgt, daß ich nicht geweckt werde vor hellem Tagesschein, – ja vor der achten Stunde nach Mitternacht! – mag kommen, mag gemeldet werden, wer und was da will. Und wenn der heilige Vater die Tochter Harun Arraschids heiraten wollte: – er soll warten bis morgen Mittag. Wer wacht im Vorsaal?« – »Graf Rorich von Maine.« – »Ist gut. Der ist recht: der meint es treu mit König Karl und seinem Schlaf. So! Leuchte voran, Lucernarius! Gute Nacht, ihr Herren all'! Jetzt will ich lange schlafen!«

      Aber nicht gar lange sollte dieser Schlaf währen. Nach einer Stunde etwa hörte der König sich beim Namen rufen, einmal, zweimal, dreimal.

       »Bei Sankt Denis,« schrie der Schlaftrunkene, auffahrend aus dem schlichten Lager von Fellen, »wer hat sich erfrecht, mich aufzustören? Den soll der üble Waland ... wie, Ihr, Graf Rorich? Wie könnt Ihr's wagen? Liegt Euch nichts an meiner Gnade, meinem Wohlergehn?« – »An beiden mehr als an meinem Leben. Deshalb stehe ich hier: denn um Eure Gnade gilt's und Euer wahres Wohl.« – »Hm, Mann, du sprichst aus tiefstem Ernst: bist ja ganz verstört. Was ist? Wer will mich sprechen?« – »Paulus Diakonus, des Warnefrid Sohn.« – »Der? Der sitzt ja fern in Aachen.« – »Er ist viele Tage und Nächte hergeritten ohne Zaum zu ziehn.« – »Was will er?« – »Sein Bruder Arichis ist zum Tod verurteilt.« – »Der Bannerheld? Sehr von Rechts wegen!« – »Der Diakon erfuhr erst kürzlich, daß jener, – daß beide Arichis hier angeklagt sind.« – »Nun, und?« – »Herr König, gedenkt Ihr nicht? ... Seine Freibitte ...«

       Da fuhr Herr Karl mit beiden Beinen hurtig aus dem Bette: »ah, Sankt Denis, 's ist wahr. Nun will er ihn ... Höre mal, Rorich,« schalt er, immer noch verdrießlich, »hatte das denn solche Eile? Mich wecken! Gib mir die Schuhe, dort – unter dem Bett stehen sie. Und jetzt den Gürtel. Und den Mantel. – Warum solche Eile.« – »Ihr habt befohlen, Euch erst um acht Uhr zu wecken.« – »Nun, ebendrum! Konnte der Diakon nicht bis dahin warten?« – »Nein, Herr König.« – »Du bist sehr kühn. Warum nicht?« – »Herr, Ihr hattet befohlen beide vor sechs Uhr zu hängen.« – »Ah, ja freilich! Hattest recht, Graf von Maine. Da eilte es. Aber doch, woher nahmst du den Mut, gegen mein Verbot – –?« – »O König Karl: – er hat Eure Tochter gerettet. Und ich habe ihm meine Hilfe versprochen fürs ganze Leben.« – »Bist ein ganzer Kerl,« er klopfte ihm auf die Schulter. »Und er hat ja die Freibitte, 's ist sein Recht. Sollte ich wünschen, er wäre um sechs Stunden zu spät gekommen? Pfui, nein, nein! Wenn das Frau Hildigard gehört hätte! Schließlich war der eigensinnige Bannerwart doch nur ein allzutreuer Gasindus. Was liegt an dem Ungefährlichen? Mag er leben! Laß den Mönch herein.« – »O Dank, Dank, Herr. Ihr seid ...« – »Still, ich weiß schon, was ich bin. Führ ihn ein.« – »Gleich. Aber entsetzt Euch nicht,« – »Warum? Wovor?« – »Vor ihm. Er sieht aus, wie sein eignes Gespenst.« – »Armer Paulus! Herein mit ihm, und dann laß uns allein.«

      Der Mönch wankte über die Schwelle, offenbar nur mühsam hielt er sich aufrecht. Der König trat ihm entgegen bis in den matten Schein der Hängampel: »Mensch,« rief er, »du siehst aus wie eine Leiche. Bist du krank?« – »Nur müde. Ich kam nicht aus dem Sattel – Tag und Nacht – von Aachen bis hierher. Jede Eurer Villae gab mir frische Pferde. Ich aß mein Brot im Reiten.« – »Ja warum? Eilte es so?« – »Es eilte. Ihr hört es, Herr Karl.«

       Da schallten aus dem Hof herauf dumpfe Hammerschläge auf hartes Holz. Der König trat an die durch einen Vorhang geschlossene Fensterluke: bei Fackelschein zimmerten sie da unten – –. Er riß den Vorhang wieder zu. »Ich erfuhr erst, nachdem die Anklage erhoben war, daß es dein Bruder. Übrigens gleichviel: er mußte angeklagt, mußte verurteilt werden. Du kommst nun wohl wegen deiner Freibitte?« – »Wegen der Freibitte.« – »Nun gut: mein Wort ist heilig: will dich nicht lange bitten, nicht warten lassen.« Er schritt an einen Tisch mit Schreibgerät, ergriff Pergament und Feder und schrieb, vorgebeugt, im Stehen. »Arichis heißt er, nicht? Wie ... wie der andre?«