Gerstäcker Friedrich

Blau Wasser


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Mast in den dazu bestimmten Platz setzte. „Land werden wir schon irgendwo treffen, und nun hinaus in die See!"

      „Oh Tom - oh Kanaka!" riefen indessen die beiden zurückgelassenen Matrosen erschreckt durcheinander, - „hallo, Mr. Elgers, das Boot ist fort!"

      „Den Teufel auch!" schrie dieser, indem er rasch nach oben sprang. Aber in die gotteslästerlichsten Verwünschungen brach er aus, als die beiden Flüchtlinge seinen Anrufen nicht gehorchten, sondern mit geblähtem Segel scharf am Winde hin das Weite suchten. In wilder Hast und Wuth schwang er dabei die Laterne hin und her, als einzig mögliches Zeichen für das Schiff, von dort so rasch als möglich Hülfe herbeizuholen.

      An Bord hatten sie indessen von oben aus ebenfalls, wenn auch nicht das Abstoßen des Bootes, denn dazu war es nach Osten hin zu dunkel geworden, aber doch das gesetzte Segel entdeckt. Der Mann, der als Ausguck oben saß, rief es an Deck hinunter. Nichtsdestoweniger zerbrach er sich den Kopf, weshalb das Segel nicht gerade auf das Schiff zu hielte und auf dem Wrack noch immer Jemand die Laterne schwenkte. Seiner Pflicht nach rapportirte er das endlich ebenfalls, und der erste Harpunier lief rasch an der Want hinauf, um sich von dem Thatbestand zu überzeugen. Mr. Hobart brauchte indessen keine lange Zeit, den wahren Verlauf zu durchschauen.

      „Mein Boot auf's Wasser!" schrie er in dem nämlichen Augenblick an Deck hinab und glitt dann selber an einer von den Pardunen nieder.

      „Was ist vorgefallen, Mr. Hobart?" rief der Capitain, der unten neben dem Steuerrad stand, „ist das Boot verunglückt?"

      „Halb und halb," lachte der Harpunier mit einem derben Fluch zur Bekräftigung, „für uns wenigstens hier. Es geht mit vollgeblähtem Segel nach Lee zu, und ich müßte mich sehr irren, wenn Tom und der Kanaka nicht eine Vergnügungstour darin vorhätten." - /53/

      „Verdammniß!" schrie der Capitain, das Deck stampfend.

      „Sie hätten ihn sollen laufen lassen, als es noch Zeit war," sagte der Harpunier, seinen dicken Rock, der schon für die Nachtwache bestimmt auf dem Gangspill lag, aufnehmend und anziehend. „Jetzt werden uns die Burschen wieder zu einer verteufelten Hetze zwingen und - verdenken kann ich's ihnen auch nicht - ich thäte dasselbe an ihrer Stelle." Er war dabei auf die Bulwarks gesprungen und glitt an dem Tau draußen nieder, in das hinuntergelassene Boot.

      „Sehen Sie sich vor, Mr. Hobart, daß Sie das Schiff im Auge behalten," ermahnte ihn der Capitain, „ich werde Laternen an den Tops aufhängen lassen."

      „Ay, ay, Sir," rief der Harpunier zurück, murmelte aber in den Bart: „Werde den Teufel thun und in Nacht und Nebel dem Schiff aus Sicht laufen - keine Furcht, Alter. Nun zu, Jungen, greift aus!" rief er den Leuten zu, und die vier Riemen tauchten zu gleicher Zeit in die Fluth und machten das Boot rasch davonschießen. - Aber die beiden Flüchtlinge hatten, obgleich es rascheren Fortgang machte als sie, nicht viel von ihm zu fürchten. Es war nämlich unter der Zeit so dunkel geworden, daß der Mann im Ausguck dem verfolgenden Boote nur noch die ungefähre Richtung des flüchtigen Segels angeben konnte, und der mußte es folgen, so gut es eben ging.

      Zugleich mit ihm hatte Capitain Rogers auch das zweite Boot - und zwar in Ermangelung eines zweiten Harpuniers unter dem Befehl des Böttchers - nach dem Wrack abgeschickt, die noch dort befindlichen Leute abzuholen. Von oben war das Licht zu erkennen, und einen darüber befindlichen Stern annehmend, konnten sie dadurch leicht ihren Cours halten.

      Die Lucy Evans setzte jetzt alle Segel, braßte auf und lief eine Strecke hinter den Flüchtlingen her.

      Als jedoch der Schein der Laterne auf dem Wrack immer schwächer wurde und endlich ganz verschwand, blieb ihr nichts Anderes übrig, als beizudrehen und auf ihre beiden Boote Zu warten, die der Lucy Lichter besser erkennen konnten. Im Westen zeigte sich außerdem eine aufsteigende Wolkenschicht, und der Capitain durfte seine Mannschaft in den Booten /54/ draußen, die nicht einmal mit Provisionen versehen waren, nicht der Gefahr aussetzen, verloren zu gehen.

      In zwei Stunden etwa kehrte der Böttcher mit den Leuten vom Wrack zurück, und eine halbe Stunde später auch Mr. Hobart mit seinem Boot. Von den Flüchtlingen hatte er aber nichts mehr finden können, und als am nächsten Morgen die Sonne, mit einer scharfen Brise, die ihre weißen Schaumwellen über die weite blaue, aufgewühlte Fläche warf, dem Horizont entstieg, war nichts mehr von ihnen zu entdecken. Sie mußten die Verfolgung aufgeben - die Segel wurden wieder umgebraßt, und der Walfischfanger wandte seinen Bug auf's Neue der Heimath zu.

      Eine Nacht voll Todesangst verbrachten indessen die beiden Flüchtlinge, denn wohl wußten sie, daß das Schiff ihrer Bahn folgen würde, und zufällig konnte es ja doch immer dieselbe Richtung beibehalten, wie sie. Befanden sie sich aber bei Tagesanbruch noch in Sicht und wurden sie entdeckt, so waren sie jedenfalls verloren.

      Eine volle Stunde behielten sie nichtsdestoweniger ihren Cours bei, um nur erst den Blicken der Nachsetzenden entzogen zu werden, dann aber kreuzten sie auf Tom's Rath, so wenig Fortgang sie auch dabei machten, gerade in den Wind auf. Dadurch behielten sie die Wahrscheinlichkeit für sich, daß sie das Schiff im Dunkeln passiren würde, und an ein Wiederfinden war dann nicht leicht zu denken. Mit der Morgendämmerung, um keine Vorsicht außer Acht zu lassen, nahmen sie das weiße Segel ein, das sie vielleicht hätte verrathen können, und suchten sorgfältig den ganzen Horizont nach irgend einem Schiffe ab. - Es war nichts zu sehen. Da voll guten Muthes setzten sie bei der frischen Brise das Segel wieder, das sie jetzt in vollem Flug nach Westen, der Heimath entgegen trug.

      Noch waren sie keineswegs außer Gefahr, denn wenn sie auch das Schiff nicht mehr zu fürchten hatten, befanden sie /55/ sich doch in einem dünnen, leicht zerbrechlichen Boot, ohne Provisionen, nur mit dem kleinen Fäßchen voll Wasser, das in allen Walfischbooten liegt, mitten auf dem weiten Ocean, und sollten ihr Ziel ohne Instrumente fast auf gut Glück nur finden. Aber ihr Muth verließ sie nicht, und wie sie, von der kräftigen Brise getragen, lustig über die tanzenden Wogen glitten, jubelten sie ihre Lust und Seligkeit laut und jauchzend hinein in die wiedergewonnene freie, herrliche Welt.

      So ganz ohne alle Hülfsmittel waren sie aber auch nicht. Da die Boote eines Walfischfängers oft in der Verfolgung eines Fisches weit abgezogen werden, oder auch halbe und ganze Tage lang draußen bei einem gefangenen Fisch liegen müssen, bis das Schiff bei ihnen aufkreuzen kann, so befindet sich hinten im Spiegel bei allen ein kleiner Verschlag, zu dem der Harpunier den Schlüssel hat, und in dem meist immer ein kleiner Taschencompaß, ein Feuerzeug, Fischangeln und Leinen, ein paar Dutzend Schiffszwieback und nicht selten auch einige Bücher weggestaut sind.

      Diesen Verschlag brach jetzt Tom, während Alohi steuerte, mit seinem Handbeil auf und fand sich hier reichlicher versorgt, als er geglaubt hatte. Der Compaß besonders konnte ihm die besten Dienste leisten. Das Wichtigste aber, was er neben dem Schiffszwieback in dem Verschlag fand, war ein kleines, von dem Rev. Russell über die Südsee-Inseln herausgegebenes Buch2, an dem sich eine allerdings sehr unvollkommene, aber doch eine Karte der Inseln befand. Wenn auch nur die Lage der einzelnen Gruppen darauf angegeben war, sah er doch, daß sie sich, seit sie Tahiti verlassen, gerade etwa westlich von ihren Inseln befinden müßten, und dadurch Mo-hi's Meinung, der diesen Cours genommen haben wollte, vollkommen bestätigt.

C:\Users\Thomas\Desktop\Documents\001 Manus neu\BlauWasser\Russsell Südsee (2).jpg

      Die erwähnte Karte aus Russells Werk

      Drei Tage und Nächte fuhren sie so ihre lange, einsame Bahn und lebten von Cocosnüssen, die Alohi von dem Kutter ins Boot geworfen, den paar Zwiebacken und einigen Bonitos, die sie unterwegs fingen. In Tom's Seele begannen schon Zweifel aufzusteigen, ob sie nicht am Ende gar südlich unter allen Gruppen wegsteuerten und nicht besser thäten, mehr nördlich aufzuhalten. Alohi wollte aber davon /56/ nichts wissen - wenigstens noch nicht für diesen Tag. So brach der Abend herein, und als die Sonne im Westen sank und den Horizont dort mit durchsichtigem Licht erfüllte, hatte des Indianers scharfes Auge einen Punkt südwestlich von ihnen entdeckt, der vielleicht ein Segel, möglicher Weise aber auch eine Landspitze sein konnte. Ihr Plan war bald gefaßt. Da die Dunkelheit ihnen nur zu bald den Gegenstand entzog, hielten sie einige Stunden lang der Richtung zu und nahmen hierauf das Segel