Eva Markert

Amelie fährt ans Meer


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die Autos. Mal kommen die auf der einen Spur einen ein Stückchen voran, mal die auf der anderen. Amelie stöhnt und denkt: „Na toll! Jetzt dauert es noch länger!“

      „Für Staus kenne ich übrigens ein gutes Spiel“, sagt Mama. „Wir suchen uns ein Auto auf der Spur neben uns aus und gucken, welches besser vorankommt: unseres oder das andere.“

      „Bestimmt das andere!“, meint Amelie. „Die Autos neben uns können viel öfter fahren als wir.“

      „Wir beobachten das weiße, holländische Auto neben uns“, sagt Mama. „Wir werden ja sehen, ob das stimmt.“

      Amelie staunt. „Woher weißt du, dass das ein holländisches Auto ist?“, will sie wissen.

      „Das sieht man am Nummernschild. Deutsche Nummernschilder sind weiß mit schwarzen Zahlen und Buchstaben darauf“, erklärt Mama. „Niederländische Nummernschilder sind gelb.“

      Amelie guckt in das Auto hinein. Hinten sitzt ein blondes Mädchen, das aussieht, als wäre es ungefähr so alt wie Amelie. Das Mädchen guckt zurück. Sie starren sich an.

      Papa kann ein Stückchen fahren. Amelie dreht sich um.

      Kurz darauf zieht der holländische Wagen an ihnen vorbei. Nun dreht sich das Mädchen um.

      Kurz darauf stehen sie erneut nebeneinander. Plötzlich streckt das Mädchen Amelie die Zunge heraus.

      Im ersten Moment ist Amelie verdutzt. Dann tut sie dasselbe.

      Jetzt dreht das Mädchen Amelie eine lange Nase und lacht.

      Amelie macht es ihr nach. Danach hebt sie die Hände, stützt die Handgelenke an beiden Seiten des Kopfes ab, sodass die Hände aussehen wie große Ohren, und wackelt mit den Fingern.

      Das holländische Auto fährt weiter. Amelie sieht von hinten, dass das Mädchen ebenfalls mit den Fingern am Kopf wackelt.

      Jedes Mal, wenn sie aneinander vorbeifahren, ziehen Amelie und das Mädchen Fratzen. Das Mädchen kann tolle Fratzen schneiden. Es sieht irre komisch aus. Amelie lacht sich tot. Das Mädchen auch.

      Irgendwann löst sich der Stau auf, und Papa kommt wieder normal voran. Amelie verliert den holländischen Wagen aus den Augen.

      „Wir haben gewonnen“, sagt sie zu Mama. Gleichzeitig denkt sie: „Schade, dass ich das Mädchen nicht mehr sehen kann.“

      Eine endlos lange Zeit später sagt Papa: „Gleich haben wir es geschafft. Da vorne ist der Eingang zum Ferienpark.“

      „Endlich!“, ruft Amelie und guckt neugierig aus dem Fenster. Sie sieht kleine Straßen mit netten Häuschen am Rand.

      Das Wetter könnte inzwischen gar nicht besser sein. Die Menschen, die draußen herumlaufen, sind offensichtlich alle auf dem Weg zum Strand.

      Papa hält auf einem großen Parkplatz. Er will in einem Büro den Schlüssel für das Häuschen holen, in dem sie die nächsten zwei Wochen wohnen werden. Er kommt längere Zeit nicht zurück.

      „Wann können wir denn endlich ins Haus?“, sagt Amelie. „Schrecklich! Dauernd wartet man, wenn man verreist! Und außerdem muss ich aufs Klo.“

      „Je länger man wartet, desto größer wird die Vorfreude“, behauptet Mama.

      Stimmt das? Amelie überlegt. „Ich freue mich aber nicht wirklich darauf, aufs Klo zu gehen, obwohl ich schon länger darauf warte“, wendet sie ein.

      Mama muss lachen. „Auf Klogänge trifft das, was ich gesagt habe, möglicherweise nicht zu“, erwidert sie. „Auf alles andere schon.“

      Amelie hat keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, ob das wahr ist, denn Papa kommt mit dem Schlüssel zurück. Jetzt wollen sie alle nur noch eins: schnell ins Haus.

       Endlich angekommen!

      Papa hält vor einem Häuschen am Ende einer Straße. „Alles absitzen!“, ruft er.

      Am frohesten, dass sie da sind, ist wohl Bernie. Er springt mit einem riesigen Satz aus dem Auto und schüttelt sich. Gut, dass Mama ihn an der Leine hat, sonst wäre er bestimmt gleich losgerannt.

      „Mm! Ich rieche das Meer“, sagt Papa und schnuppert in die Luft, bevor er die Tür aufschließt.

      Amelie findet auch, dass es hier anders riecht.

      Sie treten ein. „Schön!“, meint Mama und schaut sich um.

      Papa und Amelie gefällt das Häuschen ebenfalls. Es hat nach hinten hinaus eine hübsche Terrasse.

      „Wir müssen aufpassen, dass die Terrassentür immer richtig zu ist, damit niemand hereinkommen kann“, mahnt Papa.

      „Und damit Bernie nicht weglaufen kann“, setzt Mama hinzu.

      Nur eine Sache in dem Häuschen ist nicht gut. Die Treppe nach oben zu den Schlafzimmern ist unglaublich steil, und die Stufen sind hoch und so schmal, dass Papas Füße weit darüber hinausgehen. Er muss sie querstellen, damit sie einigermaßen auf die Stufen passen.

      „Diese Treppe darfst du nie allein benutzen“, mahnt Mama Amelie. „Versprich mir das!“

      Das verspricht Amelie sofort. Die Treppe ist dermaßen hoch, dass man ein komisches Gefühl im Bauch bekommt, wenn man rauf- oder runterguckt.

      Bernie schläft schon wieder. Er hat sich in seinem Körbchen neben dem Sofa zusammengerollt. Dabei hat er sich fast die ganze Fahrt über ausgeruht, abgesehen von den paar Minuten, wo er gebrochen hat!

      „Was haltet ihr davon, wenn wir uns ein Beispiel an Bernie nehmen?“, fragt Papa gähnend und streckt sich.

      „Ich bin sehr dafür“, erwidert Mama. „Wenn Mareike uns lässt.“

      Mareikes Bettchen steht in Amelies Zimmer. Die Eltern ändern das nicht. „Amelie kann sehr gut auf ihre kleine Schwester achtgeben“, meint Mama.

      Amelie ist überhaupt nicht müde. Sie würde am liebsten sofort zum Strand laufen. Sie legt sich trotzdem hin, um auf Mareike aufzupassen. Weil Mama gesagt hat, dass sie das gut kann.

      Mareike brüllt einen Augenblick weiter, dann schläft sie ein. Wahrscheinlich hat sie sich müde geschrien.

      „Gott sei Dank!“, hört Amelie Papa im Nebenzimmer seufzen.

      Danach hört sie nichts mehr. Sie liegt nur in ihrem Bett und wartet, dass endlich alle aufwachen.

      Plötzlich hört sie unten Stimmen. Sind die Eltern schon aufgestanden? Davon hat sie gar nichts mitbekommen!

      Amelie lauscht. Es sind fremde Stimmen. Männerstimmen. Ein Schreck durchzuckt sie. Nach dem Essen war sie kurz auf der Terrasse. Hat sie vergessen, die Tür hinter sich zuzuschließen?

      Amelie schleicht zu der steilen Treppe. „Hier den Fernseher nehmen wir mit und den Hund auch“, sagt einer der Männer. Es sind Einbrecher! Und sie wollen Bernie stehlen!

      „Bernie!!!“, schreit Amelie und rennt los. Und da passiert das Unglück: Sie stolpert. Mit einem lauten Schrei saust sie in die Tiefe. Es geht dermaßen schnell, dass sie sich nicht einmal wehtut.

      Jemand fasst sie an der Schulter. Amelie fährt hoch.

      Mama steht an ihrem Bett. „Hast du schlecht geträumt, Schätzchen?“, fragt sie.

      Amelie blinzelt. Im ersten Moment versteht sie überhaupt nicht, was los ist.

      Mareike hat sich in ihrem Bettchen hingestellt und schaut zu ihr herüber.

      Langsam wird Amelie klar, wo sie ist und dass sie tatsächlich geträumt hat. Ein Glück! Bernie ist noch da und sie ist nicht die Treppe hinuntergefallen!

      Sie bleibt noch einen Moment auf der Bettkante sitzen. Unten fängt Bernie an, wie rasend zu bellen.

      „Bernie, was hast du?“,