Ursula Spitzer

Reise durch fünf Jahrzehnte


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Hocker usw. gebastelt; Oma hatte mir für meine kleinen Plastikpuppen Kleider genäht. Eine richtige Puppenfamilie besaß ich.

      Wenn ich das Puppenhaus auf dem Küchentisch in eine bestimmte Richtung dem Fenster gegenüber stellte, schien das Licht besonders schön hinein.

      Lebhafter wurde es ab Nachmittag in unserem Haus. Die Schulkinder waren wieder aus der Schule zurück; aber, was dem Haus zu einem besonderen Leben verhalf, waren die Mütter, die sich so oft am Nachmittag im Treppenhaus versammelten. Sie standen in ihren Türschwellen. Eigentlich wollte eine von der anderen nur etwas ausleihen oder einer etwas sagen, blieb aber dann mit ihr im Treppenhaus stehen, erzählte und erzählte. Andere hörten diesen Treppenklatsch und gesellten sich hinzu.

      Und es geschah oft, dass auch wir Kinder auf die Flure hinauskamen. Wir spielten dann auf den Stufen, sprangen die Stufen hinunter, veranstalteten ein Wettspringen. Wer konnte von welcher Stufenhöhe springen? Wer konnte von welcher Markierung aus dem Hausausgang springen? Wir legten uns mit dem Bauch auf die Treppengeländer und rutschten so den „Berg“ hinunter.

      Ganz beliebt war das „Schule spielen“ auf den letzten Treppenstufen vor dem Hausausgang. Einer spielte den Lehrer oder die Lehrerin, die anderen saßen auf der Treppe, die die Schulbänke ersetzen mussten. Das Springen störte unsere Mütter fast immer; aber das „Schulespielen“ wurde gar nicht ungern gesehen.

      Drei Kinder aus unserem Hause gingen noch nicht in die wirkliche Schule. Aber durch diese Spiele bekamen sie schon eine Vorstellung, wie es dort abläuft. Hin und wieder kam mal ein Kind aus einem Nachbarhaus hinzu.

      In unserem Hause lebten 6 Familien, zusammen waren wir 10 Kinder. Die Älteste war Heike, 9 Jahre, die jüngste, Inge, 1 Jahr.

      Wenn man schon zusammen spielte, blieb man auch bis zum Abendbrot oft zusammen. Einer hatte immer eine Idee, was man spielen oder herauskramen konnte.

      Günter von der Familie unten hatte schon eine richtige Burg mit kleinen Gummirittern. Hier haben wir am liebsten gespielt. Wir lagen auf dem Boden und waren in die Ritterwelt versunken.

      Der Abend begann, wenn unsere Väter nach Hause kamen. Wenn wir nicht zu sehr in ein Spiel vertieft waren, liefen wir ihnen entgegen – den Bürgersteig hinunter, an den sechs Mietshäusern vorbei um die Ecke und warteten auf dem Parkplatz vor dem Lebensmittelgeschäft auf sie. Die meisten hatten ein Auto. Der, der keins hatte, fuhr mit einem Kollegen zur Arbeit. Sie haben, wenn sie an uns vorbeikamen, angehalten, uns ins Auto gelassen, und so durften wir die restlichen Meter mit ihnen fahren.

      Im Sommer deckte Mutter meistens den Tisch für das Abendbrot auf dem Balkon. Sie machte Butterbrote und stellte immer eine große Kanne Pfefferminztee auf den Tisch.

      Hin und wieder sagte Vater am Abend zu mir: „Komm mit, wir gehen den Gewerkschaftsbeitrag bezahlen.“ Das freute mich immer sehr. Denn dann ging ich alleine mit Vater an den großen Feldern vorbei zu einer Familie, die ein Haus mit einem wunderschönen Garten hatte. Was er dort bezahlte, habe ich damals nicht verstanden. Er sagte irgendwann einmal, die Gewerkschaft setze sich dafür ein, dass er weniger Stunden arbeiten müsse und dass sie auch bei verschiedenen Problemen helfe, die man an der Arbeitsstelle hat.

      Ich fand, dass das ja dann eine gute Einrichtung ist, für die man auch regelmäßig bezahlen sollte. Papa abends früher zu Hause – das wäre ja prima.

      Wir gingen den Berg hinter unserer Siedlung hinunter, kamen zu großen Wiesen und Feldern, die durch einen Schotterweg getrennt waren. Vereinzelt standen Häuser auf den Wiesen mit großen Bauernhöfen.

      Im Sommer ging die Sonne oft wie ein glühender Ball am Himmel unter. Der Himmel sah blau mit verschiedenen Rosatönen aus. Wir liefen der Sonne entgegen. Vater gab mir seine große knöcherne Hand. Ich kann mir heute gar nicht mehr vorstellen, dass ich mich im Leben je sicherer fühlte, als damals an dieser Hand.

      Vaters Arbeitskollege, Herr Wieman, begrüßte uns meistens mit: “Ach da seid ihr ja! Kommt herein.“ Wir haben uns immer in die Küche auf eine Eckbank gesetzt. Herr Wieman holte eine kleine Kassette aus dem Küchenschrank. Der Küchenschrank war aus dunkelbraunem Holz, hatte kleine Glasfenster mit Gardinen. Er stellte die Kassette vor uns auf den Küchentisch, Vater gab ihm 1 DM, Herr Wieman legte sie ins Kästchen und holte aus dem unteren Fach eine Marke. Diese klebte Vater in sein kleines Papierheftchen. Frau Wieman brachte dann immer einen Schnaps für Papa und eine Limo für mich. Nachdem die beiden Männer erzählend ein paar Zigaretten geraucht hatten und die Küche voller blauer Dunst war, machten wir uns auf den Heimweg.

      Es war dann meisten schon ziemlich dunkel draußen. Oft war der Himmel übersät von leuchtenden Sternen. Ich versuchte sie zu zählen, verzählte mich immer dabei, begann wieder von vorne; aber dabei lernte ich schon früh bis 20 zu zählen.

      An langen Sommerabenden fand das Leben meisten auf unserer Straße statt. Wir Kinder durften nach dem Abendessen noch lange draußen spielen. Wir spielten Verstecken, Hüppelhäuschen, übten Seilspringen oder versuchten – wie die Großen – Federball zu spielen.

      Auf der Straße, die mit weiß gekreideten Hüppelhäuschen voll gezeichnet war, spielten abends die großen Kinder und die Erwachsenen Federball. Wer hielt mit wem am längsten den Ball in der Luft? Richtige Wettkämpfe wurden da veranstaltet.

      Dazwischen sah man hin und wieder junge Mädchen in Jeans oder weiten Kleidern, die versuchten, den Hula-Hup-Reifen so lange wie möglich um den Bauch kreisen zu lassen.

      Besonders toll war es, wenn Marion von der unteren Wohnung ein Tonband von Peter Kraus einschaltete und die Musik laut auf die Straße hallte. Gerne hörten die jungen Mädchen: Sugar Baby.......

      Die älteren Männer saßen an solchen Sommerabenden auf dem Mäuerchen neben den Wäschestangen, rauchten, tranken Bier aus der Flasche und unterhielten sich, bis es ganz dunkel war. Ich konnte sie oft noch von meinem Bett aus hören, wenn das Fenster offen war. Mein Zimmer war ein kleiner abgetrennter Raum von unserem Wohnzimmer aus.

      Die Winterabende dagegen waren kurz und für mich viel langweiliger.

      Nach dem Abendessen am großen Küchentisch, legte Papa noch ein Holzscheid im Kohleofen nach – Mama saß am Küchentisch in der Wohnküche, strickte oder nähte mit der Nähmaschine für mich Röcke und Blüschen. Oft musste sie auch Papas Socken stopfen, was sie gar nicht gerne tat. Abendmusik hörten wir dabei, unterbrochen mit Nachrichten, wovon ich noch nichts verstand. Ich krabbelte am liebsten auf den großen Korbsessel und machte es mir mit meinen Buntstiften und dem Malblock am kleinen runden Tisch bequem. Ab und zu brauchte ich Vaters Hilfe, wenn ich ein Pferd oder Kühe malte. Am liebste zeichnete ich Wiesen, Flüsse, Kinder und Luftballons. Vater, der im anderen Korbsessel gegenüber saß, rauchte Pfeife und las die Zeitung dabei. Seitdem wir hier wohnten, waren zwei Wände schon zugestellt mit Büchern in Regalen.

      Unsere Nachbarn direkt von der Wohnung neben uns hatten schon einen Fernsehapparat. Wenn es etwas Interessantes zu sehen gab, gingen meine Eltern abends kurz „rüber“. Damit das Fernsehgucken gemütlich wurde, ging Papa noch vorher für jeden – außer für mich- eine Flasche Bier kaufen. Er musste dann in die Altstadt runter laufen. Manche Familien dort hatten ein Blechschild am Hause, worauf stand: „Bier Cola Limonade zu verkaufen.“ Hier konnte man abends einkaufen. Hatte man Zeit, ließ man sich auf das Angebot – etwas zu bleiben – ein.

      Wenn im Winter viel Schnee lag und es noch nicht so spät am Abend war, lief ich gerne mit „Bier holen“. Am Abend sah der Schnee besonders schön aus, er schimmerte blau im Lichterglanz der hell erleuchteten Häuser und Straßenlaternen.

      Nach so einem Gang kam ich angefroren nach Hause. Mutter füllte unsere Zinkwärmflasche, hüllte sie in ein Handtuch ein und legte sie mir unter die Bettdecke. Wenn das Bett vorgewärmt war, kroch ich hinein und legte mich neben die Wärmflasche. In meiner Kinderkammer war es abends immer kalt. Hier wurde ab Nachmittag im Winter nicht mehr geheizt; „denn Kohlen“, sagte Mama immer, „sind so teuer.“

      Eine besondere Aktion war das Wäschewaschen.