Gabriel Lopez Monica

Im Reich der Träume


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schon. Sie spricht mit ihm. Nur noch ein wenig Geduld. <<

      Jennifers Gedanken rasen: Diese Frau! Das ist nicht gut! Was soll ich ihm sagen? Kraft lenkt sie ab, er entfernt sich.

      >> Hans? Wohin gehts du? <<

      Er reagiert nicht, geht weiter, immer weiter, bis zum Ausgang und hinaus. Jennifer rennt ihm hinterher, aber nur bis zum Schott. Sie sieht ihm nach, erschrocken, bis er im Schneegestöber verschwindet. Sie bleibt. Das Schott schließt. Sie schüttelt ungläubig den Kopf. Ihre Geschichte, weswegen sie bis zu diesem Ort gelangt ist, ist alles was ihr nun bleibt: Wyatt – Writerboy – Adrian. Auf halbem Wege, zurück zum Bildschirm, setzt sie sich auf den Boden. Okeanos verwandelt sich in einen einsamen Ort. Sie löst sich von Hans und wartet auf ein Lebenszeichen von Adrian.

      Der Bildschirm leuchtet!

      Das Bild zeigt einen Mann. Sie bemerkt es, steht auf und geht hin. Er setzt sich auf einen Stuhl. Sie fühlt sich wie auf einem Catwalk, dem Zuschauer ausgeliefert, und ihr Körper spricht anmutig, unter der Kleidung.

      >>>>Ja<<<<

      Hyperion! als wäre es gestern gewesen. Ein Lächeln erscheint auf ihrem Antlitz. Sie ist da! Er ist ganz nah! Und ihr Ja eilt ihr, wie auf Flügeln, voraus.

      Zweiundzwanzig Jahre zerrinnen zu Nichts.

      Sie mustern sich. Die Augen treffen sich noch nicht,

      >> Was hast du gesagt? <<,

      erst jetzt.

      >> Nichts. Ich sehe dich an, deine Haare sind grau, wie seltsam, ganz anders als in meiner Erinnerung – du bist eine alte Frau geworden. <<

      >> Nicht so alt wie du! <<

      >> Nein, nicht so alt wie ich. Ist dir das wichtig? <<

      >> Nein, und dir? <<

      >> Nein. Ich habe ein Buch über dich geschrieben, aber fast alles ist erfunden. Es enthält alles was ich mir ausmalte; wie du warst, bevor wir uns begegneten, und danach. Die paar Tage die ich mit dir hatte sind zu einem ganzen Leben angewachsen, Fantasien; eine Welt habe ich erfunden; dass du jetzt hier bist? Unglaublich! Nach so langer Zeit sehe ich dich wieder, Papergirl – Jennifer; für mich bist du das Mädchen aus der Wüste; der einzige, wirkliche Mensch. Woher kommst du? Wer bist du? Das wollte ich dich schon damals fragen. Wie war dein Leben wirklich? <<

      Er spricht weiter, fast weint er. Mit sanfter Stimme leert er seine Seele, sagt ihr Dinge die ihm gerade in den Sinn kommen, und sie, sie schweigt dazu und weint. Er ist da, mehr muss nicht sein. Gedanken überlagern die Melodie seiner Poesie: Er liebt mich. Er war die ganze Zeit über mit mir beschäftigt. Ist das ein Zauber? Bin ich am Ende hier weil er mich gerufen hat? Hat Hans es auch gespürt und mich darum hergeführt? Nein, so etwas gibt es nicht; ich will ihn, ich war es, ich ganz allein. In ihren Augen blitzt es auf: Eine Erinnerung! Mit dem Herzen in der Kehle sprudelt es aus ihr heraus.

      >> Mach auf Writerboy! <<

      Der alte Name wirkt wie ein Code. Er hört auf, drückt auf einen Knopf, und geht.

      Das rote Schott öffnet mit einem Summen, und gibt den Blick auf einen breiten Flur frei. Einige Meter vulkanisches Gestein, schwarz, wie der Fußabtreter, dann folgt ein gelber Teppich, ein Läufer mit blauen Streifen an den Seiten. Stehlampen mit grünen Schirmen an weißen Wänden, in regelmäßigen Abständen. Warme Luft strömt ihr entgegen, sie tritt ein.

      Kapitel 4 Okeanos

      Zwei Jahre früher. Dezember 2039. Von außen betrachtet ist der Monolith ein gigantischer Würfel, einhundert mal einhundert mal einhundert Meter, umgeben von einem kilometerweiten Geröllfeld; in sehr heißen Sommern und trockenen Wintern, wie in diesem Jahr. In der Regel ist da nur Schnee, und man muss aufpassen, wenn die Sonne scheint, nicht schneeblind zu werden.

      Im Inneren gibt es ein unterirdisches Gewölbe, darüber Parterre und erster Stock. Alles ein einziger Raum, minus die vier Meter dicken Mauern und die vier Meter dicken Decken; die Wände sind acht Meter hoch.

      Im Grunde ist es ein Bunker. Über dem ersten Stock gibt es nichts mehr, bis auf die himmelhohen Außenmauern; sechsundsiebzig Meter hat man gemessen – das ist mathematisch korrekt, doch die Mauern sind nicht verwittert, kein Stück, und das ist verwirrend!

      Okeanos ist ein unbegreifliches, sinnloses, archaisch wirkendes Monument einer völlig fremdartigen Kultur. Warum sollte jemand, in dieser Höhe, ein solches Gebäude und solche Räume, wie ein Bildhauer, aus dem Stein eines Monoliths schlagen?

      Unheimlich ist der See, der entsteht, wenn oben der Schnee schmilzt, man kann es nur vom Hubschrauber aus sehen: Zum Dach gibt es keinen Zugang. Froschmänner sind dort getaucht, Ergebnis: Die Außenmauern, der Boden, beziehungsweise das Dach des ersten Stocks, Wasser – ganz normales Süßwasser.

      Bücher sind über Okeanos geschrieben worden, doch niemand weiß wer diese Mauern errichtet hat, wann das geschehen ist und warum. Hier oben gibt es nichts.

      Der Stein, vulkanisch, lässt sich bearbeiten, nur, von Menschen unberührt verändert es sich nicht. Die Bergsteiger, die es vor Jahrhunderten entdeckten fanden auch keinerlei Hinweise: Keine Schriftzeichen, keine Skelette, keine irgendwie geartete Spuren. Nichts.

      Anfang des 21. Jahrhunderts wurde dieses Rätsel, voller Widersprüche, den Naturgesetzen trotzend, mit hohen finanziellen Aufwand untersucht (Projekt Uranos); für jede Antwort tauchten zwei Fragen auf, das Mysterium blieb, aber es brachte auf Ideen.

      Dann, vor zwölf Jahren, wurde es mit Technik ausgestattet, Okeanos getauft und als Wohnimmobilie ins Gespräch gebracht. Das Echo war enorm, bis hin zu Angeboten in Milliardenhöhe. Den Zuschlag erhielt schließlich eine Schriftstellerin: Claire Weißhaar. An sie wurde es für neunundneunzig Millionen Schweizerfranken für neunundneunzig Jahre vermietet. Es gab Widerstand aus der Politik, denn diese Summe betrug nur zehn Prozent der Forschungskosten, und so hoffte man aus dieser Tatsache politisches Kapital schlagen zu können. Die Wissenschaftsindustrie protestierte ebenfalls, quer durch alle Medien, doch der Staat wankte nicht und war auch nicht bereit weitere Forschungsprojekte zu finanzieren, oder für die nächsten neunundneunzig Jahre zu erlauben. Da oben gibt es nichts. Punkt.

      Die Teams, die am Projekt Uranos beteiligt waren, arbeiten weiter, mit der Masse an Daten die sie gewonnen haben. Sie hoffen die Formel für ein Material zu finden dessen Eigenschaften Formbarkeit, und zugleich Unzerstörbarkeit wären. Die Daten ergeben zwar keinen Sinn, aber so sind nun einmal die Eigenschaften der Gesteinsproben, die fremdartiger sind als das Mondgestein es war. Die Wissenschaftler, weltweit vernetzt, nennen die Untersuchung des Phänomens respektlos, fasziniert: Projekt Kotzbrocken, lachen dabei und träumen vom Nobelpreis; aus den Medien ist das Thema verschwunden.

      Wenn das Wetter es zulässt kommt ein großer Lastenhubschrauber, um die Lager aufzufüllen: Benzin, allerlei Vorräte, Bücher und Proviant, vor allem Frisches. Es gibt zwar einen Obst- und Gemüsegarten, unter künstlichem Licht, doch man pflückt die Pflanzen nicht; sie sind für den Notfall und zum Verweilen – ein schöner Ort mit Parkbänken und poetischen Namen: Die Gärten von Gaia.

      Der Hubschrauber bringt auch Menschen, die Ablösung: Ärzte, Techniker, Geologen und Besuch: Politiker, Schriftsteller, Künstler. Bei diesen Gelegenheiten veranstaltet man Abends, in den Privaträumen der Bewohner, eine Willkommens- und Abschiedsparty; in der geräumigen Bibliothek finden alle Platz. Ein Kamin, Sitzgruppen und ein Panoramafenster machen das Ganze sehr gemütlich; die Welt ist fern, die Gespräche gut. Es sind seltene Höhepunkte, denn das Wetter ist häufig monatelang zu extrem, als dass jemand kommen könnte.

      Die isolierte Lage Okeanos im lebensfeindlichen Hochgebirge, an die Tiefsee und das All erinnernd, ist gefährlich; ein Vier-Jahres-Vorrat an allem schien angebracht. Der riesige Gewölbekeller unterscheidet sich durch zwölf viereckige Säulen von den übrigen Räumen. Sie tragen keine