Jean-Pierre Kermanchec

Die Schwarze Biene


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mit Carla ins Restaurant des Hotels. Die beiden genossen auch heute wieder ein gutes Abendessen. Als Dessert gab es diesmal einen farz oaled, einen Far Bretonne von Ouessant. Ein süß-salziges Dessert aus geriebenen Kartoffeln, Mehl, Speck, Eiern, Milch, Rosinen und getrockneten Pflaumen. Auch dieses Dessert wurde in einem Topf unter Grassoden drei Stunden lang gebacken. Die junge Bedienung war ganz stolz, als sie erzählte, dass das Rezept in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Jede Familie hatte dabei ihre eigene, leicht variierte Rezeptur. Sie befand sich bereits im Besitz des Rezeptes ihrer Mutter.

      Nach dem Abendessen brachen sie zu einem Spaziergang, rund um den kleinen Hafen, auf. Sie verließen ihr Hotel und gingen die Gasse schräg gegenüber hinunter. Die Straße führte an Restaurants vorbei, die nach der Saison bereits geschlossenen hatten und stieg dann leicht an. Ewen konnte an einer Hauswand den Schriftzug Discothèque lesen. Gegenüber lag das Gebäude der Gendarmerie.

      „Wie praktisch, die Gendarmen sind sofort zur Stelle, wenn es etwas lauter zugehen sollte.“

      Sie kamen auf einer kleinen Anhöhe an dem Hotel Duchesse Anne vorbei. Alle Zimmer hatten den Blick aufs Meer oder auf den darunter liegenden kleinen Hafen. Eine wunderbare Lage, fand Ewen. Sie schlenderten zurück und spazierten zum Hafen. Zahlreiche Segelyachten und Fischerboote lagen an der Mole, vor und hinter der Pier, die die Hafeneinfahrt zwar etwas verkleinerte aber dem dahinterliegenden Becken dadurch mehr Schutz bot. Auf der westlichen Seite des kleinen Hafens von Lampaul gab es einen, an die 70 Meter langen Slip, der vom Bootshaus direkt ins Wasser führte, so dass ein Boot auch bei Niedrigwasser ohne Probleme schnell ins Wasser gelangen konnte. In dem Bootshaus war das Seenotrettungsboot stationiert.

      Die Luft war klar und der Wind wehte sachte. Sie hatten Glück mit dem Wetter. Mitte Oktober konnte es durchaus vorkommen, dass die ersten Herbststürme über die Insel hinwegzogen. Einen Indian Summer gab es hier nur selten. Die Temperatur lag jetzt, am späteren Abend, immer noch bei fünfzehn Grad. Nach einer guten Stunde waren sie wieder am Hotel angelangt.

      „So ein Spaziergang tut gut, Ewen, merkst du es auch?“

      „Ja, Carla, ich gehe sehr gerne spazieren. Manchmal kommt eben ein Telefonat dazu.“

      „Ich hoffe, dass wir jetzt einige ruhige Tage verbringen können, du wirst sehen, dass die Woche schneller vergeht, als uns lieb ist.“

      Sie betraten das Hotel und nahmen ihren Schlüssel entgegen. Monsieur Kerlann reichte Ewen auch noch einen Umschlag, der für ihn abgegeben worden war.

      „Diese Nachricht wurde vorhin für Sie hinterlassen.“

      „Oh, eine Nachricht, persönlich übergeben? Von wem kommt die Nachricht?“

      „Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich habe sie nicht entgegengenommen.“

      „Merci, Monsieur Kerlann“, erwiderte Ewen und öffnete den Umschlag.

      Aus einem Schulheft hatte der Schreiber ein Blatt herausgerissen und einige Zeilen darauf geschrieben.

       Monsieur le Commissaire,

       ich muss Sie sprechen, kann mich aber nur am späten Abend mit Ihnen treffen. Könnten Sie morgen gegen 22 Uhr nach Toulallan kommen. Vor dem Weiler gabelt sich die Straße. Ich werde Sie dort erwarten. Bitte achten Sie darauf, dass Sie nicht verfolgt werden.

       Danke

      Ewen las den Brief zweimal. Für ihn stand fest, dass die Nachricht nur von Marie Le Goff stammen konnte. Der Brief trug keine Unterschrift, aber wer, außer Marie und Jean Le Goff, kannte ihn hier auf der Insel? Wer sonst sollte ihm eine Nachricht zukommen lassen? Wer wusste wo er abgestiegen war? Jean Le Goff war in Brest bei der police judiciaire, damit schied er aus, es blieb nur Marie übrig. Für Ewen stand fest, sie war nicht abgestürzt, und ihr Verschwinden war von den Beiden inszeniert worden. Was könnte sie von ihm wollen?

      Carla sah Ewen an, als er seinen Blick von dem Zettel hob.

      „Ich habe mich wohl zu früh gefreut?“

      „Nein, Carla, ich vermute, das Schreiben kommt von Marie, und ich bin der Meinung, dass sie mit mir reden möchte, um ihren Mann aus der misslichen Situation zu befreien, in der er sich zur Zeit befindet. Sicher wird sie mir erklären wollen, warum sie dieses Theater gespielt haben. Sie möchte morgen Abend mit mir, am Ortseingang vom Lieu dit Toulallan, wir sind am Nachmittag daran vorbeigekommen, sprechen.“

      „Darf ich dich begleiten?“

      „Sicher, aber ich weiß nicht, wie Marie reagieren wird, wenn wir zu zweit erscheinen. Aber komm mit, vielleicht ist es sogar besser wenn du dabei bist.“

      „Was meinst du mit …ich weiß nicht, wie Marie reagieren wird…?“

      „Ach, eigentlich nichts, ich bin mir nur unsicher gewesen, ob es richtig ist. Aber jetzt glaube ich sogar, dass es besser ist, wenn du dabei bist.“

      Sie gingen auf ihr Zimmer und beendeten die Überlegungen zu Marie.

      Kapitel 5

      Pierre Berthelé wartete im Stall, bis die beiden Touristen die Umgebung seines Hauses wieder verlassen hatten und in Richtung Lampaul verschwunden waren. Er verließ den Stall und ging ins Haus zurück. Seine Frau Nolwenn kam auf ihn zu und sah ihn fragend an.

      „Die haben nach Marie gefragt. Der Mann hat sie wohl gesehen, als sie die Straße überquert hat.“

      Marie Le Goff kam die Treppe herunter. Sie hatte Ewen Kerber erkannt und war sofort ins Haus geeilt und in ihrem Zimmer in der ersten Etage verschwunden. Ihrem Onkel hat sie schnell noch zurufen können, dass er sagen sollte, er sei mit seiner Frau alleine.

      „Was wollte der Mann?“ Marie sah ihren Onkel liebevoll an.

      „Mach dir keine Sorgen, mein Kind, ich habe ihm erklärt, dass nur deine Tante und ich hier wohnen. Sie sind jetzt weg. Er wird denken, dass er sich geirrt hat.“

      Marie schüttelte den Kopf und nahm ihren Onkel in den Arm.

      „Danke, Onkel Pierre aber er ist Commissaire und bestimmt nicht so einfach zu überzeugen. Vielleicht kann er mir sogar helfen. Ich sollte mich mit ihm unterhalten.“

      „Kannst du ihm trauen? Du weißt ja überhaupt nicht wer dich bedroht und warum. Vielleicht ist er ja gar kein Kommissar, sondern ist dir gefolgt.“

      „Nein, Onkel, ich habe mich mit ihm und seiner Frau auf der Überfahrt gut unterhalten. Seine Frau hat mir erzählt, dass er bei der police judiciaire in Quimper arbeitet. Ich weiß nur nicht wie er reagieren wird, wenn er erfährt, dass Jean und ich meinen Absturz bloß erfunden haben. Jean hat sich bei mir melden wollen, sobald er mit den Helfern die Absturzstelle abgesucht hat. Ich habe aber weder gestern noch heute etwas von ihm gehört. Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen? Ich muss Klarheit haben Onkel. Der einzige, der mir dabei helfen kann, ist der Kommissar aus Quimper. Der kann von seinen Kollegen erfahren, ob Jean etwas zugestoßen ist. In unserem Hotel hast du ja keine Auskunft über den Verbleib von Jean erhalten. Dort haben sie dir nur mitgeteilt, dass wir seit gestern nicht mehr im Haus gewesen sind. Ich habe eine höllische Angst, dass Jean etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte. Ich werde dem Kommissar eine Nachricht schreiben. Kannst du sie für mich in sein Hotel bringen? Ich meine mich zu erinnern, dass sie im Fromveur ein Zimmer gebucht haben.“

      „Das mache ich für dich, mein Kind. Du wirst sehen, alles wird gut.“

      Pierre Berthelé streichelte Marie zärtlich übers Haar und wischte eine Träne von ihrer Wange. Er mochte seine Nichte sehr. Seit dem Tod der Eltern war Pierre Berthelé ihr nächster Verwandter.

      Ihr Vater, André Le Gall, war bei einem Sturm auf dem Atlantik ums Leben gekommen. Pierre konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie sein Vater damals quer über die Insel gegangen war, die restlichen Verwandten vom Tod Andrés informiert und sie zur proella eingeladen hatte. In der Nacht sind dann alle Verwandten