Jean-Pierre Kermanchec

Die Schwarze Biene


Скачать книгу

ein Grund finden lassen, niemand bedroht einen Menschen aus heiterem Himmel. Wir werden intensiv nach dem Motiv suchen müssen. Ich habe aber noch eine Frage, mein Kollege in Quimper hat mir gesagt, dass ihr Mann, bei der Anzeige in Trégunc, dem Polizisten gesagt hat, dass er auf dem Hemd des Schützen einen Schriftzug erkannt hat. Er hat gemeint, das Wort Biene gesehen zu haben. Darüber hat noch etwas gestanden, dass er aber nicht lesen konnte. Sagt Ihnen das etwas?“

      „Nein, damit kann ich nichts anfangen.“

      Maries Blick ging zwischen ihrem Onkel und Ewen hin und her. Monsieur Berthelé mischte sich jetzt in das Gespräch ein.

      „Vielleicht kann ich etwas dazu sagen. Es wäre möglich, dass es sich bei dem Aufdruck auf dem Hemd um den Schriftzug Schwarze Biene gehandelt hat. Ich will Ihnen das erklären. Auf unserer Insel sind die schwarzen Bienen heimisch. Man findet diese speziellen Bienen nur noch an wenigen Orten. Sie gehören zu den Bienenvölkern, die völlig frei von den Varroa-Milben sind. Für uns Insulaner ist die schwarze Biene so etwas wie ein Symbol unserer Naturverbundenheit. Es gab früher eine Bande Jugendlicher, die eine Biene auf ihren Motorradjacken anbrachten. Sie nannte sich die Schwarzen Bienen. Aber heute kenne ich niemanden mehr auf der Insel, der so eine Jacke trägt.“

      „Interessant, wo findet man denn einen Züchter dieser schwarzen Bienen, ich würde mich gerne mit ihm unterhalten.“

      „Da brauchen Sie nicht lange zu suchen, ich bin einer der wenigen Züchter hier auf Ouessant. Was möchten Sie denn über die Bienen wissen?“

      „Zuerst einmal, was lässt die Bienen so anders erscheinen?“

      „Ja, die dunkle Biene von Ouessant ist eine, aus Frankreich fast verschwundene, Spezies. Ouessant hat das Glück, eine natürliche Barriere zu besitzen. Uns trennen 20 km Wasser vom Festland. Das schützt unsere Bienen vor den verschiedenen Krankheiten und Schädlingen, wie zum Beispiel der vorhin erwähnten Varroa-Milbe, die den kontinentalen Artgenossen das Leben schwer macht und viele Bienenvölker schon vernichtet hat. Auf der Insel ist die schwarze Biene auch vor vielen Umweltgiften geschützt. So dürfte sich ihre natürliche Genetik wohl weitgehend erhalten haben. Keine Krankheit, keinen Lärm, keine Umweltverschmutzung, keine Pestizide, das sind fabelhafte Voraussetzungen für einen guten Honig. Wir sind sehr stolz auf unseren Honig, er gehört zweifellos zu den besten auf der Welt.“

      „Wenn der Honig so gut ist, dann würde ich gerne ein Glas davon kaufen. Wo bekommt man ihn denn?“, fragte Carla und sah Ewen an.

      „Kaufen kann man ihn nur an zwei Stellen und auch nur dann, wenn er nicht ausverkauft ist. Am Leuchtturm Stiff, allerdings nur von Mitte Juni bis Mitte September und in dem kleinen Lebensmittelgeschäft le Marché des Îles, im Lieu dit Kernigou. Ein kleiner Teil unserer Produktion geht an ausgewählte Schokoladenfabrikanten und an einen Weltkonzern für Kosmetika. Wir haben uns in der Association Conservatoire de l´Abeille Noir Bretonne zusammengeschlossen, um unsere Bienen zu schützen und die Qualität unseres Honigs zu erhalten. Ich kann Ihnen keinen Honig zum Kauf anbieten, weil ich meine gesamte Produktion bereits an die Verkaufsstellen abgetreten habe. Wir besitzen nur noch eine kleine Menge für den eigenen Bedarf.

      Auch haben unsere Bienen diese dunkle Pigmentierung, die ihnen den Namen verleiht, und die eine bessere Absorption der Sonnenstrahlung ermöglicht. Außerdem besitzen sie längere Haare. Damit sind die Bienen bestens ausgerüstet, um auch bei schlechtem Wetter Pollen sammeln zu können. Ihre Muskeln sind stärker ausgebildet, sie können also auch bei Wind ihrer Arbeit nachgehen. Unsere bretonischen Bienen sammeln in einem Radius von zehn Kilometern um den Stock herum, während die kontinentalen Bienen lediglich im Umkreis von drei Kilometern sammeln. Dadurch, dass unsere Biene größer ist, kann sie auch entsprechend mehr Pollen tragen. Zudem besitzt sie größere Fettreserven und übersteht die Wintermonate ausgezeichnet.“

      Pierre Berthelé war ins Schwärmen geraten. Als er seinen Redefluss zum Luftholen kurz unterbrach, nutzte Ewen diese Gelegenheit und bedankte sich für die Ausführungen.

      „Das reicht mir völlig aus, Monsieur Berthelé. Ich danke Ihnen für die Erklärungen. Sollte ich noch weitere Informationen benötigen, dann komme ich auf Sie zurück.“

      Ewen und Carla standen auf, verabschiedeten sich und wollten Marie und ihren Onkel verlassen, als Ewen dann doch noch eine Frage in den Sinn kam.

      „Noch eine letzte Frage, Monsieur Berthelé, Sie haben einen Kosmetikkonzern erwähnt, der sich ebenfalls für den Honig interessiert?“

      „Oh ja, es ist der große Konzern Cosmétal. Die würden bestimmt noch mehr kaufen, wenn wir mehr Honig anzubieten hätten. Die Produkte, die die aus unserem Honig machen, sollen großen Erfolg haben.“

      „Nochmals vielen Dank, und Ihnen, Marie, alles Gute!“

      Damit verließen Ewen und Carla das Haus von Berthelé. Es war schon weit nach Mitternacht. Ewen war auf dem Rückweg sehr nachdenklich. Er sprach nur wenig und Carla war sicher, dass sich seine Gedanken um Marie Le Goff drehten.

      Kapitel 8

      Am nächsten Morgen rief Ewen bei seinem Kollegen in Brest an und schilderte ihm die Situation. Ein Haftrichter hatte am Tag zuvor die Verhaftung von Le Goff angeordnet, weil sich auch der Staatsanwalt der Meinung der Polizei angeschlossen hatte, dass Marie nicht abgestürzt sein konnte. Jean Le Goff kam noch am gleichen Tag frei und machte sich sofort auf den Weg zur Insel. Er war überglücklich, die Tage wieder gemeinsam mit Marie verbringen zu können.

      Ewen und Carla verbrachten ihre restlichen Urlaubstage mit ausgedehnten Spaziergängen, rund um und quer über die Insel. In dem kleinen Lebensmittelgeschäft, im Lieu dit Kernigou, kaufte Carla zwei Gläser von dem Ouessant-Honig, mehr konnte sie nicht bekommen. Ein Glas wollte sie ihrer Tochter als Mitbringsel schenken.

      Jetzt, da es langsam wieder der Heimreise zuging, war Ewen deutlich besser gelaunt. Carla trug es mit Gelassenheit. Ewen war glücklich in seinem Büro. Sie wusste sehr genau, dass es kein Affront ihr gegenüber war. Ewen war nun einmal mit Leib und Seele Kriminalist. Sie hoffte inständig auf eine Veränderung nach seiner Pensionierung. Ansonsten wäre es bestimmt schwer auszuhalten mit ihm. Vielleicht würde er sich ja schriftstellerisch betätigen können und aus seiner langjährigen Erfahrung eine, vielleicht sogar einträgliche, Nebenbeschäftigung entwickeln. Aber bis dahin war noch eine Wegstrecke zurückzulegen. Am Vorabend ihrer Rückreise war Ewen in die Bar des Hotels gegangen, er wollte sich noch einmal mit Tanguy Kerlann unterhalten und seinen kleinen Aperitif genießen. Carla kümmerte sich um das Kofferpacken.

      „Bonjour Monsieur Kerlann, bitte einen Rosé, wie immer!“, sagte Ewen und setzte sich zu ihm an die Bar, auf einen der drei Barhocker. Er hatte in den vergangenen Tagen mehrere Flaschen Rosé geleert.

      „Was sagt der Wetterbericht für morgen?“, fragte er den Hotelier.

      „Leider nichts Gutes. Der Wind wird in der Nacht auffrischen, und es kann sein, dass wir morgen Windstärken von sieben bis acht bekommen.“

      „Was…, sieben bis acht? Das ist ja schon fast Orkanstärke!“ Ewen hätte beinahe sein Glas Rosé fallen lassen.

      „Och, von einem Orkan ist der Wind noch weit entfernt. Es wird etwas ungemütlicher auf dem Schiff sein auf ihrer Überfahrt.“

      Ewen wollte erst gar nicht daran denken. Windstärke acht war jedenfalls deutlich stürmischer als auf der Fahrt hierher. Schon da hatte sich sein Gleichgewichtsorgan gemeldet und ihm das aufkommende Unwohlsein signalisiert. Was würde erst passieren, wenn das Schiff noch stärker schaukelte? Ewen widmete sich erneut seinem Glas Rosé und versuchte, sich damit zu trösten, dass sich auch ein erfahrener Inselbewohner mit den Wettervorhersagen irren konnte.

      „Hat es Ihnen auf unserer Insel gefallen?“

      „Ja, ganz gut sogar. Es ist ruhig und erholsam gewesen, vielleicht etwas zu beschaulich für mich. Meiner Frau schienen die Hektik und der Rummel einer größeren Stadt jedenfalls nicht gefehlt zu haben. Die Bäume haben mir gefehlt. Ich habe so gut wie keinen