Sommer kommen bis zu 2500 Einwohner dazu. Leute, die hier auf der Insel ein Ferienhaus besitzen. Jetzt sind wir beinahe wieder unter uns.“
„Die Preise für Kraftstoff und für die nötigen Nahrungsmittel sind bestimmt hoch auf der Insel?“
„Ja, der Kraftstoff ist bis zu 35 Cent pro Liter teurer. Aber wir brauchen nicht so viel davon. Manchmal füllen wir den Tank nur alle zwei Monate auf. Die Entfernungen, die wir hier zurücklegen, sind nicht groß. Übrigens, wenn Sie eine Rundfahrt über die Insel wünschen, dann können Sie mich anrufen. Auf der Rundfahrt besuchen wir die Leuchttürme, die verschiedenen Aussichtspunkte und die religiösen Sehenswürdigkeiten der Insel. Kostet 14 Euro für zweieinhalb Stunden, natürlich mit allen Erklärungen!“
Er händigte Ewen sein Visitenkärtchen aus und fuhr davon.
Der Schriftzug Le Fromveur prangte in weißer Farbe auf schwarzem Grund über den beiden Eingangstüren des Hotels. Darüber standen links daneben restaurant und rechts brasserie. Vor den Fenstern der ersten Etage waren schwarze, halbhohe schmiedeeiserne Fenstergitter angebracht, die wohl verhindern sollten, dass jemand aus den Fenstern fallen konnte. Links neben der rechten Eingangstür hing ein Schaukasten mit der Speise- und Getränkekarte des Restaurants.
Sie betraten das kleine Hotel durch die linke Tür, die zum Empfang zu führen schien. Ein Durchgang führte in die Bar des Hotels. Ein großer Billardtisch stand quer im Raum, gleich unterhalb der Stufe, die die Theke von dem restlichen Raum trennte. Mehrere Tische standen hinter dem Billardtisch. An der Stirnseite des Raumes hing ein riesiger Bildschirm, dort lief gerade ein Fußballspiel. Die junge Frau am Empfang hieß sie willkommen und fragte nach ihrer Reservierung.
„Kerber aus Quimper“, antwortete Carla und nahm von der jungen Frau den Schlüssel für das Zimmer in Empfang.
„Einige kurze Erklärungen, Frühstück gibt es ab 7 Uhr 30 und Abendessen ab 19 Uhr. Das Restaurant befindet sich zu ihrer linken Seite.“
Sie zeigte dabei auf einen Durchgang.
„Das Frühstück servieren wir in der Bar. Bitte achten Sie auf die Stufe, nicht dass Sie stürzen.“
Dann wünschte sie ihnen einen schönen Aufenthalt und zeigte ihnen den Weg zu ihrem Zimmer.
Das Zimmer lag zur Frontseite des Hauses. Die Einrichtung war zweckmäßig aber nicht gerade luxuriös, was Ewen überhaupt nicht störte. Er war sowieso der Meinung, dass man keine Unsummen ausgeben musste, um eine Nacht in einem Hotelbett zu verbringen. Das Auspacken des Koffers überließ er gerne Carla. Er ging in die Brasserie und bestellte einen Lambig, um seinen geplagten Magen zu beruhigen.
Hinter dem Tresen stand ein leicht korpulenter Mann um die 50, der ihn bediente.
„So, haben Sie ihr Zimmer schon bezogen? Tanguy Kerlann, mein Name.“ Der Mann reichte Ewen seine Hand.
„Ja, gerade eben, meine Frau ist noch dabei unseren Koffer auszupacken. Ewen Kerber, angenehm.“
„Kerber? Stammen Sie von der Insel?“
„Nein“, antwortete Ewen dem Mann.
„Wir haben nämlich einen Lieu dit Kerber hier, unweit von Lampaul. Verbringen Sie zum ersten Mal Urlaub auf der Insel?“
„Ja, das erste Mal.“
„Wenn man die Insel erst einmal kennengelernt hat, will man sie nicht mehr verlassen“, meinte Monsieur Kerlann.
„Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte Ewen und dachte dabei mehr an die Überfahrt als an die Schönheiten der Natur.
„Was sollte man denn gesehen haben, um die Insel zu kennen?“
„Alles!“, war die erste knappe Antwort.
„Wenn es Ihnen nur auf die Sehenswürdigkeiten ankommt, dann auf jeden Fall den Phare du Creac´h. Unseren, in den bretonischen Farben gehaltenen, schwarzweiß gestreiften Leuchtturm.“
Dann fuhr er fort:
„Der stärkste Leuchtturm Europas. Sein Lichtstrahl reicht mehr als 50 Kilometer weit, und ist das erste, was ein Schiff sieht, wenn es den Golf der Biskaya überquert hat. Zwischen Ouessant und Amerika liegt dann nur noch Wasser. Beim Leuchtturm gibt es auch ein kleines Museum, da können Sie alles über Navigation und Leuchttürme bewundern. Dann sollten Sie den Küstenabschnitt nördlich des Leuchtturms besuchen. Die Côte Sauvage unserer Insel ist phantastisch. Dort finden Sie spektakuläre Felsen und eine wilde Brandung. Der Pointe de Pern ist der südwestlichste Punkt unserer Insel. Der Leuchtturm Nividec ist dort zu sehen. Er liegt aber ein gutes Stück im Meer. Dann wäre da noch unser Écomusée de l‘île d´Ouessant. Dann können sie hier von Lampaul aus zur zweiten Halbinsel von Feuteun-Velen gehen. Da liegt die südlichste Landspitze, die Point de Porz Doun. Schließlich wäre dann der Phare du Stiff, den hat Vauban noch gebaut. Gleich dahinter steht der neue Radarturm, der ist für die Rail d´Ouessant gebaut worden. Sie werden bestimmt davon gehört haben?“
„Ich habe davon gelesen, die gesamte Schifffahrt durch den Kanal wird von dort aus kontrolliert.“
„Nun, von dem Radarturm nicht, das Kontrollzentrum ist auf dem Festland.“
„Vielen Dank für die ausführlichen Informationen, mal sehen, was wir uns alles in den wenigen Tagen ansehen können.“
„Wie lange bleiben Sie bei uns?“
„Eine Woche haben wir uns vorgenommen.“
„Ach, dann können Sie alles zweimal besuchen. Mit dem Fahrrad fahren manche Besucher die wesentlichen Sehenswürdigkeiten schon in einem Tag ab. Selbst wenn Sie alles zu Fuß unternehmen, was ich Ihnen raten würde, haben Sie in vier Tagen alles gesehen.“
Ewen bedankte sich nochmals für die Ausführungen, leerte seinen Lambig und ließ die Rechnung aufs Zimmer schreiben. Dann ging er zu Carla hinauf.
Carla hatte den Koffer ausgepackt und sich umgezogen. Sie war bereit zu einem ersten Inselspaziergang.
„Möchtest du dir auch noch etwas anderes anziehen?“
Ewens Kopfschütteln sagte ihr, dass sie sich auf den Weg machen konnten.
Ewen war von Tanguy Kerlann bestens instruiert worden und so machte er Carla den Vorschlag, doch gleich einmal zum Phare du Creac´h zu spazieren, auf der nördlichen von den beiden Halbinseln, den sogenannten Krabbenscheren, an der südwestlichen Seite der Île d´Ouessant. Die Côte Sauvage dort sei absolut sehenswert.
Das Wetter meinte es gut mit ihnen. Der heftige Wind schien sich während der Überfahrt ausgetobt zu haben, und die Sonne strahlte vom leuchtend blauen Himmel. Die Insel erschien wie eine Oase der Ruhe. Auf ihrem Weg zum Leuchtturm begegneten sie keiner Menschenseele. Sie gingen an zahlreichen Schafweiden vorbei und sahen vereinzelt einige Pferde auf den Koppeln stehen. Schon von Weitem war der Leuchtturm zu sehen, der wie eine schwarzweiß gestreifte Zuckerstange in den Himmel ragte.
Sie näherten sich einem der Wahrzeichen der Insel und den vom Wirt beschriebenen Klippen, als plötzlich ein wild gestikulierender Mann auf sie zugerannt kam. Ewen erkannte den jungen Jean Le Goff, der jetzt atemlos bei ihnen angelangt war.
„Marie, Marie! Sie ist abgestürzt, haben Sie ein Handy?“
Ewen zögerte nicht lange und wählte die Notrufnummer. Er gab den Standort durch und der Mann am anderen Ende versprach, umgehend Hilfe zu senden. Ewen machte sich keinerlei Gedanken, wer den Anruf entgegen genommen hatte. Ansonsten hätte er sich sofort die Frage gestellt, woher die Hilfe kommen könnte. Auf der Insel gab es nicht so viele Möglichkeiten. Er erinnerte sich, gelesen zu haben, dass nur in den Sommermonaten der Posten der Gendarmerie mit vier Männern besetzt war. War jetzt überhaupt jemand da?
Es dauerte nur wenige Minuten und Ewen hörte, wie sich ein Fahrzeug ihrem Standort näherte. Der Kleinlaster gehörte wohl einem Unternehmer, der hier auf der Insel einen Betrieb führt. Auf