Katrin Pieper

Luise und Leonie


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      Aber sie sah sich plötzlich allein auf der Wiese, so reckte sie sich, tief einatmend, zu ihrer ganzen Zierlichkeit auf und schritt mit Sinn für Grazie zur Gartentür.

      Der Mann mit den goldenen Händen und dem Sinn für alles Hohe, also der Schornsteinbauer, stand, besser: hing über der Gartenpforte. Ein langer dünner Mensch, der schütteres Blondhaar mit einem forschen Bürstenschnitt zu verbergen suchte. Sein langer dünner Hals zeigte einen nervös tanzenden Adamsapfel. Hemd und Sakko verrieten eine gut funktionierende Waschmaschine, die hellen Leinenhosen hörten kurz vor den riesigen mit dunklem Leder bespannten Clogs auf. Hinter der Nickelbrille blitzten vergnügt blaue Augen, und die Hände hielten beunruhigend selbstbewusst einen müden kleinen Veilchenstrauß.

      "Hallo", sagte Luise und versuchte, sich von den Händen und den Augen zu befreien, "Sie werden schon erwartet."

      Der Mann nickte mit ältlicher Bedächtigkeit, die wenig zu dem schlaksigen Jungen, der da vor ihr stand, passte.

      "Damit habe ich gerechnet", sagte er, "Leonie hat mich schließlich zu Ihnen geladen."

      Sein Blick, schnell und aufmerksam, glitt - wie Luise fand - etwas schamlos an ihr auf und nieder. Sie öffnete die Gartentür.

      "Leonie hat gesagt, ich dürfte auf keinen Fall ohne Blumen kommen."

      Luise sah ihm tapfer in die Augen. "So. Hat sie das. Und zu mir geladen? Nannten Sie es so?"

      Der Mann nickte und schaute auf sie herunter.

      In Luise fingen sacht einige Warnglöckchen zu klingeln an. So nicht, dachte sie, so fängst du mich nicht, du mit deinen Augen und deinen goldenen Händen. Sie schloss die Gartentür.

      "Hat denn Leonie Ihnen noch weitere Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg gegeben?" fragte sie etwas zu schrill. "Hat sie Ihnen nicht von meiner Schwäche für Nerzmäntel aus echten Fellen erzählt?"

      Der Mann klapperte brav hinter Luise her.

      "Ich weiß so ziemlich alles über Sie. Leonie redet oft und gern von Ihnen. Und man hört ihr gern zu. Sie wissen ja, wie unterhaltsam Leonie sein kann."

      Leonie und unterhaltsam, dass ich nicht lache, dachte Luise. Da kennen wir wohl zwei verschiedene Frauen.

      Irgendwie erwachte in Luise der Wunsch, in die mit Sicherheit verrauchte Küche zu gehen und Leonie hervorzuzerren. Aber ich werde beiden die Suppe versalzen, schwor sie sich, während sie lächelnd die Veilchen in eine Tonvase stopfte, ein Verrecker aus der eigenen Produktion. Aber zu schade zum Wegwerfen.

      Der Mann war etwas hinter ihr geblieben, hatte seine Clogs ausgezogen, das knittrige Leinensakko über den Arm genommen und rieb seine riesigen Füße mit noch riesigeren Zehen genüsslich im Gras.

      "Das tut gut", sagte er, "Leonie hat mir nie erzählt, dass Sie so paradiesisch wohnen. Luise - ich darf Sie doch so nennen -, ich muss sagen, Leonie hat das einzig Richtige getan, mich hier zu Ihnen zu laden. Warum Sie das nicht schon längst mal getan hat?"

      Luise sah ihn an. Das könnte ich dir ganz leicht erklären, mein Junge, dachte sie.

      Stattdessen fragte sie: "Wie heißen Sie eigentlich?"

      "Paul. Paul Johann Koslowski."

      "Bei Leonie heißt es immer nur: der Koslowski. Dabei haben Sie richtige und gut bürgerliche Vornamen."

      "Aber nicht zu gebrauchen".

      "Wie das?"

      "Ich kann mich nicht erinnern, dass mich je einer Paul oder Johann gerufen hätte. Nicht einmal meine Mutter."

      "Sie nennt Sie wohl auch Koslowski?" fragte Luise erstaunt.

      "Sie vor allem. Meine Mutter steht auf dem Standpunkt, dass man sie erpresst hätte mit diesen meinen Vornamen, die Sie auch noch gut bürgerlich nennen."

      "Erpresst? Von wem?"

      "Von meiner Großmutter und ihrer Schwiegermutter. Und so hat sie tunlichst die beiden Vornamen umgangen, in dem sie mich von klein auf Koslowski rief. So rächte sie sich an den beiden Urmüttern."

      "Ich würde gern Paul sagen", meinte Luise leichthin.

      "Machen Sie, was Sie wollen. Aber bedenken Sie, dass ich dann wahrscheinlich schlecht oder gar nicht reagiere. Sie könnten mich dann auch Mathilde rufen."

      Luise ging allmählich zum Programm über.

      Sie drapierte sich planmäßig auf der Apfelbaumbank, und Koslowski war auch planmäßig erschlagen. Luise registrierte es zufrieden.

      "Was für ein Bild", gestand er, "und das haben Sie sich alles für mich ausgedacht?" fragte er unschuldig.

      Luise schwieg vorsichtshalber, Unsicherheit stieg auf, was wusste der Mann eigentlich, was hatte Leonie ihm schon alles erzählt. Den Plan, einen Mann für die Sommersaison zeitweilig ins Haus zu holen, der da freiwillig und mit Lust allen Reparaturen zugetan war, den würde sie ihm doch nicht anvertraut haben.

      Koslowski betrachtete das Bild genüsslich.

      "Sollte ich Sie jetzt nicht auch ein klein wenig und sehr sanft küssen?" fragte er vorsichtig, "es passt auch ins Bild."

      Luise sah ihn amüsiert an.

      "Überschätzen Sie da nicht ein wenig die Situation?"

      Der Mann ließ sich seufzend neben ihr nieder.

      "Das tue ich, wahrscheinlich, seit ich Ihnen auf diesem grünen Pfad folge. Leonie, meine gute alte Freundin, hat mich einfach nicht genügend vorbereitet."

      "Muss man sich immer auf etwas vorbereiten, wo es doch nur um eine Tasse Tee und ein Plauderstündchen geht?"

      Koslowski setzte eine sorgenvolle Miene auf.

      "Sehen Sie - so ist das immer. Man sagt, was man denkt, und schon kommt die Gegenfrage, auf die man nicht vorbereitet ist."

      "Wo kämen wir hin, wenn jeder sagt, was er denkt." Luise erhob sich.

      "Tee oder Kaffee?"

      "Ein Bier", erwiderte er, "am liebsten ein kühles Bier, und das im Gras. Setzen wir uns doch einfach auf die Wiese, trinken ein Bier und ich bewundere Sie ein bisschen und wir flirten miteinander. Was halten Sie davon?"

      Gar nichts, dachte Luise, überhaupt nichts. Das läuft hier sonst nicht planmäßig. Ich muss die Zügel fester halten, sonst sitze ich früher oder später neben dem Kerl im Gras - und wahrscheinlich sitze ich nicht mal.

      Sie holte aus der Küche ein Bier und hoffte, Leonie zu begegnen, doch von der keine Spur, kein Zeichen. So trat Luise wieder in den Garten und sah Koslowski brav auf der Bank hocken, wie ein zu großer Vogel.

      Luise spürte Unruhe und Herzklopfen.

      Reiß dich zusammen, sagte sie sich, sonst geht hier gleich eine dümmliche Romanze ab. Du brauchst einen Mann für Haus und Garten und nicht für das Bett. - Und eigentlich für beides.

      Die Küchengardine bewegte sich plötzlich sacht. Verdammt, dachte Luise, während sie sich mit leicht zitternden Händen Kaffee eingoss, was hat Leonie da nur zusammengefädelt.

      Beim letzten Mann hatte Leonie total gepasst. Dabei wäre der nun wirklich leicht zu halten gewesen. Ein überzeugter Single, passabel aussehend, ein Vegetarier vom Scheitel bis zur Sohle. Er hatte sofort gesehen, welches der Fenster unbedingt neu verkittet werden musste. Und dass dem Rasen dringend eine Rasur nottäte.

      Luise war stehenden Fußes für drei Tage verreist, um Leonie eine optimale Startphase zu geben. Aber bei ihrer Rückkehr fand sie Leonie nicht nur allein, sondern auch gelb und grün vor Ekel und mit Waschzwang.

      "Ein Knoblauchesser", hatte Leonie gestöhnt. "Jeden Tag Berge von Zehen und ganze Knollen ... "

      Luise hatte noch zurückhaltend auf die menschliche Entwicklungsfähigkeit verwiesen. Aber l.eonie hatte nur müde abgewinkt.

      "Du warst kaum weg, da rollten auch schon die Knoblauchberge an. Er schnitt