Gerhard Schumacher

Marrascas Erbe


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Wenn unsere Vermutung stimmen würde, wagte ich nicht, die Beträge zusammenzuzählen, weil ich Angst vor der Endsumme hatte. Sie mußte schwindelerregend hoch sein, dazu angetan, einen Kollaps des Kreislaufs hervorzurufen. Woher kommt soviel Geld?

      Don Basilio hatte eine ganze Weile in den Auflistungen geblättert und geschwiegen. Unversehens meldete er sich wieder zurück.

      „Schauen Sie, was ich gefunden habe.“, er hielt mir eine Seite hin. „Das ist ein Bruch in der Logik der Liste, schauen Sie es sich nur genau an.“

      Und richtig, im unteren Drittel der Seite war die Aufzählung von Buchstaben und Zahlen über alle drei Spalten hinweg unterbrochen. Stattdessen stand dort in der Mitte nur ein einzelnes unterstrichenes Wort:

      Martorell

      Darunter hatte Don Xavier die Auflistung dann weitergeführt wie gehabt.

      „Martorell, was soll das bedeuten, damit kann ich nichts anfangen. Sicher wieder so eine unverständliche Zusammensetzung von Buchstaben, deren Bedeutung nur derjenige versteht, der sich das ausgedacht hat“, sagte ich enttäuscht vor mich hin.

      „Das kann so sein, muß es aber nicht“, antwortete mir Don Basilio, „wahrscheinlicher scheint mir doch, der Rabe meint DEN Martorell, nämlich Joanot Martorell, einen valenzianischen Autor des 15. Jahrhunderts. Er hat den Tirant Lo Blanc in valenzianischem català geschrieben, einen Ritterroman, von dem der berühmte Cervantes meinte, es sei das beste Buch der Welt. Zumindest war es das Erste, das man als Vorläufer des modernen Romans bezeichnen kann. Der Don Quixote des guten Cervantes ist ohne den Tirant des Valencianers Martorell überhaupt nicht denkbar. Er hat allerdings die Veröffentlichung seines Romans nicht mehr selbst erlebt, denn er starb bereits 1468, da war die Erzählung noch unvollendet. Sie wurde dann von Marti Joan de Galba, einem ritterlichen Freund, zu Ende geschrieben, jedenfalls geht man davon aus, daß es Galba war, und endlich 1490 in Valencia, zweiundzwanzig Jahre nach dem Tod Martorells und makabererweise auch erst nachdem Galbas, er starb 1489, veröffentlicht. Wenn ich recht habe mit meiner Vermutung, sollte hier irgendwo in dieser Bibliothek eine Ausgabe des Tirant Lo Blanc stehen. Wir müssen sie nur finden. Vielleicht hat der Rabe in dem Buch etwas vermerkt, was uns weiterbringt und eventuell diese Blätter hier erklärt.“

      Don Remigio konnte es sich nicht verkneifen, seinem Freund mit einem ironischen Unterton zu bespötteln.

      „Halt ein, Basilio, so interessant deine literaturhistorischen Vorlesungen auch sind, du mußt uns nicht gleich mit der Chronik des spanischen, und dort wiederum im Besonderen des katalanischen Schriftguts von den Anfängen bis zur Neuzeit vollschütten. Martorell und sein Weißer Ritter sind gefragt, wir haben verstanden. Also laßt uns die Zeit nicht weiter vertändeln und lieber danach suchen. Das scheint mir sinnvoller.“

      Der so Angesprochene lächelte zu diesem kleinen Seitenhieb, nickte aber mit dem Kopf und sagte nichts weiter dazu. Er war diese kleinen Nicklichkeiten seines Amtsbruders seit langen Jahren gewöhnt, teilte sie selbst in entgegengesetzter Richtung in ähnlicher Weise aus, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Die beiden waren für mich ohne diese ständigen gegenseitigen Spötteleien nicht mehr vorstellbar. Jeder aber, und das erwähne ich an dieser Stelle mit ernsthafter Anerkennung, achtete darauf, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben und den anderen womöglich zu verletzen.

      „Gut, gut, mein lieber Remigio, dein Wunsch ist mir, wie fast immer, zugleich Anweisung und Auftrag, laßt uns also suchen. Ich darf zudem darauf hinweisen, und das ist dann mein letzter Exkurs in die katalanische Literatur, jedenfalls für heute, daß der Tirant Lo Blanc nicht in einem, sondern in ganzen fünf Bänden erschienen ist. Ein sehr umfangreiches Werk, wie ihr hört. Je nachdem, welche Ausgabe sich also hier in der Bibliothek befindet, wenn sich denn überhaupt eine hier befindet, wird sie eventuell mehrbändig sein. Ansonsten empfehle ich, einen Blick auf die Uhr zu werfen, auf der man unschwer den frühen Morgen ablesen kann. Ich für meinen Teil würde mich deshalb jetzt gerne verabschieden und meine persönliche Beteiligung an der Suche auf den Nachmittag verschieben, denn in wenigen Stunden werde ich eine Reihe von Terminen wahrnehmen müssen, die zwar nicht für mich, aber sehr wohl für die von mir betreuten Schäfchen der Gemeinde wichtig sind. Im Konkreten geht es darum, Trost zu spenden, sowie Beistand und Rat zu geben. Und wenn ich selbst auch nicht von der Wirksamkeit des geistlichen Wortes überzeugt bin, sehe ich mich kraft meines Berufes dennoch in der Verpflichtung, dieses zu erteilen, und zwar glaubwürdig. Auch dir, lieber pare in Theorie und Praxis stünde es gut zu Gesicht, dich wieder einmal etwas intensiver um deine Gemeinde zu kümmern. Ich sage das aus reiner Fürsorge dir gegenüber, mein geschätzter Remigio, und nicht, weil ich dich in irgendeiner Form kritisieren oder gar schulmeistern will, das mußt du mir glauben. Also, lange Rede, wenig Sinn, ich schlage vor, wir vertagen unsere bibliothekarische Untersuchung und begeben uns jetzt erst einmal auf das weiche Lager des Schlafes, der vor uns liegende Tag wird wiederum ein harter werden, ich spüre es jetzt schon in den Knochen.“

      Die verhältnismäßig lange Rede Don Basilios, die er mit seiner sonoren Stimme in ruhigem Ton vortrug, hatte die Spannung, die seit dem Fund der Auflistungen in der Luft und auch zwischen uns Suchenden lag, um einiges gemindert. Außerdem stellte sich, zumindest bei mir, in dem Moment eine tonnenschwere Müdigkeit ein, als ich dem Rat Don Basilios folgte und mit einem Blick auf die Uhr feststellte, daß die vierte Morgenstunde bereits zu mehr als der Hälfte überschritten war.

      Auch Don Remigio schien mit dem Vorschlag einverstanden, gähnte verschämt hinter vorgehaltener Hand und begann, die Kerzen auszublasen. Wir verabredeten uns für den späten Nachmittag, fünf Uhr, um die Suche nach dem Tirant Lo Blanc aufzunehmen. Ich begleitete die Gefährten nach unten zur Tür und als wir uns mit kurzem Händedruck verabschiedeten, kam Álvaro des Wegs, zögerte kurz im Schritt, als er uns sah und drückte sich dann sichtlich verlegen mit kurzem Gruß an mir vorbei ins Haus, wo er sofort in seinem Zimmer verschwand. Er hatte nicht damit gerechnet, uns zur Stunde seiner Heimkehr vor dem Haus zu treffen und wäre der Begegnung wahrscheinlich ausgewichen, wenn er es noch gekonnt hätte.

      Nachdem alle gegangen waren, verschloß ich die Haustür und ging noch einmal hinauf in die Bibliothek. Als ich in der Mitte des Raumes stand, vom Boden bis zur Decke umgeben von hunderten von Büchern, überkam mich wieder das Gefühl der erhabenen Gelassenheit, das ich schon empfand, da ich mir die Bibliothek zum ersten Mal bewußt erschlossen hatte, als ich mir der Kraft bewußt wurde, die von den auf Papier gedruckten und zu Büchern gebundenen Worten ausging.

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