George Tenner

Der Tod zwischen den Inseln


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abzusetzen. Er entschloss sich, das zu unterlassen.

      »Suchen Sie etwas?« Es musste die Stimme der jungen Frau mit dem brünetten Haar sein, die er zuvor durch das Glas so bewundert hatte. Er empfand ihre Stimme als äußerst sympathisch.

      »Einen Tisch.«

      »Es ist nahezu alles frei. Sehen Sie das nicht?«

      »Nein.«

      »Wie wär es, Sie setzten die Brille ab«, sagte die Frau lachend.

      »Das würde ich gern, aber …« Er hörte ihre Schritte, die auf ihn zukamen. Dann sah sie schemenhaft. »Ich hatte eine Augenoperation. Die Brille ist derzeit noch notwendig.«

      Von einem der Nebentische kamen leise Stimmen. Eine junge Frau lachte auf.

      »Kommen Sie.« Beherzt fasste sie seine Hand, und führt ihn zu einem großen runden Tisch.

      »Ist Ihnen der Platz hier recht?«,, fragte sie.

      »Wenn Sie in meiner Nähe sind.« Umständlich nahm er Platz. Langsam gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit. Er konnte das Gesicht der jungen Frau deutlich erkennen. Er fand, dass sie ihn hinreißend anlächelte. Was für ein Jammer, dachte er, dass sie eine Art Fata Morgana bleiben wird.

      »Können Sie mir etwas zu essen empfehlen«, fragte Lloyd.

      »Hirschsteak an sautierten Kräuterseitlingen und Rosmarinkartoffeln. Medaillons vom Schwein mit Kürbis-Chili-Kruste, mit Möhrenstiften in Butter-Macaire …«

      »Nein«, beschied er knapp.

      »Wie ist es mit Rinderhüftsteak mit Kürbis-Kruste und Kräuterseitlingen an getrüffeltem Kartoffelstampf?«

      »Fisch. Ich bin am Meer, da möchte ich Fisch essen.«

      Von der Tür kam eine rufende Stimme.

      »Ich muss erst einmal draußen nach dem Rechten sehen«, sagte sie. »Hausgebeizter Lachs mit einer Senf-Dill-Soße, frischem Gemüse und Kartoffelrösti.« Sie stand auf.

      »Das klingt schon besser.«

      »Ich bin gleich zurück.«

      Während die junge Frau dem Außenbereich zustrebte, schob er die Brille ein wenig hoch. Er musterte die Umgebung. Zufrieden ließ er sie erst auf die Nase zurückgleiten, als er sie kommen hörte. Durch ein Fenster zur Küche gab sie eine Bestellung auf. Sie kam zum Tisch zurück.

      »Keinen Lachs?«

      »Haben Sie nichts Besseres, etwas Typisches für den Veermaster?«

      Sie war versucht, ihn nach seinem Dialekt zu fragen. Dazu fehlte ihr der Mut.

      »Natürlich. Gebratene Ostseescholle Finkenwerder Art mit Gurken-Dill-Schmand an Bratkartoffeln.« Sie spürte seine Unschlüssigkeit. Darum ergänzte sie. »Ostsee-Zanderfilet mit Bordelaiser Kruste, Rieslingsoße und Stampfkartoffeln, oder …«

      »Oder?«

      »Ostsee-Dorsch im Speckmantel mit geschmorten Römersalatherzen an Rahmlinsen.«

      »Das nehme ich. Sagen Sie bitte dem Koch, er möchte eine besonders große Fischportion reichen. Ich zahle das.«

      Sie stand auf. Doch bevor sie sich abwenden konnte, fragte er: »Wie heißen sie eigentlich?«

      »Conny.«

      »Conny?«

      »Das kommt von Cornelia.«

      »Von Cornelia«, stellte er lapidar fest. »Man könnte ebenso gut Nele sagen, oder?«

      Sie nickte. »Darf ich Sie etwas fragen?«

      »Nur zu!«

      Das Klingelzeichen aus der Küche zeigte, dass die Bestellung für den Außenbereich des Lokals fertig war.

      »Dorsch im Speckmantel. Ist das in Ordnung?«

      »Okay.«

      Die Serviererin entfernte sich.

      Sie wird neugierig, dachte er. Gut, soll sie nur.

      Als sie zurück an den großen, runden Tisch kam, an dem er saß, sagte sie leise: »Sie haben mich nach meinem Namen gefragt, ich habe ihnen den gesagt.«

      Lloyd lächelte. »Gaston, nach meinem französischen Großvater … mütterlicherseits«, sagte er. »Mein Vater wiederum stammt aus Südafrika und hieß Lloyd. Also heiße ich Gaston Lloyd. Zufrieden?«

      »Interessant, aber ihr Dialekt.«

      »Südafrika«, log er.

      »Wow«, entfuhr es der Frau anerkennend. »Sie sind ein faszinierender Mann. Und was arbeitet so ein abwechslungsreich lebender Mann?«

      »Ich bin Journalist … Freelancer. Im Augenblick arbeite ich an einer Reportage über Bootsflüchtlinge, die in Italien ankommen.«

      »Lampedusa?«

      »Die Zahl der afrikanischen Flüchtlinge, die per Boot auf der Insel anlanden, steigt und steigt«, sagte Lloyd bedeutungsvoll. Seine Worte unterstreichend hob er die Augenbrauen. »Allerdings erfüllt sich für die meisten Menschen die große Hoffnung auf ein besseres Leben nicht. Ich schreibe jetzt ein Buch darüber.«

      Als der Ton der Küchenglocke anzeigte, dass wieder ein Essen bereitstünde, sagte die Serviererin: »Es sind Ihre Linsen.«

      Wenig später war die junge Frau mit anderen Gästen beschäftigt, die nach und nach, zuerst die Plätze draußen mit dem unmittelbaren Hafenblick einnahmen, dann auch ins Lokal kamen.

      Lloyd hasste Menschen. Er fühlte sich als Menschenfeind par excellence. Hin und wieder ließ er eine Frau für einige Tage näher an sich heran. Aber es würde ihm nicht einfallen, es mit einer länger auszuhalten als zwei, drei Tage über ein Wochenende. Wenn es hochkam, waren es zwei Wochen am Stück. Doch das hatte bisher nur eine der Frauen geschafft. Als er fertig gegessen hatte, zahlte er.

      »Werden Sie wiederkommen?«, fragte sie.

      »Vielleicht, wenn sie so schön lächeln wie im Augenblick, Nele … bestimmt sogar.«

      Er ging hinaus. An den Liegeplätzen der Steganlagen des größten Hafens im deutschen Teil der Insel lag abends Boot an Boot. Einige Boote waren schon unterwegs, um das Sonnenwetter auf See zu genießen. Zwei der Schiffe machten ihre Eigner gerade fertig, um auszulaufen. Er lief auf der linksseitigen Seite des Hafens entlang. Im Fischladen, bei dem er zuvor mit dem Fernglas den Rechnungsbon gelesen hatte, bewunderte er das Angebot. Tatsächlich aber war er dabei, sämtliche Liegemöglichkeiten für Schiffe in sich aufzunehmen. Jene, die er erwartete, fanden nur an dieser Längsseite des Hafens Platz. Beruhigt ging er nach dieser Feststellung zu der angemieteten Wohnung zurück.

      2. Kapitel

      Ralswiek, 23. Juni 2007

      Die vier Männer landeten am Vortag auf dem kleinsten Flugplatz Deutschlands, in Fehmarn Neujellingsdorf.

      Drei wiesen ihre afrikanische Herkunft mittels ihrer Hautfarbe aus. Sie war unverkennbar … schwarz.

      Zwei von ihnen wurden erst am 20. Juni mit British Airways via Nairobi in London Heathrow eingeflogen. Der erst zweiundzwanzigjährige Aaron Chandu, Sohn des Gründers der Kiliwhite Ltd., Juma Chandu, jenes sagenumwobenen Multimillionärs aus Nairobi, der auf mysteriöse Weise über ein, für afrikanisch Verhältnisse, unverhältnismäßig hohes Kapital verfügte, und Taabu Zahran, ein großgewachsener, dürrer Massai, die rechte Hand des afrikanischen Moguls, der die Überseegeschicke in der Hand hielt, gleich, auf welchem Kontinent der Welt sie der Kiliwhite Ltd. angeboten wurden. Der dritte Kenianer, Yakubu Uhuru, ein 45-jähriger Internetunternehmer kam aus dem Stamm der Kikuyu. Der Mitbegründer der Kiliwhite Ltd., dessen Tätigkeitsfeld als Stationsleiter des wichtigsten Außenstandortes der Gesellschaft in London lag, unterstützte mit Internet-Ambition die Arbeit. Er kam damit den Interessen aller Beteiligten sehr entgegen.

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