George Tenner

Der Tod zwischen den Inseln


Скачать книгу

sich wegräumen ließe.«

      »Wie, Bwana?«

      »Du könntest in Nairobi arbeiten.«

      »Ich habe hier Familien, die ich ernähren muss. Und in Nairobi gibt es für einen Massai keine Arbeit«, widersprach Taabu Zarahn.

      »Für einen klugen Massai schon«, sagte Juma Chandu. »Ich hätte jemanden, der würde dir Arbeit geben.«

      »Der würde einen Massai gebrauchen können? Als was?«

      »Ich denke, während der Probezeit als sein Boy.«

      Taabu Zarahn wandte sich ab. »Ein Boy, der in Nairobi arbeitet, kann keine zwei Familien ernähren. Und ein Massai ist ein stolzer Mann, der niemals als ein Boy arbeiten wird. Ein stolzer Mann ist ein freier Mann, der einem Löwen mit einem Speer gegenübersteht, ohne Angst zu haben.«

      »Der aber Angst hat, als ein Butler unter Beweis zu stellen, dass er so intelligent ist, dass er schnell vom Butler zu einem hochgestellten Mitarbeiter aufsteigen könnte«, sagte Juma Chandu leise. »Außerdem würde dieser Mann dich für eine ganze Woche mit nach London nehmen. Vielleicht schon im nächsten Monat.«

      »Im nächsten Monat?«

      »Vorausgesetzt, du bekommst bis dahin einen Reisepass. Aber ich denke, dass der Mann, der dir Arbeit geben würde, dir dabei helfen könnte.«

      Die Aussicht, London zu sehen, ließ den Massai zögern.

      »Wer ist dieser Mann, der mir Arbeit und Geld geben würde? Wie viel Geld würde er mir geben?«

      »Er würde dir für den ersten Monat einhundert Dollar zahlen.«

      »Amerikanische Dollar?«

      »Ja.«

      Hinter der Stirn des Massai schien es zu arbeiten. »Hundert amerikanische Dollar sind 9.247,75 Keniaschillinge. Das ist viel Geld für einen Boy.«

      »Aber er würde ja auch nicht als Boy arbeiten, sondern als Butler. Im zweiten Monat würde er einhundertfünfzig amerikanische Dollar bekommen. Weißt du auch, wie viel das in Schillingen ist?«, fragte Juma Chandu.

      »13.871,63 Keniaschillinge«, sagte Taabu Zarahn nach einer kurzen Zeit. »Aber wer würde einem Massai in Nairobi so viel zahlen?«

      Juma Chandu lachte ihn an. »Ich. Und ich würde dich mit nach London nehmen.«

      »Für eine ganze Woche?«

      »Für eine ganze Woche.«

      4. Kapitel

      25. Juni 2007

      Ungeduldig saß der Mann, der sich im Veermaster als Gaston Lloyd vorgestellt hatte, an seinem Einrohr-Fernglas. Immer wieder schaute er auf seine Armbanduhr, suchte anschließend die Einfahrt des Hafens ab. Schließlich rief er die SMS auf, die am Morgen auf seinem Handy eingegangen war: Skagerrak Mélisande 25/14/15 Gruß Salamander. Das hieß für ihn nichts anderes, als dass er auf ein Boot namens Skagerrak wartete, dass für den heutigen Tag gegen 14:00 Uhr angekündigt wurde. Aber nun hatte er seit 13:30 Uhr auf die Ankunft des Bootes gewartet, und schon zeigte Uhr 40 Minuten über die Ankunftszeit an. Unruhig suchte er zum zigsten Male die Hafeneinfahrt ab. Rechts an der Pier hinter einem Zaun getrennt von den anderen Booten waren die beeindruckenden Kreuzer der Wasserschutzpolizei. Da lag ein Tonnenverleger. Vor dem Wasserschutzboot Damerow konnte er ein heftiges Treiben von der Besatzung des Schiffes feststellen. Offensichtlich waren sie dabei einige größere Behälter an Bord zu schaffen. Ansonsten war um diese Zeit nicht allzu viel Betrieb im Hafen, da die meisten Boote bei dem wundervollen Wetter unterwegs waren. Entweder segelten sie die herrliche mecklenburgische Ostküste entlang, oder sie befanden sich auf der Überfahrt nach Bornholm, Rügen, Hiddensee oder zu einem weiter entfernten Ziel.

      Als er das Glas wieder der Einfahrt zuwandte, sah er eine blaue Motorjacht mit zweigeschossigem, weißem Aufbau langsam in den Hafen einfahren. Kurz vor dem Gebäude des Hafenmeisters der Pier, auf der Seite, an dem das Restaurant Veermaster residierte, hatte das Schiff seine Fahrt so verlangsamt, sodass es fast stand. Dann wurde durch ein Bugstrahlruder das Schiff nahezu auf der Stelle gedreht, und machte kurz darauf hinter dem am Kai vor dem Fischgeschäft gelegenen schwarzen Fischkutter fest.

      Am Heck des Ankömmlings wehte die schwedische Flagge. Unterhalb der Flagge konnte er den Namen Skagerrak, darunter den Heimathafen Göteborg erkennen. Vom ersten Deck führte eine leicht gewendelte, teakholzbeschichtete Treppe auf eine Badeplattform, auf der ein Mensch aufrecht stehen konnte, ohne den Namen am Heck zu verdecken.

      Lloyd setzte das Mikrofon auf den Halter des Stativs. Er stülpte sich die Kopfhörer über und justierte das Richtmikrofon genau auf die Mittelkabine der Skagerrak. Deutlich konnte er die Stimmen von drei Männern unterscheiden. Sie sprachen schwedisch, und diese Sprache beherrschte Gaston Lloyd nicht.

      Ungeduldig langte er nach einer Tafel weißer Schokolade, die auf dem Couchtisch lag. Er brach ein Stück davon ab, schob es in den Mund. Er setzte die Kopfhörer ab, eilte in die Küche und nahm aus einer Tüte eine Handvoll Rosinen. Er ging zurück zum Richtmikrofon. Nach und nach beschickte er seinen Mund mit je einem Stück weißer Schokolade und ergänzte diesen wundervollen Geschmack mit einigen Rosinen. Zucker ist zwar nicht gesund, aber für mich ist das Nervennahrung. Obwohl seine Geduld sehr strapaziert wurde, stand er nur einmal noch auf, um etwas zu trinken zu holen. Die Süßigkeiten hatten Durst ausgelöst.

      Kurz nach siebzehn Uhr konnte er den weißen Motorsegler ausmachen, der sich im Gefolge von zwei anderen Booten an den Schiffen der Wasserschutzpolizei vorbei schob. Er verglich seinen Eindruck von dem Schiff mit dem Bild, dass er auf seinem Smartphone deponiert hatte. Freilich zeigte das ein Schiff, das am Kopf einer Pier lag, und zeigte im Hintergrund andere Boote unterschiedlicher Größe. Aber deutlich konnte er im Bild die beiden Masten und die weiße Farbe des Motorseglers ausmachen.

      Gerade war man dort dabei, die Segel zu bergen. Das Großsegel hatte man offensichtlich schon heruntergeholt, und nun sah er, wie das Focksegel vom Mast heruntergezogen und eingerollt wurde. Zwei Männer mit schwarzer Hautfarbe waren damit beschäftigt, die Fock zu bergen. Das Gesicht des Mannes, der auf dem hinteren Steuerstand das Boot mittels Ruder und Bugstrahlruder im Hafen dirigierte, war eindeutig weiß.

      Lloyd wusste nun, dass das Treffen, dem er so entgegenfieberte, gerade im Begriff war, stattzufinden.

      Wie zuvor auch die Skagerrak, so drehte der weiße Motorsegler mit dem Namen Venus etwa fünfzehn Meter vor dem Ende des Hafenbeckens mithilfe des Bugstrahlrohrs. Deutlich konnte Lloyd den Wasserschub am Bug des Schiffes erkennen, das für die Drehung des Bootes sorgte. Die Venus machte an der Steuerbordseite der Skagerrak fest. Der Bug beider Schiffe zeigte nun in Richtung Ostsee.

      Jetzt wird‘s interessant. Lloyd verband das Richtmikrofon mit einem digitalen Aufzeichnungsgerät. Er war gerade damit fertig und hatte es auf Aufnahme gedrückt, da hörte eine Stimme fragen:

      »Mélisande?«

      »Limas?« Lloyd ordnete die Stimme der Skagerrak zu.

      »Workers of all lands unite.« Das schien die Stimme eines der Männer von dem Motorsegler zu sein, der gerade angekommen war.

      »Die Lehre von Karl Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist.«

      Was ist das für eine sonderbare Begrüßung? Lloyd war klar, dass sie einen Code vereinbart hatten, um auszuschließen, dass sie auf einen feindlichen Agenten hereinfallen würden.

      »Sagte William Turner.«

      »Turner?« Lloyd erkannte eine Stimme von der Skagerrak. »War es nicht Bob Marley?«

      »Es war ein Russe …«

      »Lenin.«

      Lloyd hörte ein gekünsteltes Hüsteln, dann die Stimme: »Okay, Sie sind Eriksson.«

      Eriksson? Åke Eriksson? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Agent des zivilen Nachrichtendiensts Schwedens Säkerhetspolisen sich mit vollem Namen vorstellt. Aber es ist wohl so. Die Sicherheitspolizei untersteht