Levi Krongold

Die merkwürdigen Erlebnisse des Astronauten Ribor Raskovnik bei seiner Rundreise durchs Weltall


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ich richtig sehe, ist dort neben der Tür ein Schriftzug eingraviert.

      Warte mal, warte mal, ist sehr undeutlich, krakelig, wie mit einem Nagel eingeritzt. Wenn ich es recht lesen kann steht dort: «Ich will hier raus!«

      Merkwürdig.- ich muss mich besinnen, besinnen. Eine Lösung muss gefunden werden, mir ist, als hätte ich diese sozusagen schon in mir, ich müsse sie nur wieder erinnern.

      Also weiter, weiter. Ach ja, die Küche...

      Kurz, die Fundsachen führten zur ersten warmen Mahlzeit. Nachdem die Reflektorschüssel umgekehrt auf dem Atomofen platziert war, konnte ich in Ruhe ein Stück, welches ich aus dem Bein der Mondkuh herausgeschnitten hatte, weich kochen und es hatte, vielleicht durch die lange Lagerzeit, vielleicht durch die Weltraumkälte oder wegen meines großen Appetits einen vorzüglichen Geschmack, machte nur etwas durstig.

      Daher wagte ich einen etwas längeren Ausflug das Seil entlang, welches einige Kilometer hinausragte, und fand zu meiner großen Freude tatsächlich ein nicht unbeträchtliches Stück Kometenschweif, welches aus rein kristallinem Wasser war. Somit war vorerst mein Überleben gesichert und meine Stimmung stieg beträchtlich.

      Ich verbrachte die nächsten Standartstunden damit, die Rakete auszubessern und auf einen ruhigeren Kurs zu bringen, der weniger Übelkeit erzeugen würde.

      Das stellte sich als gar nicht so einfach heraus, denn das Seil am Ende der Rakete taumelte in einer Wellenbewegung hinter der Rakete her und zog deren Ende jeweils in einer Schwingung mit sich.

      Mir blieb nichts anderes übrig, als nochmals hinaus zu klettern und nach geeigneten Gegenständen zu suchen, die mir behilflich sein könnten, fand allerdings nur einen Dosenöffner und einen Raum-Zeit-Kreisel, der jedoch leicht beschädigt war. Dennoch, irgend einem inneren Impuls gehorchend nahm ich beides mit in die Rakete und verstaute sie erst einmal unter dem Bett.

      Kaum war die erste Hürde im Kampf ums Überleben genommen und die Aussicht zumindest mehrere Standarttage zu überleben gestiegen, so zeigte sich ein weiterer, größerer und weitaus schrecklicherer Feind, eine immaterielle Chimere, die Langeweile.

      Nicht wenige Raumfahrer sind ihr erlegen. Man nennt sie auch kurz: DIE Krankheit, meint jedoch genauer die »Somnolentia stupentia monotona«, wie sie in Fachkreisen heißt, die 'bohrende Langeweile'.

      Grund dafür ist, wie jeder ausreichend Belernte weiß, die Tatsache, dass der Weltraum vor allem leer ist.

      Gerne schaut man beim Vorbeifliegen einmal auf eine Spiralgalaxie oder lässt sich von den fantastischen Leuchtbildern eines Sternennebels inspirieren, winkt einer vorbeifliegenden Rakete zu oder ergötzt sich an den wilden Farben einer Supernova. Dazwischen jedoch ist man vor allem Tage, Monate und jahrelangem ödem Nichts ausgesetzt.

      Es ist schon vorgekommen, dass die Besatzung einer Rakete nach langem, ereignislosem Flug beim plötzlichen Anblick einer explodierenden Galaxie alle zusammen zum selben Fenster eilten, um sich dies Ereignis anzuschauen und die Rakete dadurch ein derartiges Übergewicht nach einer Seite bekommen hat, so dass sie aus der Bahn geriet und unkontrollierbar ins Trudeln geriet und das Ziel verfehlte.

      Dieser Gedanke brachte mich auf eine Idee!

      Wenn ich mich beim Schlingern der Rakete jeweils zur entgegengesetzten Seite abstieß, so musste ich langfristig dem Impuls einen Gegenimpuls entgegenbringen, wodurch sich die Schwingung vielleicht etwas verringern ließ.

      Das erwies sich nun in dreifacher Hinsicht als ein löblicher Einfall. Erstens beseitigte er für längere Zeit meine Langeweile, weil ich nun damit beschäftigt war, mich im richtigen Moment von der Innenwand der Rakete zur Gegenseite abzudrücken, dort angekommen den Moment der Gegenbewegung abzuwarten und mich wiederum zurück zu stoßen, was in der Schwerelosigkeit kein sonderliches Problem darstellt, zumindest, wenn man acht gibt, sich nicht den Kopf zu stoßen wenn man ankommt. Und zweitens verringerte es tatsächlich mit der Zeit die Schlingerbewegung beträchtlich, ja schließlich kann ich sogar sagen, dass die Rakete einen gemächlichen, leicht wiegenden Kurs annahm, was ungefähr der ruhigen Schaukelbewegung einer Babywiege entsprach und mich auch gefühlsmäßig sehr beruhigte und letztlich, weil, wie ich mit großer Freude feststellte, Kreislauf und Muskulatur in Hochform gebracht wurden. Leider steigerte es den Appetit derart, dass er meine Vorräte an Mondkuhbein beträchtlich schrumpfen ließ.

      Kurzum, nach wenigen Wochen war ich körperlich und geistig in Hochform.

      Ich fuhr sogar mit dieser Übung fort, nachdem sie eigentlich gar nicht mehr nötig gewesen wäre, nur dass ich jetzt darauf achten musste, die Heckausschläge der Rakete gleichmäßig zu halten, um nicht zu einer neuerlichen Verschlechterung der Situation beizutragen.

      Es stellte sich sogar so etwas wie eine Euphorie ein, die lediglich durch die jähe Erkenntnis gedämpft wurde, dass, auch durch meine erhöhte körperliche Aktivität, der Sauerstoffverbrauch in der Rakete drastisch zugenommen hatte und die Vorräte vorzeitig zu Ende zu gehen drohten.

      Hier überkam mich wieder ein finsterer Groll und eine herbe Enttäuschung bei der Erkenntnis, dass die vorgehaltenen Sauerstoffvorräte ohnehin durch den Konzern so knapp gehalten worden waren, dass der Verdacht in mir aufkeimte, meine ganze gewonnene Reise sei nichts anderes als ein übler Scherz gewesen und in Wirklichkeit als ein Experiment ohne Wiederkehr geplant worden.

      Immer wieder war ich auch gezwungen, lose gewordene Schrauben und Nieten in der Vertäfelung des Innenraumes der Rakete zu befestigen, die offenbar mehr als schlampig angebracht worden waren.

      Dies brachte mich langsam in einen Zustand tiefer Depression und ich begann an Schlaflosigkeit und Grübelneigung zu leiden.

      So spekulierte ich völlig sinnlos über das Wesen der Zeit.

      Wir hatten ja das merkwürdige Verhalten der Zeit im Weltraum reichlich im Fach »Zeitgeschichte« unterrichtet bekommen.

      Waren über den Irrtum aufgeklärt worden, den frühere Wissenschaftler aufgrund der Irrlehren eines Philosophen und Physikers namens Einstein aufgesessen waren, die Zeit und der Raum seien in sich verschränkte Dimensionen und noch absurder, das Licht bewege sich immer mit einer maximalen Geschwindigkeit von 300.000 km /sec. (Standardzeit), gleich in welcher Richtung und so weiter und so fort. Nun später wurden derart defätistische Gedanken als Volks - und Raumverdummung unter Strafe gestellt.

      Einige ganz Unbelernbare wurden sogar einer strengen Desensibilisierungsbehandlung unterzogen, indem sie ganze Normalmonate in einem leeren Raum gesperrt wurden, in dem nichts weiter als ein Stein vorhanden war, den sie betrachten mussten.

      Aber das waren Ausnahmen, die ausgeklügelte Cerebralarchitektur ließ derartige Aberrationen zum Glück meist nicht zu.

      Dabei weiß doch nun jeder, dass nicht das Licht sich bewegt, sondern die Zeit.

      Genaugenommen ist das Licht stets und überall zugleich, sofern es einmal leuchtet.

      Anders ausgedrückt, wenn ich aus dem Fenster meiner Rakete mit der Taschenlampe leuchten würde, so ist dieses Licht im selben Moment am hintersten Punkt des Weltraumhorizonts existent und nur die Tatsache, dass die Zeit sich in einer torsionsschraubenartigen Bewegung (Torsions-hyperbolit) befindet lässt den Eindruck entstehen, dass das Licht Zeit benötige, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

      Anders ausgedrückt, der Moment, in dem ich mit der Taschenlampe aus dem Fenster winke ist bereits die Vergangenheit für den nächsten Moment. Das Licht kommt also in der Zukunft an und dies umso später, je größer die Torsionsrotation der Zeit ist. Die wiederum ist um so größer, je weiter die Lichtquelle vom Empfänger entfernt ist und je näher sich dieser am Zeithorizont befindet.

      Ich stelle mir die Zeit immer wie die Oberfläche eines Donuts vor. (Das ist die Form wie Gurken wachsen). Die krümmt sich in sich selbst, um an der Rückseite in umgekehrter Richtung wieder auf sich selbst zu treffen, worauf das Spiel aufs Neue beginnt, so dass sich mehrere umgekehrte Zeitebenen wie ein Sandwich überlagern, ohne dass die sich in der einen Ebene Befindlichen die der umgekehrten wahrnehmen können, weil diese ja in der vergangenen Zukunft sind und die ersteren in der zukünftigen Vergangenheit.