Isabel Tahiri

Dorran


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und verabschiedeten sich im Morgengrauen des nächsten Tages von Gertrude und ihrer Mutter. Dann fuhren sie los, natürlich wieder in den Norden.

      Wieder Daheim

      Als sie nach fast zweijähriger Abwesenheit wieder in Kirchberg eintrafen, war Melissa schwanger. Dorran und Simone beschlossen daraufhin, das Haus wieder aufzubauen, jetzt war Juli, wenn jeder mithalf, hatten sie ein festes Winterquartier. Melissas Baby wurde im Dezember erwartet, das würde also passen. Man hatte die Wagenburg bereits um einen Wagen erweitert, während der Reise, die neue Formation hatte sich bewährt. Zwei Wagen standen sich gegenüber und der Dritte füllte die Lücke an der Windseite, es sah aus wie ein großes U. Die andere Seite war damit aus dem Wind und bildete den Eingang, der mit Planen verhängt wurde. Hier, an ihrem alten Zuhause, wurden sie zusätzlich noch vom dichten Wald geschützt, es war richtig heimelig.

      Wilbur, Daniel und Dorran waren allesamt fleißige Arbeiter, und die Frauen halfen tatkräftig mit. Außer Melissa natürlich, diese wurde für die Verpflegung zuständig, niemand wollte dem ungeborenen Kind Schaden zufügen. Man freute sich wieder hier zu sein, die Hunde jedenfalls waren vom ersten Tag an wie ausgewechselt, sie schienen ihr altes Revier wiedererkannt zu haben und stromerten den ganzen Tag herum. Geld hatten sie genug verdient und Glück obendrein. Der gemauerte Kaminofen stand noch, den mussten sie nur reinigen und ein neues Ofenrohr anbringen. So bauten sie das Haus quasi um den Ofen herum. Sie benötigten jetzt ein paar Zimmer mehr, Wilbur und Melissa brauchten ein eigenes Schlafzimmer mit einem kleinen angrenzenden Raum für das Baby. Am Ende hatte das neue Haus zwei Etagen, Dorran war sehr zufrieden damit. Ende September konnten sie einziehen, es sah natürlich anders aus als früher, aber sie hatten sich auch geändert in den fast zwei Jahren, in denen sie fort gewesen waren.

      An Weihnachten, Melissa war hochschwanger und das Kind wurde stündlich erwartet, gab es wieder eine Gans. Alle schwelgten in Erinnerungen, und es wurde ein schöner Abend. Man lag schon im Bett, als bei Melissa die Wehen einsetzten, es ging rasend schnell, keine zwei Stunden später gebar sie eine gesunde Tochter. Wilbur hatte Tränen in den Augen, als er seine Tochter das erste Mal in den Arm nahm, sie kam ihm unglaublich winzig vor.

      Sie nannten sie Christine, weil sie an Weihnachten das Licht der Welt erblickt hatte und im Januar war die Taufe. Christine Simone Wagner, so wurde sie getauft, was bei Simone eine Menge Freudentränen hervorrief. Melissa umarmte sie. „Du warst mir immer eine Mutter, meine eigene ist so früh gestorben. Ich bin so froh, dass Du in unser Leben gekommen bist. Es ist mir ein Bedürfnis.“ Simone freute sich über Melissas Worte, liebte sie doch alle diese Kinder sehr. Aus irgendeinem Grund war sie nie mit eigenen Kindern gesegnet und hatte stattdessen ihre Mutterliebe über Melissa und ihren Geschwistern ausgebreitet.

      Sie hatten in aller Eile auch eine Scheune für die Pferde und die Ziege gebaut, in die die Hunde jetzt verbannt wurden. Aber nur ganz genau einen Tag, dann fragte Melissa nach ihnen, sie wolle den Hunden ihre Tochter vorstellen, damit sie sich an deren Geruch gewöhnen. Bella und besonders ihre Lieblinge, die Hunde waren überglücklich wieder vereint zu sein. Danach war alles beim Alten. Die Hunde bewachten das Baby und den ganzen Tag kamen die einzelnen Familienmitglieder vorbei und das Mädchen auf den Arm zu nehmen oder ihr über das Köpfchen zu streichen. Die kleine Christine hatte viele Arme, die sie umfingen, sie wuchs und gedieh.

      Im nächsten Frühjahr bauten sie eine Schmiede, Hammer und Amboss hatte Wilbur die ganze Zeit mitgeschleppt, der Rest war nicht mehr so teuer. Melissa begann wieder mit dem Malen, wenngleich sie noch keine Aufträge erhalten hatte. Beide würden bleiben, auch wenn die Familie sich entschließen sollte, weiter zu ziehen. Zumindest bis Christine ein paar Jahre alt war. Aber niemand hatte im Moment die Absicht zu gehen, sie richteten sich ihr Leben in Kirchberg wieder ein, konnten sogar zum Teil wieder ihre alten Arbeitsstellen erhalten. Daniel zum Beispiel wurde vom Schwanenwirt mit offenen Armen empfangen und der zahlte anstandslos fünfundzwanzig Wertsteine die Woche. Simone konnte nicht wieder unterrichten, es wohnte inzwischen eine neue Lehrerin in der Schule, aber sie gab sporadisch Privatstunden.

      Diana, jetzt fast siebzehn, machte ihr Talent für Handarbeiten zum Beruf. Erst fragte sie überall nach Arbeit herum, aber nach einer Weile kamen die Leute aus Kirchberg von selbst. Sie lieferte nur hochwertige Strickwaren, Spitzen oder Kittel ab. Das sprach sich herum. Aber der Publikumsverkehr machte auch eine Menge Dreck und Wirbel, außerdem war überall Wolle oder Stoff im Haus verteilt. Im August nahmen sie deshalb ihre Bautätigkeit wieder auf und bauten eine Hütte aus Baumstämmen mit zwei Räumen. Sie mauerten einen Ofen und Diana zog mit ihren Erzeugnissen dort ein. Im Hinterzimmer schlief sie und vorne arbeitete sie. Die Leute aus Kirchberg hatten nun eine andere Anlaufstelle und im Haus wurde es wieder ruhiger.

      Die Schmiede brachte schnell Geld ein, da Wilbur nicht nur Hufeisen herstellte. Er fertigte ein paar ausgesprochen schöne Gartentore an und stellte sie als Blickfang aus. Die Leute rissen sie ihm förmlich aus den Händen. Jeder wollte so ein wunderbares schmiedeeisernes Gartentor besitzen. Der Büttel bestellte sogar Gitter für die Fenster seines Hauses. Sie bauten einen Raum an die Schmiede an und Wilbur fertigte auch andere Dinge an. Blätter für den Pflug zum Beispiel, oder Schaufelblätter, die Dorran mit einem Stiel versah. Der Laden der Schmiede war gut besucht, kaum einer ging, ohne etwas gekauft zu haben. Wer immer Zeit hatte, betreute das Geschäft, aber Simone hatte überraschenderweise das größte Talent für den Verkauf. Es war ihre Art, Hilfe anzubieten ohne aufdringlich zu sein, die ihr wohl zum Erfolg verhalf. Wilbur bezahlte ihr eine Provision am Verkauf. Zusammen mit den Nachhilfestunden kam sie wieder auf ein ordentliches Gehalt.

      Dorran ging viel auf die Jagd und trug so dazu bei, den Speiseplan abwechslungsreich zu gestalten. Er bebaute ein Feld mit Mais und kümmerte sich um den Gemüsegarten. Geld verdiente er damit keines, aber ein Teil von Dianas und Wilburs Einnahmen flossen in den Familientopf. Man war es einfach gewohnt, sein Geld mit der Familie zu teilen und keiner zweifelte an der Richtigkeit dessen. Auch Melissa und Simone legten einen Teil ihres Verdienstes auf diese Weise zurück. Das Geld wurde immer für irgendwelche Projekte benutzt, sie bauten einen ordentlichen Stall, kauften ein neumodisches Sofa für ihre gute Stube oder Steingut für die Vorratshaltung. Wie auch immer, es kam allen zugute. Sie rodeten ein Stück Wald und bauten Pferche, für die Pferde eine Weide, auf der auch die Ziege sich wohlfühlte.

      Daniel half täglich ein, zwei Stunden mit, sowie er aus Kirchberg zurück war, machte er sich nützlich. Er hatte sich in Helene verliebt, aber es war nichts offizielles. Beide waren erst siebzehn und hielten das vor ihren Familien noch geheim. Für Daniel stand dennoch fest, das die burschikose und wunderschöne Helene, eines Tages seine Frau würde. Er war sich ganz sicher.

      Der Schwanenwirt lobte ihn immer in den höchsten Tönen und hätte gewiss nicht gegen Daniel als Schwiegersohn. Seit der junge Mann seine Bücher führte, zahlte er viel weniger Steuern und auch beim Einkauf wurde er nicht mehr übers Ohr gehauen. Sogar Daniels Gehalt hatte er freiwillig erhöht von fünfundzwanzig auf achtundzwanzig Wertsteine die Woche.

      Einzig Bella zeigte außer den Umgang mit Tieren, kein Talent, dass man zu Geld machen könnte. Was aber nicht schlimm war, sie kümmerte sich um alle Pferde, molk die Ziege und versorgte die Hunde. Das war eine Erleichterung für Simone, die mit Kochen, Verkaufen und Privatunterricht ordentlich eingespannt war. Auch Melissa war froh, sie hatte es nicht so mit den Pferden und melken wollte sie schon gar nicht. Sie kümmerte sich liebevoll um ihre Tochter und malte Landschaften und Portraits. Mehr wollte sie auch gar nicht. Aber dann entdeckte Bella doch noch ein Talent, sie versuchte sich in der Käseherstellung. Zuerst waren die kleinen Käselaibe zu locker und zerfielen oder sie schimmelten, weil sie zu feucht waren. Am Anfang hatte sie keinen Erfolg damit. Sie machte den Käse nur aus einem Gefühl heraus, ohne eine Ahnung zu haben, wie man das anstellte. Typisch Bella eigentlich, wenn ihr ein Gedanke kam, versuchte sie ihn sogleich umzusetzen. Außerdem hatte sie nie soviel Milch für Experimente zur Verfügung, wie sie gerne gehabt hätte, Christine brauchte schließlich auch welche.

      Aber dann traf sie in Kirchberg die alte Liese, die ihre Ziegenherde verkaufen wollte, und mit dieser Herde erwarb