Isabel Tahiri

Dorran


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könne einkaufen gehen, allein, und nach einer Liste, in Meerstadt. Für jede Fahrt würde er fünf Wertsteine erhalten, oder auch mehr, je nachdem, wie sparsam er eingekauft hatte. In Meerstadt hatten sie zwar nichts gegen das fahrende Volk, aber sie versuchten diese dennoch auszunehmen. Da es schwierig war, woanders solche Mengen an Lebensmittel zu kaufen, hatte man es sich zähneknirschend gefallen lassen müssen. Das war eine gute Nachricht für Dorran, er und Simone würden also beide ein bisschen Geld verdienen können und in freundlicher Gesellschaft den Winter verbringen. Wenn sie Ausgaben beschränkten, konnte man sogar noch etwas sparen.

      Zwei Tage später hatte Dorran das erste Mal den Auftrag in die Stadt zu fahren, er bekam einen offenen Wagen mit einem Pferd. Er saß auf dem Bock und wartete bis jeder seine Bestellung abgegeben hatte, die er wieder auf das, inzwischen halb beschriebene, Blatt notierte. Es waren hauptsächlich Kartoffeln und Bohnen, einer wollte zwei Hühner. Er bekam fünfundzwanzig Wertsteine in die Hand gedrückt und fuhr dann los in die große Stadt.

      Meerstadt war eine wirklich große und laute Hafenstadt voller Menschen. Die Häuser waren hoch und standen dicht beieinander, erst fand Dorran sich gar nicht zurecht. Er fuhr kreuz und quer durch die Stadt und landete am Ende im Hafengebiet. Dort in einem Lager boten sie Bohnen an, zehn Zentner für einen Wertstein, das war geschenkt, deshalb ließ er sich die Bohnen vorher zeigen. Der Händler schwärmte direkt. „Das sind Bohnen aus der neuen Welt, sie heißen Mondbohnen, sie werden dort nach der Ernte getrocknet, und wir kaufen sie ihnen ab. Eine ganze Schiffsladung kostet uns so gut wie gar nichts, deshalb der günstige Preis. Saubohnen habe ich auch, aber die sind teurer.“ Dorran ließ sich noch die Zubereitung erklären und nahm sie, damit war sein Wagen fast voll. Sollte er die Kartoffeln ein andermal besorgen? Ja, er würde gleich morgen noch einmal herkommen. Er fragte den Händler noch nach Kartoffeln aus und der schickte ihn zwei Lagerhäuser weiter. Aber hier war es wesentlich teurer, er sah deshalb von einem Kauf ab und fuhr wieder zurück ins Winterlager. Dort staunte man nicht schlecht über die neuartigen Bohnen, vor allem über den Preis, es nahm ihm also keiner übel, dass er nur mit Bohnen zurückgekommen war. Dorran erklärte Alfonso noch die Zubereitung, abends einweichen, und morgens kochen bis die Bohnen weich sind, dann konnte man Gemüse, Fisch oder Fleisch hineinwerfen und hatte einen Eintopf. Ein bisschen Salz könnte auch nicht schaden. Aber da Dorran schon ein paarmal das interessant und schmackhaft gewürzte Essen der Frauen hier probiert hatte, glaubte er auch, diese würden gut zurechtkommen.

      Als er in ihr eigenes Zelt kam, saßen überall Kinder auf dem Teppich herum, ohne Schuhe versteht sich. Simone brachte ihnen das Alphabet bei. Findig wie sie war, hatte sie den Teppich etwas aufgerollt und schrieb die Buchstaben mit einem Stöckchen auf die Erde. Alle Kinder saßen mit offenem Mund da, fasziniert von dem, was Simone da tat. Er setzte sich in eine Ecke, und schaute eine Weile zu. Simone forderte alle Kinder auf, es ihr nachzumachen und den Namen des Buchstabens dabei zu wiederholen. Das ließ sie die Kinder so lange machen, bis jedes davon es auch konnte. Sie machte das gut, seine Simone, aber das hatte er eigentlich gewusst, sie war eine gute Lehrerin.

      Dann wartete er bis der Unterricht zu Ende war, um Simone von Meerstadt zu erzählen. Dorran berichtete ihr von der Hafenstadt, die wesentlich größer als Mittelstadt war. Hohe Häuser, an jedem offenen Platz war ein anderer Markt. Er hatte fünf gezählt, ein Fleischmarkt, einer für Obst und Gemüse, einer hatte ganz verschiedene Waren angeboten, in der Nähe des Hafens war der Viehmarkt und auf dem Rückweg hatte er noch einen mit Stoffen und Kleider gesehen. Er erzählte Simone von den exotischen Bohnen aus der neuen Welt, sie sahen eigentlich von der Form her wie Saubohnen aus, nur die Farbe war anders, nämlich lila gesprenkelt. Leider könne er sie nicht vorzeigen, für sie selbst hatte er gar keine gekauft. Aber als er nach draußen kam, stand ein ganzer Sack davon in seinem Eingang. Er hatte es eben gerade noch bedauert, keine für Simone zum Anschauen zu haben, aber jetzt konnte sie sogar gleich ein paar einweichen für Morgen. Beide waren auf den Geschmack gespannt, obwohl Simone vermutete, dass er sich nicht sehr stark von dem der Saubohnen unterschied.

      Am nächsten Tag fuhr er gleich morgens wieder in Richtung Stadt, sah aber auf dem Weg dorthin, etwas abseits, einen Bauernhof. Dorran überkam das seltsame Gefühl, unbedingt dort hin zu müssen, konnte es sich aber nicht erklären. Er überlegte, ob er seinem Gefühl folgen sollte, in Wolkenstein war das zwar nicht gut ausgegangen, aber hier kannte ihn ja niemand.

      Ein kleiner Abstecher dürfte also hoffentlich keine schlimmen Folgen nach sich ziehen.

      Er könnte sich vielleicht nach dem Kartoffelpreis erkundigen, fragen kostet nichts, und er hätte einen Vorwand. Er hielt also darauf zu und sah schon von weitem eine Menge Arbeiter auf den Kartoffelfeldern. Hier im Süden ernteten sie noch, in Bergland war die Saison schon um. Das mildere Klima erlaubte offensichtlich zwei Ernten, zuhause wäre das undenkbar. Von Oktober bis März war es zu kalt für den Feldbau.

      Auf dem Hof selbst war nur eine alte Frau, die die Preise nicht kannte, aber einen der Jungen zum Bauern schickte. Während er wartete brachte sie ihm Tee, setzte sich zu ihm auf die Veranda und sie kamen ins Gespräch. Er erzählte ein bisschen von der Reise und dass er aus Bergland stammte, ohne seine Verbannung allerdings zu erwähnen. Sie schaute ihn die ganze Zeit forschend an, so, als kenne sie ihn. Dorran lächelte die alte Frau an. „Und? Woher kommen Sie? Leben sie schon immer hier?

      Sie seufzte. „Wo soll ich da anfangen, ich stamme auch aus Bergland. In der Nähe der Grenze bin ich geboren und auch aufgewachsen. Als ich hierher kam, war ich noch sehr jung und hübsch anzusehen, nicht so verhutzelt wie heute.“ Sie lachte ein zahnloses Lachen, schaute ihn ein weiteres Mal prüfend an und fuhr fort. „Ihr erinnert mich an meinen Mann, er war auch hochgewachsen und blond, wobei, das muss ich euch sagen, es haben sich bei euch schon ein paar graue Haare eingeschlichen. Gut, dass man das bei blondem Haar nicht so sieht.“ Sie grinste. „Wir liefen damals sehr verliebt von zu Hause fort, sein Vater war gegen unsere Verbindung. Wir wollten in den Norden. In den Bergen bekam ich überraschend unser Kind, ich war jung, hatte mich wohl verrechnet. Es musste versorgt werden, aber vor lauter Aufregung und Erschöpfung hatte ich keine Milch. Ich konnte einfach nicht mehr weiterlaufen, direkt nach der Geburt sowieso nicht. Da nahm mein Mann das Kind und machte sich auf die Suche nach einer Amme, mich ließ er schweren Herzens im Wald, er glaubte, ich sei sicher. Ich wäre damals auch wirklich zu schwach gewesen mit ihm zu gehen, also blieb ich in meiner Mulde im Wald liegen und wartete auf die Rückkehr meines Mannes und dem Baby. Aber sicher war ich leider nicht, Menschenhändler fanden mich und brachten mich fort, ich sah Michael und unser Kind nie wieder. Ich weiß gar nicht, warum ich euch das erzähle, ich spreche sonst nie über mich, verzeiht, aber ihr habt mich so an meinen Michael erinnert.“

      Dorran stockte der Atem, das deckte sich mit der Geschichte, die er vom Pfarrer in Wolkenstein gehört hatte, sollte er es wagen? „War euer Name einst Maria? Maria Schuster?“

      Sie starrte ihn mit großen Augen an und wurde bleich wie die Wand. „Woher?...“

      Er lächelte sie an. „Ich bin euer Sohn, es ist eine lange Geschichte, aber es stimmt.“

      Sie stand auf und kam zu Dorran herüber. Maria berührte sein Gesicht, ganz zart und vorsichtig. Sie nickte wissend. „Ja, es stimmt, ich fühle es, der Herr hat meinen größten Wunsch erfüllt. Wie heißt Du eigentlich, mein Sohn?“

      Mit allem hatte Dorran gerechnet, aber nicht, dass er je seine Mutter finden würde. Jetzt erzählten sie sich alles, was in ihrer beider Leben passiert war. Er berichtete ihr von Simone und den Kindern, seinem Versuch herauszufinden wer er war und der Begegnung mit Hermann von Wolkenstein, der seine Verbannung veranlasst hatte. Es wurde Abend, der noch recht junge Bauer kam zurück und wunderte sich über den Fremden. Als Maria ihn aufklärte, nahm er sie in den Arm und freute sich mit ihr. Sie erklärte ihrem Sohn. „Das ist mein Enkel, dein Halbneffe sozusagen. Sein Vater ist mein Sohn aus der Ehe mit meinem Retter. Sein Großvater war ein feiner Mann und hat mich den Sklavenhändlern abgekauft und freigelassen. Nach Jahren, als ich die Hoffnung endgültig aufgeben musste, Deinen Vater je wiederzusehen, gab ich ihm dann mein Jawort. Leider ist er schon vor Jahren gestorben.“ Sie bekam einen leicht abwesenden Blick, man hatte den Eindruck, sie horchte in sich hinein.

      Sein Neffe,