Isabel Tahiri

Dorran


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Das war zwar üblich, aber je nach dem, wer es ausführen würde, konnten auch Stirn oder Wange das Ziel des heißen Eisens sein. Er hoffte auf seine Hand, wenigstens könnte er dann sehen, was sie machen und die Wunde besser versorgen. Und diesmal hatte er wieder ein bisschen Glück, Hermann war nicht anwesend und der Soldat, der mit der Ausführung betraut wurde, machte seine Sache halbherzig. Er drückte das Eisen nur ganz kurz auf seine Hand, es schmerzte, aber es würde gut verheilen. Dann drückte er einen Lappen darauf, der, er roch es deutlich, mit Honig getränkt war. Jemand hatte ihm geholfen. Er schaute sich um, konnte die alte Frau aber nirgends sehen, auch sonst niemanden, den er kannte. Dann befahl man ihm mitzukommen. Dorran trottete hinter dem Soldaten her und machte keinerlei Anstalten, irgendetwas zu versuchen. Er wurde nach draußen geführt, und, das konnte er kaum glauben, auf seinen eigenen Wagen gesetzt und an die Grenze eskortiert.

      Wo war Simone? Warum gab man ihm seinen eigenen Wagen? Wie ist Simone nach Hause gekommen? Diese Gedanken wirbelten verzweifelt in seinem Kopf herum, bis er etwas hinter sich hörte. „Psst, dreh Dich nicht um, ich bin hier.“ Flüsterte es aus dem Wageninneren. Simone!

      Sie war im Wagen! Er bewegte sich nicht, obwohl es ihm sehr schwerfiel. Er begann zu schwitzen und musste sich zwingen nichts zu sagen. Jetzt hoffte Dorran, dass sie die Grenze schnell erreichen würden, er musste mit Simone reden, sie umarmen.

      Bereits nach zwei Stunden war die Grenze erreicht, ein Fluss, den es zu überqueren galt. Der Fährmann wartete bereits und wurde von den Soldaten bezahlt, dann musste er mit dem Wagen auf die große Seilfähre fahren. Der Fährmann holte Seile und verband sein Gefährt mit ein paar Ringen, die im Boden eingelassen waren, so würde nichts rutschen. Dann hob er eine Flagge und die Fähre setzte sich in Bewegung. Dorran beobachtete einen Ackergaul auf der anderen Seite, der im Kreis lief und die Seilwinde antrieb. Es dauerte nicht lange, bis sie den Fluss überquert hatten, jetzt war er offiziell heimatlos. Wenigsten konnte er gleich mit Simone reden.

      Verbannung

      In Südland erwartete Dorran ein Wachsoldat. „Willkommen in Südland. Gültige Währung sind Wertsteine, aber Gold wird auch gern genommen. Wer stiehlt verliert eine Hand und wer tötet das Leben. Du kannst Dich überall niederlassen, solange Du niemandem etwas streitig machst. Such Dir ein einsames Plätzchen und baue Dir ein Haus. Wir haben nichts gegen euch Bergländer, verhaltet euch anständig und alles ist in Ordnung.“ Dorran bedankte sich und fuhr ein Stück vom Fluss weg.

      Simone kroch aus dem Verschlag und umarmte ihn fest. „Tut es sehr weh, ich habe den Soldaten bestochen. Eine alte Frau war bei mir im Wald und hat mir erzählt, was sie mit den Verbannten tun, sie brandmarken. Ich war entsetzt, dass sie Dir so etwas antun würden. Die Alte meinte, für einen Wertstein würde der Soldat das Eisen nur ganz leicht aufdrücken und einen mit Honig getränkten Lappen auflegen. Hat er das getan?“ Sie sah ihn prüfend an.

      Dorran nickte. „Danke, Simone, aber was machst Du hier? Du solltest bei den Kindern sein.“

      Sie schaute ihn liebevoll an. „Den Kindern geht es gut, sie sind erwachsen. Ich habe ihnen einen Brief geschrieben, sie werden es verstehen, aber ich konnte Dich doch nicht allein gehen lassen. Nein, das hätte ich nicht fertiggebracht.“ Er lächelte sie dankbar an und drückte sie noch einmal fest an sich.

      „Was jetzt?“ Simone und Dorran beratschlagten und überlegten, was am Besten wäre. Letztendlich beschlossen sie das Land zu durchfahren, das Meer anzuschauen, und dann wieder an die Grenze zu Bergland zurückzukommen. Allerdings nicht hier im Südosten, sondern eher an die westliche Grenze, in der Nähe von Waal. Weit weg von Wolkenstein. Bevor sie wieder zurück konnten, mussten sie mindestens drei Jahre, oder sogar noch mehr, hier in Südland bleiben. Auch Waldland wäre eine Option, aber sie kannten sich nirgends aus, Südland war wenigstens an der Küste dicht besiedelt. Außerdem musste das Brandmal verblassen oder mit ein bisschen Glück auch ganz verschwinden. Und noch viel wichtiger, Hermann von Wolkenstein sollte Dorran vergessen haben.

      Damit begann für Simone und Dorran eine lange Reise, die sie hoffentlich am Ende wieder nach Hause führen würde. Sie fuhren erst einmal einfach den Fluss entlang, irgendwann würde er sie ans Meer führen, sie hatten ja keine Eile. An schönen Flecken blieben sie ein paar Tage, ansonsten waren sie einfach unterwegs. Das erste Dorf, dass sie erreichten, hieß Litz, ein seltsamer Name, aber die Einwohner waren freundlich und verkauften ihnen Proviant. Simone und Dorran bekamen für zwei Wertsteine: zehn Kilogramm Mehl, zehn Dauerwürste, ein Fass mit Äpfeln, einen Schinken, einen Sack Zwiebeln, einen Sack Kartoffeln, drei Weinschläuche, zwei große Brote, vier frische Fische und ein kleines Fass mit Butter. Die Preise waren wesentlich niedriger, als in Bergland. Und die Frau mit der Butter, schenkte jedem noch kostenlos einen Becher Milch aus. Beide freuten sich über ihren günstigen Einkauf, damit würden sie viele Tage auskommen. Als sie am Abend rasteten, brieten sie die Fische in frischer Butter, tranken Wein direkt aus dem Schlauch und aßen zum Nachtisch Äpfel. Angenehm gesättigt legten sie sich frühzeitig schlafen.

      Am nächsten Morgen räumte Simone den ganzen Wagen aus. Dorran sammelte Holz und half ihr, als er zurückkam. Alles musste neu sortiert werden, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Plane war noch gut, die hatten sie schon ein paar mal benutzt. Topf und Pfanne gut geölt, aber das Öl ging langsam aus. Bettzeug, Kleidung, alles in bester Ordnung. Dorrans Bogen war weg, ebenso sämtliche Pfeile. Ein herber Verlust, bis er das richtige Holz für einen neuen Bogen fand und eine gute Sehne, könnte es etwas dauern. Und mit Fallen zu jagen, würde sie zwingen, irgendwo länger zu bleiben. Gut, Zeit war ja nicht ihr Problem. Dann räumten sie alles wieder ordentlich ein und zählten ihre Barschaft, insgesamt zweiundsiebzig Wertsteine hatten sie noch. Das würde eine Weile reichen, und vielleicht fand einer von ihnen Arbeit im nächsten Dorf.

      Dorran und Simone fuhren ein Stück den Fluss entlang, bis sie eine geeignete Stelle für ein Lager fanden. Diesmal beabsichtigten sie länger zu bleiben. Simone wollte dringend Wäsche waschen, deshalb wählten sie den Platz sorgfältig aus. Am späten Nachmittag wurden sie fündig. Nahe dem Fluss standen ein paar Bäume, dort würde man die Plane gut befestigen können. Sie schoben den Wagen in eine günstige Position, breiteten die große Stoffbahn aus und zogen sie über den Wagen bis an die Bäume, so erhielten so wieder ihren trockenen, geschützten Platz. Dorran befestigte die Plane an Wagen und Bäumen und fegte den Boden darunter. Er sammelte Steine am Fluss um sie zu einem Ring auszulegen. Simone wusch die Wäsche im nahen Fluss, und hängte sie an den Ästen der Bäume auf. Dorran entfachte ein kleines Feuer und sammelte noch mehr Holz. Das Pferd hatte er ausgespannt, es graste mit zusammengebundenen Vorderläufen friedlich auf der Wiese. Gekocht wurde später gemeinsam, es gab Eintopf aus einem Stück Schinken, zwei Zwiebeln und ein paar Kartoffeln. Simone entdeckte wilden Thymian, er wuchs offensichtlich auf der ganzen Insel, der den Geschmack abrundete. Später verband sie Dorrans Hand neu, das Brandmal heilte wirklich gut, es tat auch kaum noch weh. In dieser Nacht liebten sie sich in der Sicherheit ihres Verschlages und schliefen danach eng umschlungen ein.

      Sie blieben eine ganze Woche an diesem Plätzchen, kein einziger Mensch kam vorbei. Sie kamen sich aber überhaupt nicht isoliert vor, im Gegenteil, sie genossen die stille Zweisamkeit. Es fiel ihnen fast schwer, wieder von dort aufzubrechen, aber sie mussten bald ein paar Vorräte kaufen, Öl und Butter auf jeden Fall. Außerdem war inzwischen Ende September, man sollte sich langsam auf den Winter einrichten. Also spannten sie das Pferd ein und fuhren weiter den Fluss entlang.

      Ihre nächste Station hieß Mitzili, ein winziges Dorf, direkt am Fluss auf einer kleinen Ebene gelegen. Dort gab es zwar keine Arbeit, aber es war gerade geschlachtet worden, für einen Wertstein bekamen sie einen Braten, frische Bratwürste, ein Fass gesalzenes Fleisch und einen Topf mit ausgelassenem Fett. Öl hatten sie dort keines, aber Schmalz war auch gut. Bei einer Frau tauschten sie ein paar der Äpfel gegen sechs Eier ein. Man hatte auch nichts dagegen, dass Dorran und Simone am Dorfrand in ihrem Wagen übernachteten. Sie wurden am Abend sogar an das große Küchenfeuer eingeladen und bekamen gekochtes Fleisch aus dem Kessel. Brot und Salz wurde herumgereicht. Das waren wirklich freundliche Leute hier, der Abend ging schnell vorbei. Dorran half am anderen Tag ein paar Stunden beim Holzhacken,