Ole R. Börgdahl

Tod und Schatten


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im Monat Staub saugt und durchwischt, es soll ja solche Menschen geben. Wer sich in so einer Wohnung bewegt, verwirbelt den Staub oder wischt ihn partiell weg, wenn er eine Zeitschrift anfasst oder mit der Kleidung über eine Fläche streift. Das alles findet sich hier nicht. Der Staub liegt in der ganzen Wohnung wie unberührter Schnee oder besser gesagt lag, denn wir haben hier bereits ein wenig Unordnung gemacht.«

      »Wie lange?«, fragte Marek.

      »Das ist schwer zu sagen, mindestens aber eine Woche.«

      »Ich würde ja sagen, der Reisebürofritze ist verreist«, warf Thomas ein. »Allerdings stehen da im Abstellraum zwei schicke Koffer. Hat jemand mehr als zwei Koffer, wenn es nicht gerade eine Großfamilie ist?«

      Marek zuckte mit den Schultern. »Wo sind die Koffer?«

      Thomas deutete mit dem Daumen hinter sich. Marek verließ das Badezimmer. Die beiden Männer machten ihm Platz. Er ging über den Flur, öffnete die Tür, auf die Thomas gedeutet hatte. Der Abstellraum war klein, aber aufgeräumt. Ein Staubsauber, ein Bügelbrett, ein Eimer mit Lappen und Putzmitteln darin. Auf einem breiten Regal waren die beiden Koffer übereinandergestapelt. Marek suchte nach dem Adressschild, aber der dafür vorgesehene Anhänger war unbeschriftet. Er verschloss die Tür des Abstellraums wieder und wandte sich an Thomas.

      »Lässt du es noch läuten?«

      Thomas nickte und hielt sein Telefon hoch. Marek nahm sich den nächsten Raum vor. Es war offenbar das Gästezimmer. Ein Bett mit Nachttisch, ein schmaler Schrank, leer. Er ging ans Fenster und sah hinaus auf die Straße. Dann ging er auf den Flur zurück, überlegte kurz und öffnete eine Tür mit einem Lichtausschnitt aus Silvitverglasung. Er betrat ein großes Wohnzimmer. Es gab mehrere Sideboards, aber keinen richtigen Wohnzimmerschrank, dafür aber in einer Ecke einen ovalen Esstisch mit sechs Polsterstühlen. Auf der anderen Seite des Raumes standen ein niedriger, länglicher Tisch vor einem Ledersofa und drei dazu passende Sessel. Einen Fernsehapparat gab es in dem Raum nicht. Es hingen auch keine Bilder an den Wänden und nirgends lag etwas herum, keine Zeitschriften, keine Post oder sonstige Papiere. Marek durchsuchte die Sideboards. In einem fand er Geschirr und Besteck, die anderen beiden waren vollständig leer. Thomas und Ulrich Roose standen in der Wohnzimmertür.

      »Die Küche hast du auch noch nicht so genau angesehen, schätze ich«, sagte Thomas.

      »Und was habe ich da verpasst?«

      »Der Kühlschrank läuft, aber es gibt außer einer Flasche Mineralwasser nichts zu kühlen, keine Lebensmittel, die jemanden versorgen, der hier in dieser Wohnung lebt.«

      »Also lebt hier auch zur Zeit niemand«, stellte Marek fest.

      »Und jetzt?«, fragte Ulrich Roose.

      Marek zuckte mit den Schultern. »Es hätte ja sein können, Gefahr in Verzug. Die Wohnungstür können Sie aber doch wieder ordnungsgemäß verschließen?«

      Ulrich Roose nickte. »Aber ich muss das hier natürlich protokollieren.«

      »Selbstverständlich.« Marek sah Thomas an. »Wenn der Eigentümer des Reisebüros verschwunden ist, dann macht es ihn doch wohl zum Tatverdächtigen?«

      »Kann schon sein«, antwortete Thomas. »Aber Lorenz Mittag kann lediglich verreist sein und hat mit all dem hier nichts zu tun.«

      »Dann müssen wir es weiterprobieren, ihn zu erreichen.« Marek zeigte auf Thomas‘ Handy.

      *

      Ulrich Roose hatte oben die Wohnungstür wieder verschlossen und einen Kontaktaufkleber hinterlassen, auf dem er Mareks und Thomas‘ Telefonnummern geschrieben hatte. Unten im Flur empfing sie der zweite von Ulrich Rooses Technikern und deutete mit dem Daumen hinter sich ins Reisebüro. Ulrich Roose nickte und wandte sich an Marek und Thomas.

      »Bevor sich die Herren aus dem Staub machen, habe ich noch eine Kleinigkeit.«

      Marek nickte, Thomas, der schon auf dem Weg zum Ausgang war, drehte wieder um. Sie folgten Ulrich Roose ins Reisebüro. Einer der Kriminaltechniker holte eine UV-Lampe und schaltete das Licht im Reisebüro aus. Mit der UV-Lampe leuchtete der Mann den Boden ab.

      »Hier hat die Leiche gelegen«, kommentierte Ulrich Roose. »Wir hatten eigentlich mehr Blutspuren erwartet, aber mit dem bloßen Auge war ja nicht viel zu erkennen. Selbst mit dem Luminoltest ist das Ergebnis mager.«

      »Und das heißt?«, unterbrach Marek Ulrich Roose.

      »Das hat natürlich nicht viel zu bedeuten, wenn kaum Blutspuren gefunden werden. Interessanter ist das Aussehen dieser Blutspuren.«

      Der Kriminaltechniker schwenkte noch einmal die UV-Lampe über den Boden.

      »Wischspuren«, folgerte Thomas sofort.

      »Richtig!«

      »Sind vielleicht die Kollegen der Streife da durchgerannt?«, fragte Marek.

      »Auch, wenn das mal vorkommt«, antwortete Ulrich Roose, »so waren die Beamten, die den Toten entdeckt haben, doch sehr, sehr vorsichtig.« Er schüttelte den Kopf. »Da hat jemand saubergemacht, und zwar äußerst gründlich und professionell. Aber das ist noch nicht alles.«

      Der Kriminaltechniker mit der UV-Lampe schaltete wieder das Licht im Reisebüro ein. Marek, Thomas und Ulrich Roose folgen ihm zu einer Wand, an die zwei Spurenkennkarten geklebt waren. Eine Karte zeigte auf ein Loch in der Tapete.

      »Mit bloßem Auge ist das nicht richtig zu erkennen, aber wir haben es natürlich genauer untersucht. Eines der Projektile, die unser Opfer getroffen haben, war wohl ein Durchschuss, der in dieser Wand gelandet ist. Es steckt da auch noch drin, aber jemand vor uns hat versucht, es zu bergen, ohne gleich die Wand einzureißen. Das Einschussloch ist minimal aufgeweitet und es sind Spuren eines Werkzeugs zu erkennen, ebenfalls nur minimal. Der Versuch, das Projektil zu bergen wurde aber offenbar abgebrochen. Wie gesagt, steckt unser Freund hier noch drin.«

      Ulrich Roose nickte seinem Techniker zu, der sofort Meißel und Hammer zur Hand hatte. Er bearbeitete nicht das Einschussloch, sondern setzte den Meißel gut zehn Zentimeter daneben an. Ohne Rücksicht traktierte er die Wand mit drei, vier Schlägen. Dann klopfte er vorsichtig an das Mauerstück zwischen Einschussloch und dem entstandenen Krater. Es klang hohl. Als nächstes hatte der Techniker eine lange, spitze Pinzette in der Hand, die er in das Einschussloch einführte und das Projektil ohne Mühe herauszog. Er wandte sich an die drei Beobachter seines Handelns.

      Ulrich Roose übernahm die Pinzette und überlegte kurz. »Das habe ich mir schon gedacht, Kaliber 9mm, würde ich sagen.«

      Marek schüttelte den Kopf. »Gut, gut, aber was bedeutet das nun alles?«, fragte er und sah Thomas an, der die Antwort offenbar schon kannte.

      »Wissen Sie, was Cleaner sind?«

      Marek schüttelte den Kopf.

      »Sowas kenne ich nur aus amerikanischen Krimiserien«, sagte stattdessen Thomas.

      »Mag sein, aber auch die Drehbuchautoren holen sich ihre Ideen aus dem richtigen Leben«, erklärte Ulrich Roose. »Also, bevor die Kavallerie hier war, haben sich Profis am Tatort zu schaffen gemacht. Zu unserem Glück sind sie aber mit ihrer Arbeit nicht fertig geworden, ansonsten hätten wir wohl keine Leiche gefunden, vermutlich auch die Frau im Keller nicht, und es gäbe keinen Hinweis auf ein Verbrechen und somit auch keinen Grund für mich und meine Leute hier zu sein.«

      »Also, wenn diese Cleaner ihre Arbeit beendet hätten, dann hätten Sie keine Spuren gefunden?«, fragte Marek.

      »Wir finden eigentlich immer etwas«, sagte Ulrich Roose, »da können die Cleaner noch so gut sein. Allerdings können wir nur etwas finden, wenn wir wissen, dass wir suchen müssen. Wenn solche Proficleaner ihre Arbeit beenden können, dann haben sie in der Regel eine Komplettreinigung des Tatortes gemacht. Dazu gehört sogar die Desinfektion und eine Geruchsreinigung, bei der spezielle Mittel verwendet werden, die es normal nicht zu kaufen gibt. Das wichtigste ist allerdings die Beseitigung von Beweismitteln. Fingerabdrücke, Fußspuren, Haare, Fasern, Blut. Alles wonach wir suchen, alles