Ralf Steinit

Weiße Katze auf weißem Grund


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in Gehegen.«

      »Das ergibt doch keinen Sinn, wenn sie über den Zaun springen können.« Oskar machte einen Schritt zur Seite, sodass er ein wenig Abstand zu Ludwig gewann. Er setzte sich aufrecht hin und schlang seinen Schwanz eng um den Körper.

      »Unglaublich dumm«, bestätigte Didier. »Hat man jemals von einer Katze gehört, die sich beim Sprung über einen Zaun verletzt hätte? Zudem heißen sie Shaun, Shirley oder Flocke.«

      Der Schäfer füllte den Eimer, den er aus dem Boot geholt hatte, bei der Entnahmestelle für die Parkbewässerung und goss das Wasser in die Tränke der Schafe. Nachdem er die Tränke mit frischem Wasser versorgt hatte, zögerte er kurz, stellte dann aber den gefüllten Eimer neben dem Perückenstrauch ab. Er untersuchte noch einmal das Fesselgelenk des verletzten Schafes und zog erneut an seinem Bart. Im Anschluss hob er das Schaf auf seine Schultern, sodass die Beine über seiner Brust hingen. Er hielt das Schaf mit den Händen an den Beinen fest, brachte es zum Boot und legte ab. Die Kater sahen dem Boot nach. Das Schaf stand in der Mitte der Ladefläche und blökte.

      »Als ich Paul kennenlernte«, nahm Didier seine Erzählung auf, »hatte er weder eine Farm noch Schafe. Sie mieteten während einer Pause der 65er USA-Tournee ein Haus auf einer Höhe am Benedict Canyon. Es lag ein Stück abseits vom Mulholland Drive und gehörte Doris Day. Als ich dort eintraf, war die Straße vor dem Haus von einer riesigen Menschenmenge blockiert, sodass es mir kaum gelang durchzukommen. Im Innenhof saßen George und Ringo unter einem Sonnenschirm am Pool. Ringo hatte einen Billardstock, den er wie eine Angel hielt. Über dem Haus kreisten Hubschrauber. Es war so laut, dass ich durch ein Fenster nach drinnen floh. Paul saß mit einer Gitarre auf dem Schoß in einer abgesenkten Wanne im Badezimmer. Er sah mich durch das Fenster kommen und spielte sofort The Cat In The Window. Wir tranken dann gemeinsam eine Tasse englischen Tees.

      Am Nachmittag trafen weitere Gäste ein. Ich alberte ein wenig mit David Crosby herum und er gab mir LSD auf Würfelzucker. Wir machten uns über Roger McGuinn lustig, der versuchte, Ravi Shankar zu imitieren. Etwas später führte ich eine ernsthafte Unterhaltung mit Allen Ginsberg, wobei ich nach einiger Zeit feststellen musste, dass es sich um Joan Baez handelte. Diese Verwechslung konnte nur passieren, weil das LSD zu wirken begann. Joan war wirklich wütend. Sie schrie: ›You’re making me feel like I’ve never been born‹. Ich glaubte, sie würde mich schlagen wollen, und rannte in Panik um den Pool. ›I know what it’s like to be dead‹, rief ich und überlegte, wer all diese Dinge in ihr Haar gesteckt haben könnte. Inzwischen war Peter Fonda gekommen. Er beobachtete, wie ich um den Pool lief, und schaute mich dabei an, als hätte ich ihm etwas weggenommen.

      John hat ein Lied geschrieben, das die Ereignisse dieses Tages berührt. Es erschien im folgenden Jahr auf dem Album Revolver. Ich blieb des Klimas wegen an der Westküste und wurde wenig später als der Erfinder des Country-Rock bekannt.«

      »In Doris Days Haus?«, fragte Ludwig.

      »Höchstwahrscheinlich. Es könnte auch Zsa Zsa Gabor gehört haben.«

      Tamira schloss die Wohnungstür und ließ die Balkontür offen stehen. Es konnte nicht sinnvoll sein, die Wohnungstür abzuschließen, wenn sich wenige Meter entfernt eine offene Balkontür befand. Die Katzen erwarteten, die Wohnung betreten zu können, sobald sie von einer Runde durch das Revier zurückgekehrt waren. Sie erwarteten ungehindert ins Freie zu gelangen. Es war aufgrund der Erwartungshaltung der Katzen nicht möglich, die Balkontür zu schließen. Tamira mochte nicht nach Hause kommen, um eine verstörte Katze auf dem Balkon sitzen zu sehen, während zwei verstörte Katzen hinter der Tür hockten und vergeblich versuchten, nach draußen zu gelangen. Die Katzen in der Wohnung würden sich an der Balkontür aufrichten, mit den Pfoten gegen die Scheibe schlagen und in anklagendes Schreien ausbrechen. Die Katze auf dem Balkon würde heftig zucken und sich in den Schwanz beißen. Morgen wollte der Tischler eine Katzenklappe in die Wohnungstür einbauen. Sie hatte den Vermieter gefragt, ob er etwas gegen eine Katzenklappe hätte. Er hatte nichts gegen die Klappe. Sie müsse allerdings bei ihrem Auszug mit den Kosten einer neuen Tür rechnen, falls der Nachmieter die Katzenklappe nicht benötige. Das schien Tamira eine angemessene Bedingung zu sein. Zudem war sie gerade eingezogen, der Auszug lag in weiter Ferne. Es wäre ihr lieber gewesen, der Tischler hätte die Klappe bereits eingebaut, sodass sie die Balkontür hätte schließen können, bevor sie sich auf den Weg zu ihrem Lektürekurs machte. Als sie den Termin mit dem Tischler vereinbart hatte, war in der Nachbarschaft noch kein Verbrechen geschehen. Es hatte wegen der Klappe keinen Anlass zur Eile gegeben. Nach diesem Morgen sah es anders aus, wobei eine geschlossene Balkontür im Höchstfall einen Einbrecher abhalten mochte.

      Die Stelle, an der die Leiche in der Hecke gelegen hatte, markierte eine Absperrung aus rot-weißem Plastikband. Auf den roten und weißen Feldern des Bandes stand mit schwarzer Schrift: POLIZEI. Der Tote war abtransportiert worden, nachdem die Mitarbeiter der Spurensicherungsgruppe ihre Aufgabe erledigt hatten. Ein einzelner Polizist befand sich als Wachposten bei der Absperrung. Es schien, dass seine Vorgesetzten der festen Überzeugung waren, es müsse den Täter in Kürze zurück an den Ort der Tat treiben. Eine Frau kam aus dem Haus, dessen Rückseite Tamira sah, wenn sie von ihrem Balkon aus zum Wasser schaute. Die Frau trat auf die Terrasse der Erdgeschosswohnung und lief über den Rasen zu dem Weg neben der Hainbuchenhecke. Sie nickte im Laufen dem Polizisten bei der Absperrung zu. Hinter ihr war Frau Bohrfeldt mit ihrer Französischen Bulldogge auf die Terrasse getreten. Tamira winkte grüßend, weil Frau Bohrfeldt sie bereits mehrfach in Gespräche verwickelt hatte. Frau Bohrfeldt zeigte zu der Frau, die sich auf Tamiras Haus zubewegte. Die Frau hatte strohblondes Haar, dessen Schnitt bei Tamira den Eindruck erweckte, der Friseur hätte seine Arbeit unterbrechen müssen. Die Französische Bulldogge begann zu bellen, während sich die Frau auf der Wendeltreppe befand, die zu Tamiras Balkon führte.

      »Hinckelsee«, sagte sie, als sie oben angekommen war. »Kriminalhauptkommissar Hinckelsee. Frau Heidbidder? Sie müssen die Leiche gefunden haben.«

      »Das muss ein Irrtum sein«, antwortete Tamira schnell und hob eine Hand zu einer abwehrenden Geste. Sie betrachtete die Hand, als ob ein anderer sie zu dieser Geste erhoben hätte. Eine abwehrende Haltung einzunehmen, konnte kein guter Auftakt zu einem Gespräch mit der Polizei sein. Zudem war es nicht gut, der Kriminalhauptkommissarin einen Irrtum hinsichtlich des Leichenfunds zu unterstellen. Es ließ sich allerdings nicht behaupten, dass sie die Leiche gefunden hatte. Die Frau mit der Kamera hatte sie im Gebüsch entdeckt. Tamira hatte die Leiche lediglich an den Beinen genommen, um sie auf den Weg zu ziehen, wobei zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen war, dass sie es mit einer Leiche zu tun hatte. Erst als der Mann auf dem Weg lag, hatte sie erkannt, dass er den Schlag auf den Kopf nicht überlebt haben konnte. Tamira hätte den Körper des Mannes gewiss nicht berührt, wenn sie geahnt hätte, dass es sich um eine Leiche handelte. Ihre Fingerabdrücke waren an der Hose des toten Mannes! Tamira hatte den Eindruck, dass die Kriminalhauptkommissarin interessiert beobachtete, wie sie ihre erhobene Hand anstarrte. Die Mitarbeiter der Spurensicherung würden ihre DNS an der Bügelfalte der Hose finden, während sie in einer abwehrenden Haltung von einem Irrtum der Kriminalhauptkommissarin sprach.

      »Ich habe die Leiche nicht als Erste gesehen«, fuhr Tamira fort. »Es war die Frau mit der Kamera, die jeden Morgen ihr Haus auf der anderen Seite der Bucht fotografiert.« Tamira beschlich ein unangenehmes Gefühl, weil sie der Kriminalhauptkommissarin von der absonderlichen Gewohnheit der Frau berichtete. In den Augen der Polizei würde das regelmäßige Fotografieren des eigenen Hauses bestimmt Verdacht erregen. Wer in den Morgenstunden eines jeden Tages über die Bucht ruderte, um ein Foto von seinem Haus aufzunehmen, musste damit rechnen, in den Mittelpunkt polizeilicher Ermittlungen zu geraten. Nachdem Tamira das tägliche Fotografieren des eigenen Hauses gründlich erwogen hatte, kam es ihr nicht mehr allzu exzentrisch vor. Der Hinweis auf das Verhalten der Frau mit der Kamera würde möglicherweise nicht von der Unterstellung eines Irrtums ablenken.

      »Frau Klingenberg«, nickte die Kriminalhauptkommissarin. »Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass Sie anwesend waren, als Frau Klingenberg die Leiche entdeckte. Mir geht es zunächst darum herauszufinden, ob Sie in der Nacht etwas gesehen oder gehört haben. Der Mann wurde auf eine außergewöhnlich brutale Weise ermordet. Es muss etwas wie eine Eisenstange benutzt worden sein, möglicherweise ein Brecheisen. Die Schädeldecke