Edgar Rice Burroughs

Tarzans Sohn


Скачать книгу

beiden waren jetzt allein. Der Sergeant, der den Fremdling begleitet hatte, stand ein wenig abseits und drehte ihnen gerade den Rücken zu. Der Scheich hatte eben wieder alle Goldstücke in seinen dicken Beutel zurückgleiten lassen, stellte ihn auf die geöffnete Hand und wandte sich mit unmißverständlicher Gebärde jetzt an den Hauptmann Jacot.

      Achmet ben Haudin, der Sohn meiner Schwester, wird diese Nacht auf unerklärliche Weise entfliehen ...? Nicht wahr? flüsterte er.

      Hauptmann Armand Jacot schoß das Blut in den Kopf, daß er bis unter die Haarwurzeln errötete. Dann wurde er leichenblaß. Seine Fäuste ballten sich, und er rückte einen halben Schritt an den Araber heran. Doch plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke, und der war entschieden besser.

      Sergeant! rief er mit lauter Stimme. Der Unteroffizier stürzte sofort herzu. Er schlug die Hacken zusammen und stand grüßend vor seinem Vorgesetzten.

      Bringen Sie diesen braunen Hund wieder zu seiner Bande zurück! befahl er. Und sehen Sie zu, daß die Gesellschaft auf der Stelle verschwindet. Auf jeden – ganz gleich wer – der sich bei Nacht in der Nähe des Lagers herumtreibt, wird einfach geschossen.

      Scheich Amor ben Khatur richtete sich zu seiner ganzen Größe auf, seine glühenden Augen kniffen sich zusammen, und er folgte mit dem verlockenden Geldbeutel den Augen des Offiziers, der ihn von oben bis unten maß.

      Mehr als dies da werden Sie für das Leben Achmet ben Haudins, der meiner Schwester Sohn ist, zahlen müssen! Und, fuhr er fort, noch einmal so viel für den netten Namen, den Sie mir eben zulegten, und das Hundertfache an Sorgen und Qualen obendrein!

      Scheren Sie sich fort, ehe ich Sie mit einem Fußtritt hinausbefördere! stieß Hauptmann Armand Jacot hervor ...

      All dies geschah etwa drei Jahre vor der Zeit, in der unsere Erzählung beginnt. Die gerichtliche Untersuchung in Sachen Achmet ben Haudins und seiner Spießgesellen brachte Unerhörtes an den Tag. Wen es interessiert, der mag die offiziellen Berichte nachlesen. Achmet erhielt die verdiente Strafe und ging mit der ganzen stoischen Ruhe eines Arabers in den Tod. Einen Monat später war die kleine Jeanne Jacot, das siebenjährige Töchterchen des Hauptmanns Armand Jacot, mit einem Male auf rätselhafte Weise verschwunden. Weder das Vermögen von Vater und Mutter, noch die unerschöpflichen Hilfsquellen und Maßnahmen der Regierung schienen auszureichen, um irgendwie Licht in das Dunkel zu bringen. Das Rätsel war und blieb unergründlich, kein Mensch konnte irgend etwas über das Wo und Wohin des Mädchens und seines Räubers erfahren oder entdecken. Es war gleichsam, als habe die Wüste sie verschlungen.

      Unerhörte Belohnungen hatte man ausgesetzt, und viele abenteuerlustige Männer waren der Lockung dieser Jagd nach dem Glück gefolgt. Das war zwar nichts für moderne Großstadtdetektive, und doch wagte sich mehr als einer hinaus in die Wüste. Bald bleichten dafür auch die Gebeine manches kühnen Glücksjägers auf den grabesstillen Sandflächen der Sahara in der Glut der afrikanischen Sonne.

      Zwei Schweden, ein gewisser Carl Jenssen und Sven Malbihn, waren drei volle Jahre immer auf der falschen Spur gewesen. Sie befanden sich schließlich weit unten im Süden der Sahara und kamen zu dem Entschluß, die Nachforschungen aufzugeben und sich dafür ganz der bedeutend einträglicheren Jagd auf Elfenbein zuzuwenden. Man kannte die beiden übrigens schon zur Genüge im weiten Umkreis als rücksichtslose und schier unersättliche Ausbeuter der »Elfenbeinquellen«. Die Eingeborenen haßten und fürchteten diese Sorte von Fremdlingen, nach denen auch die Regierungen der betroffenen europäischen Kolonien unablässig fahndeten. Sie hatten jedoch während ihrer anfänglichen Streifzüge durch Nordafrika im »Niemandsland« südlich der Sahara mancherlei gelernt, was ihnen späterhin zunutze kam; denn sie kannten nur zu genau die vielen Schliche und Pfade, auf denen sie sich der Gefangennahme und ihren ungeschickten Verfolgern jederzeit leicht entziehen konnten. Plötzlich und mit unglaublicher Schnelligkeit stürmten sie auf ihre Beute, holten sich das Elfenbein und verschwanden ebenso rasch wieder in dem unwegsamen öden Norden, noch ehe die Polizei der heimgesuchten Gebiete sie überhaupt zu Gesicht bekommen hatte. Es gab keinen Pardon, sie schlachteten rücksichtslos ab, was ihnen an Elefanten in den Weg lief, oder plünderten auch wohl die Elfenbeinvorräte der Eingeborenen. Hundert oder mehr abtrünnige Araber und Negersklaven schlimmster Sorte waren ihre Handlanger.

      Der Leser wolle sich das, was eben von diesen beiden blondbärtigen schwedischen Hünengestalten Karl Jenssen und Sven Malbihn angedeutet wurde, gut merken, denn wir werden ihnen später wieder begegnen.

      Im Herzen der Dschungel und etwas abseits vom Ufer eines kleinen unerforschten Flusses, dessen Wasser sich bald mit den Fluten eines großen Stromes vereinen und sich mit ihnen unweit vom Äquator in den Atlantischen Ozean ergießen, lag im Walde versteckt ein kleines, ringsum mit starken Palisaden umzäuntes Dorf. Die zwanzig Hütten, die fast wie große Bienenstöcke aussahen, waren mit Palmenblättern gedeckt und boten der schwarzen Bevölkerung seit langem Schutz und Obdach, während in der Mitte auf freiem Dorfplatze ein Trupp Araber seine Zelte aus Ziegenleder aufgeschlagen hatte, die ihm für die Dauer der Streifzüge als Standquartier dienten. Die Araber gingen in diesen Gebieten ihren mehr oder weniger reellen Handelsgelüsten nach, das heißt sie kauften oder kauften auch nicht, was sie dann zweimal im Jahr mit ihren »Wüstenschiffen« nordwärts auf den Markt nach Timbuktu abschoben.

      Vor einem der Araberzelte spielte ein kleines, etwa zehnjähriges Mädchen; wer das schöne schwarze Haar und die tiefschwarzen Augen, die nußbraune Haut und die anmutig-schmiegsame Gestalt der Kleinen betrachtete, mußte sie ohne weiteres für eine echte Tochter der Wüste mit den dieser Rasse eigenen Merkmalen halten. Ihre kleinen Finger waren gerade geschäftig dabei, ein Grashemd für die schon arg mitgenommene Puppe zu flechten, die ihr ein kinderlieber Sklave vor ein oder zwei Jahren in einer freundlichen Anwandlung angefertigt hatte. Der Kopf der Puppe war etwas unförmig, aber aus Elfenbein geschnitzt, der Rumpf bestand aus einem mit Gras ausgestopften Rattenfell, die Arme und Beine aus Holzstückchen, die er an den entsprechenden Enden durchbohrt und an den Rattenfelleib angenäht hatte. Im ganzen war die Puppe zweifellos unschön, zumal sie alles andere als sauber geblieben war. Doch für die kleine Meriem war sie das Schönste und Liebenswerteste auf der ganzen weiten Welt, und das ist auch nicht verwunderlich, weil sie das einzige »Wesen« war, dem Meriem rückhaltslos trauen mochte.

      Alle anderen, mit denen Meriem in Berührung kam, kümmerten sich entweder überhaupt nicht um sie – oder sie waren ihr gegenüber grausam und ungerecht. Da war zum Beispiel diese alte schwarze Hexe Mabunu, der man sie übergeben hatte: die hatte keine Zähne mehr, lief immer nur schmutzig herum und verstand sich wie selten jemand aufs Keifen. Sie versäumte keine Gelegenheit, das kleine Mädchen zu schlagen und – wenn es mit der ewigen Quälerei gnädiger abging – zu zwicken. Und dann der Vater erst, der Scheich, den sie mehr noch als Mabunu fürchtete. Er schalt sie oft für nichts und wieder nichts, und das Ende der fast endlosen Schimpferei war allemal, daß er sie rücksichtslos schlug, bis ihr kleiner Körper mit blauen und schwarzen Flecken wie übersät war.

      Nur wenn sie für sich allein gelassen wurde, war sie glücklich. Sie spielte dann mit Geeka, schmückte sich ihr Haar mit Blumen der Wildnis oder flocht sich aus Gras Bänder und Schnüre. O, sie war immer lebhaft und aufgeweckt und trällerte ein Liedchen vor sich hin – so oft man sie nur mal in Ruhe ließ; denn mochte man noch so grausam und lieblos mit ihr umgehen: in ihrem kleinen Herzen blieb im Grunde die ganze große Fülle von Anmut und Heiterkeit, die sie mit auf die Welt gebracht; und die konnte man nicht ersticken! –

      War der Scheich in der Nähe, so schwieg Meriem sofort und spielte lieber nicht weiter; denn sie hatte vor diesem Manne immer Angst, manchmal sogar so, daß man hätte annehmen können, sie sei dem Wahnsinn nahe. Und dann fürchtete sie sich auch vor der dunklen, unheimlichen Dschungel, dieser grausamen Dschungel, die überall bis zum Dorfe ihre Arme ausstreckte, am Tage vor den Affen, die dort schnatterten, und den kreischenden Vögeln, und dann erst in der Nacht, wenn das Brüllen und Knurren und Stöhnen der Urwaldbestien herüberhallte. Ja, ihr bangte wohl vor der Dschungel, aber noch viel, viel mehr vor diesem Scheich, und nicht bloß einmal war sie – das kleine ahnungslose Geschöpf, das doch die Folgenschwere seiner kindlichen Entschluss gar nicht ermessen konnte – nahe daran gewesen, einfach für immer in die schreckliche Dschungel davonzulaufen, statt länger bei diesem ewigdrohenden