B. Born

die gekachelte Sonne


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und als Peter die Achseln zuckte, fragte sie die Kassiererin. Die erklärte in breitem Berlinerisch, dass sie aus China kämen und wie gut es wäre, wenn man sie ‚drinnen‘ hätte und zum Beispiel ‚einkoofen‘ ginge. Ohne länger zu zögern, zückte Beate die ausgepreisten 35 Mark aus ihrem kleinen Strickbeutelchen und legte sie, dabei ein zweites mal sorgfältig durchzählend, auf den Tresen.

      „Ciao Kleene“, rief die Frau, als sie durch die Klingeltür, das Geschäft verließen.

      „Kommst du noch mit zu mir?“ fragte sie als nächstes. Ängstlich blickte Peter in eine Seitenstraße, ob der Polizist noch irgendwo lauerte.

      „Aber nur ganz kurz“, antwortete er und schon bereute er es.

      „Kannst du das einpacken?“ fragte Beate und überreichte Peter die Pornotüte. Er stopfte sie zu den abgelatschten Stiefeln.

      Die ganze Straße duftete nach türkischen Backwaren und sie kauften einige der klebrigen, mit grünen und weißen Raspeln bestreuten Teilchen.

      In dem Eckhaus, in dem sie wohnten, Peter auf der einen Seite und Beate auf der anderen, war unten ein Möbelgeschäft. Sie feixten über die altmodischen und ultrahässlichen Sessel, Lampen, Zeitungsständer, Fußpucks und Regale. Der einzige Verkäufer in einem braunen Anzug zog eine Grimasse. Beate streckte ihre Zunge raus und Peter versuchte ihr den Mund zuzuhalten, was in einen neckischen Ringkampf ausartete.

      Beate setzte den Wasserkessel auf und Peter knipste die Schreibtischlampe an - zweimal, da er erst dachte, sie sei kaputt, aber das Licht der Birne war so schwach, dass er es nicht wahrgenommen hatte. Er sank in einen Sessel, der in Hannover ihm gehört hatte. Rechts war er ein Klappaschenbecher befestigt, den er auf einer Interrail-Reise in einem griechischen Zug abgeschraubt hatte. Der Kater sprang auf seinen Schoß und Peter, der an einem Honiggebäck knabberte, sah in seinem Kopf Bilder von Thessaloniki nach dem Erdbeben. Das war im Juli 1978 gewesen. Der Bahnhof hatte einen Monat nach dem Beben soweit wieder funktioniert, dass Züge hielten. Der Rest der Stadt war aber in Trümmern gewesen. Es hatte wie nach einer Bombe ausgesehen. Er war mit Tobias und zwei anderen Freunden dort gewesen und man hatte sie daran gehindert, das Bahnhofsgelände zu verlassen. Der Kater schnurrte, streckte sich, tat so, als wolle er sich einrollen, bis er neurotisch seine Zähne in Peters Arm hackte. Aber die Jacke war zu dick für ihn und so schüttelte Peter ihn ab.

      „Mal sehen, wie die Kugeln funktionieren“, sagte Beate, riss die Folie auf, nahm die Kugeln heraus und schlurfte in löchrigen Plüschpantoffeln zum Badezimmer.

      Als sie wiederkam, hatte sie ein verkniffenes Gesicht.

      „Und?“ fragte Peter amüsiert.

      „Hm. Kalt und tut etwas weh. Muss man mehr damit rumlaufen?“

      „Woher soll ich das wissen“, antwortete er.

      „Sei nicht so gemein, schließlich mache ich das für dich“, sagte Beate.

      „Für mich! Du spinnst wohl! Wieso für mich?“

      „Damit ich einen hoch kriege und wir eine normale Beziehung haben können“, sagte Beate verlegen.

      „Ich dachte, unsere Beziehung ist vorbei. Ein-für-alle-mal!“

      Schluchzend warf sie sich hin. Peter eilte in die Küche, da der Kessel zu pfeifen angefangen hatte. Mit Tee kehrte er zurück. Da sie unverändert wimmerte, setzte er sich auf einen Stuhl und starrte den Tisch an. Der hatte eine Messingkante und runde Ecken. Das Glas der Platte war von unten schwarz lackiert und hatte feine Ziselierungen. Mit dem Finger drehte er Kreise und schielte in eine Telefonrechnung. Er zündete einige Kerzen an und knibbelte am Wachs. Da sie einfach nicht aufhörte zu heulen, gab er irgendwann widerwillig nach. Er setzte sich zu ihr hinunter und legte tröstend einen Arm um sie.

      „Ich bin krank und keiner kann mir helfen“, wimmerte sie, das Gesicht nass mit von Schminke schwarzen Tränen.

      „Du nimmst das alles zu ernst“, beruhigte er sie. „Irgendwann kommt der Richtige und alles ist in Butter.“

      „Aber vielleicht bist du ja doch der Richtige“, erwiderte sie.

      „Lass uns nicht wieder damit anfangen“, sagte er, „du weißt, es klappt nicht zwischen uns. Jedes Mal wenn wir dachten, wir probieren es noch einmal, ist der Traum in Nullkommanichts wieder zerplatzt. Ich hasse dieses ewige Trennen.“

      Beate umklammerte ihn fester und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Draußen war es dunkel geworden und von den Kerzen brannte nur noch eine.

      Als Peter die Nähe nicht länger aushielt, sprang er auf und sagte: „Lass mich schnell rüberhechten, ich hab‘ Sekt gekauft, den hol‘ ich.“

      Beate trocknete mit dem Ärmel ihrer burgunderroten, Samtbluse ihr Gesicht und sah ihn fest an.

      „Aber beeil‘ dich“, flüsterte sie.

      Sie tranken und rauchten, bis die Wohnung nebelig geworden war. Beschwipst kochte Beate Spagetti und wärmte eine Büchse Erbsen und Möhren auf. Peter heizte den Kachelofen neu an und öffnete mit einem Zisch eine Dose Billigbier, die er gefunden hatte, als er stolz die Tamponbestände in ihrer Speisekammer kontrolliert hatte.

      „Bitte bleib' heute Nacht bei mir“, flehte Beate nach dem Essen, „du kannst auch mit mir machen, was du willst.“ Sie zog ihre T-Shirts aus. Peter grübelte nach einer Ausrede, aber es fiel ihm keine geeignete ein. Nackt rannte sie ins Schlafzimmer und schlüpfte in ihr Bett. Zögernd zog er sich auch aus und folgte ihr. Sie blätterten zusammen in den Pornoheften. Er bemühte sich, bei den eigentlich ganz und gar abstoßenden Fotos, keine Erektion zu bekommen. Beate zog die Metallkugeln aus sich heraus und forderte Peter auf, den Dildo mit den beigelegten Batterien zu füllen. Das vibrierende Gerät machte ein ätzendes Motorengeräusch und sie verkrampfte sich. Peter nahm ihr die Maschine ab und streichelte ihr über den Rücken.

      „Warum erregen dich solche Fotos bloß?“ fragte sie und warf zornig eins der Hefte an die Wand. Sie heulte los und er tröstete sie. Dabei entdeckte er frische wulstige Narben, die von Schnitten stammen mussten, die sie sich in den letzten Wochen, zugefügt haben musste. Aggressiv riss sie den Arm weg, als wolle sie nicht, dass er sich das ansah. Aber nach einer langen Tröstphase wollte sie sogar, dass er die Narben küsste. Angeekelt legte er seinen Mund darauf. Sie steigerten sich in ein Vorspiel, bis sie flüsterte: „Du tust mir weh“ und sich wegdrehte. Enttäuscht knetete Peter ihre Brust. Als auch noch der Kater fauchte, war er den Tränen nahe. Er richtete sich auf und wollte sich aus dem Zimmer schleichen, als Beate rief: „Nimm bloß deine Hefte mit!“

      Er überquerte den Hof. In seiner Wohnung schaltete er den Fernseher an, öffnete ein Bier und onanierte zu allem Weiblichen, was die Pornos hergaben.

      Sabrina und Gogo zogen um. Peter hatte überhaupt keine Lust zu helfen, denn sie beabsichtigten ihre Ledersofagarnitur mitzunehmen.

      Er kam absichtlich viel zu spät. Um abgehetzt zu wirken, nahm er immer zwei Stufen auf einmal. Als er eintrat, hockten jedoch, zu seinem blanken Entsetzen, alle noch auf dem Küchenboden, tranken gemütlich Tee und verzehrten Marmeladenbrote. Was ihn aber richtig aufbrachte, war die Tatsache, dass Beate auch da war. Sie warf ihm einen abschätzigen Blick zu und er ihr einen strafenden zurück.

      „Ah hi“, grüßte er eingeschnappt die Runde. Ramona saß neben Beate und neben ihr saß Lise, alle drei im Schneidersitz. Lise war wie Ramona eine Exfreundin von Gogo, noch aus Schulzeiten. Sie erwiderte rotzig: „Mann endlich, wird aber auch Zeit, dass du kommst.“ Ihr rotes Haar glühte.

      ‚Was für eine Klickenwirtschaft‘ dachte Peter, lehnte sich salopp an den Herd und stammelte, dass er eine schwere Nacht gehabt hätte und um schlechte Laune zu verbreiten, berichtete er von seinem Erlebnis in der U-Bahn: „Da lag eine Drogenfrau in der Station am Kotti. Sie wirkte ohnmächtig oder tot und hatte eine Spritze zwischen ihren Beinen hängen. Konnte man sehen, weil ihr Minirock hochgerutscht war. Dann kamen Wachdienstleute und plötzlich hat sie einem von ihnen voll die Spritze ins Bein gerammt.“ Gogo lachte sarkastisch.

      „Das