B. Born

die gekachelte Sonne


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„Für mich nicht mehr.“

      Also bestellte er bei der ‚ach so schnuckeligen‘ Bedienung, ein Bier, einen Espresso und ein Glas Leitungswasser.

      Steinert griff dann erneut das ‚Beziehungskistengespräch‘ auf.

      „Ich weiß einfach nicht, woran ich bei ihr bin“, sagte er kopfschüttelnd, den Kaffee mit Zucker auffüllend.

      „Wir müssen Katharina und Beate einfach vergessen, ausblenden und neu anfangen!“ lallte Peter enthusiastisch, „Wegblenden gewissermaßen. Nervt doch langsam, mein‘ ich, oder?“ Sein Fingernagel schob das Silberpapier am Hals der Flasche herunter und ein schleimiger Kleber quoll hervor.

      Steinert sog den Espresso mit einem Schluck weg und das Leitungswasser hinterher.

      Beim Bezahlen schob die Bedienung, die Peter wirklich höchst attraktiv fand, Steinert einen Zettel zu, auf dem ‚METTE’ und ihre Telefonnummer stand. Peter starrte ihr eifersüchtig in ihre wasserblauen Augen, die Steinert anstrahlten. Der faltete fast beiläufig den Zettel zusammen und steckte ihn in seine Manteltasche, wo er sicher in Sekunden in den Eingeweiden des Mantels verschwände.

       Als sie die ‚Bronx‘, eine Althippy-Disco erreichten, schlug Steinert überraschenderweise vor, hineinzugehen. Peter trug das Bier im Plastikbecher, das ihm den Rest geben würde, an den Rand der Tanzfläche. Steinert vergrub seine Hände in den Hosentaschen seiner hochgekrempelten Jeans, so dass die Arme den schweren Mantel offenhielten und fing an zu einem Song von Elvis Costello zu tanzen. Verblüfft, da Peter Steinert nie zuvor hatte tanzen sehen, beobachtete er, wie er sich vor einer ganz in Lilatönen gekleideten Frau, die sich ähnlich abgehackt wie Katharina bewegte, aufbaute. Dort wogte er sinnlich, weit nach vorne gebeugt hin und her. Die Frau wirkte irritiert. Hilfesuchend bemühte sie sich mal rechts, mal links an Steinert vorbeizutanzen, was dieser aber geschickt zu verhindern wusste, bis er sie in einer Ecke regelrecht eingekeilt hatte. Als das Stück zu Ende war, nahm er die Hände aus den Hosentaschen, drehte sich um und schlurfte zurück zu Peter, dem er ins Ohr schrie, dass er, seit er in der neuen Wohnung wohne, jeden Abend diese Discothek aufsuche und dieser einsamen Frau einen Tanz schenke. Peter lachte auf. Aber Steinert schrie weiter, dass er fest an den Erfolg seiner Methode glaube und irgendwann würde diese wilde Beere ihn schon ansprechen. Bis Peter alles im Musiklärm verstanden hatte, war fast eine halbe Stunde vergangen und Neonlicht flackerte auf.

      „Das Zeichen für den letzten Song“, sagte Steinert wissend. Das Weihnachtslied ‚Merry Christmas everybody‘ von ‚Slade‘ ertönte. Die begehrte Frau hatte sich aus dem Staub gemacht.

      Vor der grauen Stahltür der Disco, der Himmel war aschfahl, wurde Steinert melancholisch. Ein Nasenloch zuhaltend rotzte er in den Schnee. Der Frost ließ den Schweiß auf Peters Wangen gefrieren, schwankte betrunken hin und her. Steinert schlug vor, dass Peter bei ihm übernachtete, er faselte sogar etwas von gegenseitiger Wärme in solch kalten Nächten. Aber Peter dachte mit Grausen an Steinerts garantiert inzwischen ausgekühlte Wohnung.

      „Ach, lass uns lieber noch ein Kebab essen“, sagte er deshalb.

      Sie stützten sich auf ihre Ellenbogen und nippten an einem türkischen Tee in einem kleinen Glas mit Goldrand. Peter ließ sich das Kebab mit allen Salaten, weißer Knoblauchsoße und roter Chilisoße präparieren und schüttete auch noch einen Löffel getrocknete Chili dazu. Steinert aß seinen ‚ohne alles‘. Hinterher und es war inzwischen hell, tranken sie Raki-Schnaps. Dann verabschiedeten sie sich voneinander und gingen jeder ihrer Wege.

      Es blies ein eisiger Wind. Auf halber Strecke rutschte Peter auf dem Eis aus und seine Augenlider klappten sofort und automatisch zu. Gewaltsam schüttelte er sich wieder wach, drehte sich auf die Knie und raffte sich hoch.

      Peter und Gogo hatten einen Job angenommen. Am Vorabend beabsichtigten sie in der ‚Weserklause‘ ein ‚Abschlaffbier‘ zum besseren Einschlafen zu trinken. Nach 5 Bier beschlossen sie ins ‚Basement‘ zu ziehen und dort die Nacht durchzumachen.

      In einem Höllenlärm und Lichtorgel schrien sie drei giggelnden Freundinnen im Grufti-Look gestylt: schwarzer Tüll, toupierte Haare, silberne Kreuze, Totenkopfringe, violetter Lippenstift „ihr seid schön, wir sind lustig, die Musik ist dufte, alles ist dufte“ ins Ohr und diese lächelten wohlwollend in die Runde. Schnell kamen andere Männer herbeigeeilt, baggerten sie auch an und Gogo und Peter verloren das Interesse. Bald wurde es den Frauen zu blöd und sie wollten zum Ku'damm in die Bhagwandisco. Einige der Typen versuchten im Taxi mitzufahren, aber sie wurden daran gehindert und ausgelacht. Sie forderten einen zweiten Taxifahrer auf, sie zu verfolgen. Peter und Gogo hatten amüsiert vom Eingang der Disco aus zugesehen. Als das Spektakel vorbei war, gingen sie wieder rein, legten ihre Jacken über freigewordene Barhocker und bestellten mehr von dem abscheulichen Bier. Es war nun nichts mehr los. In den Ecken sackten Drogensüchtige immer wieder in sich zusammen. Verzweifelte Kerle, die alles gaben, um nicht allein im Bett zu enden, hampelten über die ganze Tanzfläche und verrenkten sich. Aber die verbliebenen zwei Psycho-Frauen wogten mit geschlossenen Augen vor sich hin. ‚The Cure‘ – ‚Mint Car‘ in Stroboskoplicht schluckte alles.

      „Das halt‘ ich nicht aus!“ schrie Peter hysterisch.

      „Ja, ja, aber ich brauch‘ die Knete“, sagte Gogo.

      „Ich auch. Aber überleg‘ mal, wie viel wir in dieser Nacht verprasst haben. 7,30 die Stunde ist nen Witz.“

      „Was für ein Schrott“, fluchte Gogo in sein Glas und legte seinen Kopf in seine Arme. Peter starrte die Schnapsflaschen vor dem Spiegel hinter der Theke an. Als sie die letzten waren und die Musik alleine den schwarz gestrichenen Raum bedröhnte, das Spiegelrad ungebrochene farbige Punkte über die schwarzen Bodenfliesen drehte, brachen sie auf.

      Draußen war es bitterkalt. Der Morgennebel ließ die Autos dampfen. Gogo und Peter stießen dicke Alkoholwolken aus. Die U-Bahn nach Mariendorf kam sofort und sie waren viel zu schnell vor der Firma. Frierend und rauchend schlugen sie vor dem Eisentor die Zeit tot.

      Ihre Aufgabe bestand darin Toilettenpapier, Papiertaschentücher und alles andere, was es in Drogerien gibt, auf Trolleys zu stapeln. Anschließend wurden die Trolleys mit einer dünnen Plastikfolie umwickelt, etikettiert und zum Warenausgang geschoben, wo Lastwagen warteten. In dem flackernden Neonlicht, der durchdringenden Kälte und dem Staub, der sich in die aufspringende Haut fraß, stieg in Peter ein enormer Kater auf. Am Trolley abstützend, schleppte er sich von Gang zu Gang und alle halbe Stunde schüttete er sich auf der Toilette Wasser ins Gesicht.

      Eine Sirene signalisierte die unbezahlte Mittagspause. In der Kantine kauften sie Brötchen mit Würstchen und Tee und setzten sich an einen von den Festangestellten abseits gelegenen Tisch. Peter kämpfte mit Kreislaufblitzen und kriegte keinen Bissen runter.

      Um halb fünf war es vollbracht. Es war wieder dunkel. Im Gehen rissen sie wütend ihren Gehaltsumschlag auf, grapschten die 65 Mark 70, warfen das Papier wütend auf den Boden, zerstampften es und schossen es eine Brücke hinunter.

      Peter klingelte bei Beate. Sie machte auf und er legte sich in ihr Bett.

      Mitten in der Nacht erwachte er. Deprimiert warf er sich hin und her und kämpfte mit den Tränen. Er weckte Beate und fragte sie, ob die Übersensibilisierung durch den Alkoholentzug an Katertagen auch bei ihr so etwas wie eine Parallelverschiebung zur Folge hätte, und dass sie sicher auch das Gefühl kenne, im Kater von einer parallelen Ebene aus, sich selbst zu quälen, nicht körperlich, die körperlichen Folgen wären ätzend aber bedeutungslos, aber psychisch stäche man sich doch immer wieder tief in sein Herz, wie mit einem Nagel in feines Gewebe. Beate tippte ihm wütend ihren Zeigefinger an die Stirn und sagte: „Schlaf!“

      In den nächsten Wochen arbeiteten Peter und Gogo täglich in dem Lager. Peter rechnete aus, wie viel Tampons Beate bis zu ihrer Menopause benötigten würde und stülpte Tamponpäckchen in seine Socken, leerte sie in eine Tasche in seinem Spind und holte mehr. Manchmal sechs Ladungen am Tag. Mit Beates Periode würde kein Geschäft mehr zu machen sein. Die Abende verbrachten Beate und er bei Bier, Jägermeister und Spagetti vorm Fernseher. Nachdem Beates Tampon-Lebensvorrat vollständig war, klaute er Ramonas und Einwegrasierer